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Ein Jahr Anspruch auf einen KiTa-Platz: Eine kritische Bilanz

Ein Jahr ist es nun schon her, dass der gesetzliche Anspruch auf einen KiTa-Platz Realität wurde. Oder besser: Realität hätte werden sollen. Denn es ist längst nicht alles im Lot in den Krabbel- und Spielecken in Deutschlands KiTas.

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig scheint eine Frohnatur zu sein. Ein Jahr nach der Einführung des gesetzlichen Anspruchs auf einen KiTa-Platz sonnt sich die Ministerin in Optimismus: „Die Zahlen zeigen, dass wir hier auf einem guten Weg sind", sagte die Ministerin. Das kann man so sehen, muss man aber nicht. Zwar waren im März 2014 mit 662.000 Kindern unter drei Jahren 64.000 bzw. 10,6 Prozent mehr in der KiTa-Betreuung als im Vorjahr. Doch der Rechtsanspruch für alle ist damit nicht gedeckt.


Die Angebote schwanken

Wenngleich sich die Familienministerin betont, dass künftig weitere 400 Millionen Euro in die Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund fließen sollen, gibt es in vielen Bunderländern drängendere Probleme. In den neuen Bundesländern sieht es schon recht gut aus, immerhin kommen sie teilweise auf eine Betreuungsquote von 50 Prozent. Die alten Bundesländer dagegen zeigen sich träge und weniger gut aufgestellt. Auch bei der Nachfrage gibt es Unterschiede, was womöglich auch mit dem Betreuungsgeld zusammenhängt. Doch es gibt ein weiteres Problem, das sogar noch verschlimmert werden würde, wenn tatsächlich alle Betroffenen auf einen Betreuungsplatz pochen würden: Das Personal.


Betreuung als Hobby?

In nahezu allen Branchen wird stets Qualität gefordert. Beste Materialien, effiziente Arbeitsabläufe, ausgezeichnet ausgebildete Arbeitskräfte. Die seit Jahren andauernde Debatte über den Fachkräftemangel macht deutlich, dass Qualität ganz oben auf der Prioritätenliste in Deutschland steht, auch wenn geteilte Meinungen darüber bestehen, was der „Spaß“ denn kosten soll.
Im sozialen Bereich im Allgemeinen und in der Kinderbetreuung im Besonderen scheinen jedoch andere Gesetze zu gelten. Ein Blick auf die Stadt Hamburg macht das deutlich - und die Stadt ist keineswegs eine exotische Ausnahmeerscheinung.
Rein statistisch betreut in der Hansestadt eine Erzieherin 5,7 Babys und kleine Kinder unter drei Jahren. Doch Papier ist geduldig, Statistiken oft nur wenig aussagekräftig. So auch in diesem Fall. Bedingt durch Urlaub, Krankheit und Fortbildungen entstehen Ausfallzeiten von rund 18 Prozent, was für das Personal bedeutet, dass – wieder rein rechnerisch – noch ein weiteres Kind pro Erzieherin hinzukommt. Man muss kein Genie sein, um sich die Qualität der Betreuung auszurechnen. Wobei ein weiterer Faktor zu berücksichtigen ist: Die Qualifikationen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.


