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Manchmal könnte ich mein Kind … Wie ehrlich darf man sein?

Der STERN titelte neulich „… müssen wir unsere Kinder immer lieben?“ und Charlotte Roche spricht in ihrem neuen Buch offen darüber, dass sie es manchmal hasst, Mutter zu sein. Gut, nun sind wir ja von Frau Roche schon einiges gewohnt, aber dass ein namhaftes deutsches Magazin so eine Frage auf den Titel nimmt, zeigt ein wenig, wie aufsehenerregend das Thema doch ist.

Warum eigentlich? Vielleicht, weil das Kind an sich in Deutschland auf einen sehr hohen Sockel gestellt wird? Das Mutterbild, die Elternrolle, das Kind als Zentralgestirn, um das sich Vater, Mutter, Großeltern und die restlichen Bezugspersonen ihrer Funktion gemäß drehen.

Eine Mutter hat immer glücklich zu sein und vor Dankbarkeit ob des großen Geschenkes, dass das Leben ihr gemacht hat, rund um die Uhr aus allen Poren zu strahlen. Ein Vater hat nicht nur als Versorger nach wie vor zu funktionieren, er hat neuerdings auch alle Pflichten rund um das Kind selbstverständlich mitzuerfüllen und er hat sich nicht darüber zu beklagen, dass seine Gattin inzwischen 23,5 Stunden am Tag in erster Linie Mutter ist und erst weit danach irgendwo auch noch die Partnerin, die sie zuvor für ihn war. Man beklagt sich nicht über sein Kind. Man beschwert sich nicht. Man jammert nicht. Das gehört sich einfach nicht. Ein Kind macht glücklich. Pausenlos. Immer. Wer etwas anderes erzählt, macht sich fast schon der Blasphemie schuldig. Das Kind als kleiner Familiengott, neben dem man gefälligst keine anderen Götter hat ( wie etwa seinen Job, seinen Partner oder einfach das Bedürfnis nach genügend Schlaf?) und gegen den nicht, NIE, gelästert wird.

Du sollst nicht kritisieren Deines Leibes Frucht

Tun Sie es doch, rutscht Ihnen zum Beispiel im Freundeskreis mal raus, dass sie einfach verflucht gern mal wieder in Ruhe mit Ihrer Frau schlafen würden, ohne ständig Angst haben zu müssen, dass die Kleine reinplatzt, weil sie Hunger, Durst oder ein Monster im Schrank gesehen hat, dann müssen Sie sich einiges anhören. Das geht vom harmlosen Schulterzucken in Kombination mit „Tja, das hättest Du Dir halt früher überlegen müssen“, über „Sach mal, hast Du keine anderen Sorgen?“ bis zu „Karin und Olaf versuchen es schon seit Jahren und Du hast eins und jetzt beklagst Du Dich auch noch??“

Wer ein gesundes Kind hat oder vielleicht sogar zwei oder noch mehr, der hat anscheinend für den Rest seines Lebens das Recht daran verwirkt, sich a) über irgendetwas beklagen zu dürfen und b) so etwas wie komplett ich-bezogene Wünsche zu haben. Zum Beispiel den Wunsch nach Schlaf, den Wunsch nach Sex, den Wunsch nach Ruhe, den Wunsch danach, durch die eigene Wohnung zu laufen ohne mit nacktem Fuß auf ein Spielzeugauto oder einen Duplo-Baustein zu treten, den Wunsch nach anderer Musik als Rolf Zuckowski im Autoradio oder den Wunsch danach, einen Wochenendausflug zu machen, bei dem man nicht irgendwo im Sand sitzt und mit bunten Förmchen Kuchen macht oder aber Ziegen (wahlweise Esel) mit labbrig gewordenem Grünzeug füttert.

Nein nein, solche Wünsche sind nicht legitim. Wem sein Leben mit Kindern nicht gefällt und zwar IMMER – selbst wenn die Kleinen mal wieder Magen-Darm aus der Kita mitgebracht haben und einem 3x in der Nacht ins Elternbett kotzen – der hätte sich das mit dem Familiegründen eben vorher überlegen sollen. Jawohl. Hinterher beklagen ist gegen die Spielregeln. Fragt sich nur, gegen wessen Spielregeln und warum gibt es die überhaupt?

Einmal wieder kalte Dosenravioli, Büchsenbier und Sportschau

Sind deutsche Kinder deshalb bei uns so über alle Form der Kritik erhaben, weil es laut Statistik immer weniger von ihnen gibt? Baut man deshalb für die wenigen, die es noch gibt, einen Schrein?

Charlotte Roche lässt in ihrem neuen Buch die Protagonistin sagen, dass sie es hasst, Mutter zu sein. Merke: sie schreibt NICHT, dass sie ihr Kind hasst. Denn das tut sie nicht. Natürlich nicht. Niemand hasst sein Kind. Das ist gegen sämtliche natürlichen Instinkte. Es geht darum, dass man es manchmal eben beschissen finden DARF, ständig zu funktionieren, immer ein gutes Vorbild zu sein, auf so vieles zu verzichten, das einen vor der Elternschaft ausgemacht hat. Wilder Sex in sämtlichen Zimmern des Hauses, ab und zu einen über den Durst trinken, üble Schimpfworte laut aussprechen und sich eine Woche lang von kalter Pizza und Dosenravioli ernähren, einfach weil man faul ist oder Bock drauf hat.

Aggressionen dürfen sein

Selbst der STERN gibt Absolution und vermeldet, dass einem der eigene Nachwuchs selbstverständlich ab und zu auf den Zeiger gehen kann. Und zwar ganz gehörig. In die Ecke klatschen möchten wir den Filius in der Trotzphase zuweilen. Machen wir aber selbstverständlich nicht. Genauso wenig, wie wir mit einer abgesägten Schrotflinte zu unserem Chef ins Büro marschieren und ihm mal verdeutlichen, was wir wirklich von ihm halten.  Es ist aber ok, sich ab und zu danach zu fühlen. Es ist kein Grund für ein schlechtes Gewissen, diese Form von Aggression in sich zu spüren. Auch gegen das eigene Kind. Es ist normal. Man darf es fühlen, man darf es auch mal aussprechen. (Ok, man darf es nur dann aussprechen, wenn es einem nichts ausmacht, dass einen die anderen Eltern aus der Krabbelgruppe für mittelprächtig psychopathisch halten und sich ab und zu überlegen, das Jugendamt einzuschalten. Da muss man dann drüber stehen.)

Das alles ändert nämlich nichts daran, dass wir unser Kind am Ende des langen Tages, wenn es verheult und verschwitzt in unserem Arm eingeschlafen ist,  mit geradezu schmerzhafter Intensität lieben.

Hier noch ein paar Tipps:

  • Gestehen Sie sich Ihre Frustrationen ein. Das ist keine Schwäche und macht Sie erst recht nicht zu einem schlechten Vater. Solche Gefühle hat jedes Elternteil einmal.
  • Nehmen Sie sich eine Auszeit, wenn Sie diese dringend brauchen. In Absprache mit der Partnerin natürlich. Beugen Sie einem möglichen Burnout vor, bevor es dazu kommt. Denn damit ist niemandem geholfen.
  • Schaffen Sie sich Freiräume. Sprechen sie mit der Partnerin ab, dass jeder einen Abend in der Woche für sich hat – und der andere die Betreuung übernimmt (oder auch jede zweite Woche). Suchen Sie sich einen Babysitter – innerhalb oder außerhalb der Familie. Es wird Ihnen guttun. Nach der „Auszeit“ vom Kind kommt häufig das Gefühl, es wiedersehen zu wollen, häufig von alleine zurück.