© Markus Bormann - Fotolia.com

Theory of Mind – sich in andere hineinversetzen können schon Kinder

Die Theory of Mind (ToM) erklärt insbesondere die Fähigkeit eines Menschen, die Gedanken und auch Überzeugungen anderer Menschen logisch erschließen zu können. Die Entwicklung dieser Fähigkeit ist ein wichtiger Meilenstein in der psychischen Entwicklung des Kindes. Erlernt wird ToM im Alter von vier bis fünf Jahren, teilweise sogar schon früher.

Eng verknüpft mit der Theory of Mind ist die Empathie als analoge Entwicklung im Bereich des Gefühls. Laut Definition bezeichnet Empathie die Fähigkeit, Gefühle, Gedanken, Absichten und Persönlichkeitsmerkmale anderer Menschen wahrzunehmen, zu interpretieren und zu verstehen. Auch die Spiegelneuronen haben aller Wahrscheinlichkeit hier die Hände im Spiel.

 

False-Beliefe – Erforschung der Theory of Mind

Im Jahr 1983 wurde eine einfache Aufgabe entwickelt, mit der sich die ToM überprüfen und gleichzeitig überzeugend erklärend lässt. Der als „False-Beliefe-Aufgabe“ bezeichnete Test geht davon aus, dass Kinder ab einem bestimmten Alter und kognitiven Entwicklungsstand in der Lage sind zu erkennen, dass sie von falschen Überzeugungen anderer Menschen wissen. Das bekannteste Beispiel einer False-Beliefe-Aufgabe ist folgendes:

Einem Kind wird eine Keksdose gezeigt. Ganz richtig vermutet das Kind auf Nachfrage, dass sich Kekse darin befinden. Die Dose wird geöffnet und statt der erhofften Kekse findet das Kind Knöpfe oder etwas anderes unerwartetes vor. Nun kommt die entscheidende Frage: Was würde ein anderes Kind in der Schachtel vermuten? Bei Kindern, die sich noch vor dem Stadium der Theory of Mind befinden wird die Antwort Knöpfe lauten, denn sie haben keine Vorstellung davon, was andere Menschen denken oder vermuten. Kinder, in deren Gehirn ToM bereits verankert sind, werden dagegen Kekse antworten.

Wie die Theory of Mind funktioniert und was sie bewirkt, wird in folgender Infografik gut nachvollziehbar: http://dasgehirn.info/denken/im-kopf-der-anderen/theory-of-mind

Entwicklung der ToM

Die Theory of Mind entwickelt sich bei Kindern aus dem sozialen Kontakt mit dem Umfeld heraus. Beobachtungen und Erfahrungen führen in Kombination mit der Hirnentwicklung auch die Entwicklung von ToM. Als Sitz dieser Fähigkeit im Gehirn wurde der Frontalcortex identifiziert. Dort befindet sich auch die Kontrolle kognitiver Fähigkeiten. Im Laufe der frühen Kindheit entwickelt und verändert sich dieser Bereich des Gehirns in hohem Maße. Aber auch dort, wo die Aufmerksamkeitsprozesse verschaltet werden, ist die ToM mit im Spiel. Aufgrund der Forschungsergebnisse zeigt sich mehr und mehr, dass die Theory of Mind ein ganzes neuronales Netzwerk im Gehirn etabliert.

Soziale Kontakte fördern die ToM-Entwicklung

Wurde lange angenommen, dass Mädchen früher mit der Entwicklung der Theory of Mind dran sind, wurde dies durch eine Studie aus dem Jahr 2011 widerlegt. Eines der Ergebnisse der Studie war, dass Kinder mit älteren Geschwistern diese Entwicklung früher und schneller durchmachen. Die Freunde in der Schule und auch weitere soziale Kontakte spielen ebenfalls eine Rolle und fördern die Entwicklung. Qualität steht hier allerdings vor Quantität. Es zählen nicht die Menge der Freunde oder Kontakte, sondern die stattfindende Interaktion. Dann geht die ToM ganz von selbst vonstatten und entwickelt sich mit dem Wachstum der Kinder.

Wenn ToM fehlt

Viele Gehirnforscher sehen mittlerweile einen Zusammenhang zwischen fehlender oder verlangsamter Entwicklung von ToM und dem frühkindlichen Autismus. Weiterhin gibt es psychische Erkrankungen, bei denen die Theory of Mind extrem ausgeprägt ist, jedoch die Empathie vollständig fehlt. Diese Eigenschaften sind zum Beispiel bei Psychopathen zu finden, die sich zwar ausgezeichnet in andere Menschen einfühlen können, aber keinerlei Mitgefühl empfinden.

Die Theory of Mind ist nach Meinung der Forscher eine zutiefst menschliche Eigenschaft und wird demnach vererbt. Das bewiesen Studien an Menschenaffen, die diese Fähigkeit ebenfalls in gewissem Maß besitzen. Eine spezielle Förderung oder gar eine Beschleunigung ist weder möglich noch nötig. Wie so vieles in der Entwicklung eines gesunden Kindes, findet sich die ToM fast wie von selbst ein.