Generation Praktikum für Kleine

Die eben aufgestellte Rechnung ist das eine. Die Einschätzungen der Wohlfahrtsverbände, die sehr nah am Alltag sind, das andere. Auf durchschnittlich 7,6 bis 8 Kinder pro Erzieherin kommen die Fachleute von den Wohlfahrtsverbänden in ihren Berechnungen. Aber selbst wenn man darüber streiten kann, ob die Betreuung von sechs oder sieben Kindern besser funktionieren kann als die von acht, um den Bedarf abzudecken, gehen die KiTas in Hamburg eigenwillige Wege, die aus der Not heraus geboren sind. Allein in Hamburg fehlen nämlich laut Wohlfahrtsverbänden rund 4.000 Erzieher und Erzieherinnen. Da diese schlecht geschnitzt werden können und junger Nachwuchs rar ist, müssen alternative Lösungen her. Das Zauberwort heißt: Praktikanten.
Inzwischen sorgen neben Praktikanten auch Absolventen des Freiwilligen sozialen Jahres oder Teilnehmer des Bundesfreiwilligendienstes dafür, dass der Alltag irgendwie funktioniert. Bei allem Einsatz, der Anerkennung verdient, muss dabei jedoch festgehalten werden, dass eine wirklich qualifizierte Betreuung so kaum möglich ist.
Bund und Länder sind sich der Problematik durchaus bewusst und reden immer wieder in wichtigen Zusammenkünften darüber, wie in Zukunft ausgebildetes Personal sichergestellt werden kann. Auf den nächstliegendsten Einfall kommen sie aber offenbar nicht: Die Perspektiven für Auszubildende zu verbessern, indem die Vergütung im sozialen Bereich verbessert wird. Erzieher scheinen auch heute noch die guten Menschen sein zu müssen, die alles geben. Und zwar für die gute Sache, und nur für diese.


Die Mängelliste der KiTas: Viele fallen durch

Neben der Personaldecke und der fehlenden Ausbildung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kommen weitere Mängel hinzu, die nicht gerade für moderne Arbeitsweisen sprechen. Die KiTas selbst tragen teilweise die Mitschuld an der insgesamt nicht zufrieden stellenden Situation. Doch sie sind eben auch Opfer der Sozialpolitik, es ist letztlich eine Mischung aus allem, was die Problematik ausmacht.


Rechtsanspruch hin, Rechtsanspruch her, all das nützt nichts, wenn die KiTas unflexible Öffnungszeiten haben. Nicht selten öffnen sich die KiTa-Tore morgens um 8.00 Uhr, um pünktlich um 16.00 Uhr wieder zu schließen. So wird zwar einerseits von Eltern in ihren Jobs erwartet, dass sie flexibel sind und sich an wechselnde Umstände anpassen können. Ohne gleichfalls flexible KiTas klafft hier jedoch eine Lücke, die kaum zu überbrücken ist.
Bei KiTa-Arbeitszeiten wie zu Zeiten des Wirtschaftswunders verwundert es kaum, dass auch die Eltern selbst sich vernachlässigt fühlen. Viele würden gern mit ErzieherInnen und LeiterInnen sprechen, um Defizite aufzuspüren, Begabungen zu entdecken und Verbesserungsvorschläge zu machen oder selbst zu bekommen. Zeit für Eltern bleibt aber in den seltensten Fällen, wenn schon die für den Nachwuchs nicht ausreicht. Eine funktionierende Kommunikation und sinnvoller Austausch bleiben so auf der Strecke.


Als Alternative gibt es noch die privaten Kinderkrippen. Hier werden meist ein besserer Betreuungsschlüssel und häufig auch flexiblere Zeiten angeboten. Jedoch zu einem Preis, den sich beileibe nicht jeder leisten kann. So findet auf diese Art und Weise schon früh eine Sozialauswahl statt. Aber vielleicht ist dies ja sogar von der deutschen Familienpolitik gewünscht, denn für Kinder in privaten Einrichtungen müssen die Kommunen keine eigenen Plätze schaffen…


Viel Verpackung, wenig Inhalt

Man kann es drehen und wenden, wie man will. Der gesetzliche Anspruch auf einen KiTa-Platz bringt nur wenig, wenn die Rahmenbedingungen insgesamt nicht spürbar verbessert werden.
Es bleibt abzuwarten, ob Sprachförderung oder Personalschlüssel tatsächlich verbessert werden, ob die Perspektiven, im sozialen Bereich zu tätig zu sein, wirklich so attraktiv gestaltet werden können, dass junge Menschen sich vorstellen können, dort zu arbeiten. Wer jedoch nach dem jetzigen Stand selbstbewusst behauptet, dass der KiTa-Rechtsanspruch womöglich in der Hauptsache nur Wahlkampf-Getöse war, dem wird inhaltlich nur schwer zu widersprechen sein können.

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