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Künstliche Befruchtung: über „Halbwesen“ mit 5 möglichen Eltern und die Entwicklung zur Akzeptanz

Künstliche Befruchtung verliert nach und nach den Schrecken, den sie über Jahrzehnte verbreitet hat. Trotzdem gibt es auch heute noch kritische Stimmen, die zum Teil zu gewagten Metaphern greifen. Für den Kulturwissenschaftler Andreas Bernard ist das unverständlich.

Sybille Lewitscharoff ist Schriftstellerin. Sie wurde mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet. Und sie hat nicht mehr alle Tassen im Schrank. Das zumindest dürften einige Besucher ihrer Lesung im März 2014 gedacht haben, als die Buchautorin meinte, sich öffentlich zur künstlichen Befruchtung äußern zu müssen. Abscheu empfinde sie, wenn sie daran denke, um was für „Halbwesen“ es sich bei Kindern der künstlichen Befruchtung handle. Was klingt wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, ist vor gar nicht allzu langer Zeit eine weit verbreitete Meinung gewesen.

Die Kirche, die sozialen Parteien und die künstliche Befruchtung

Man mag es kaum glauben, aber noch in den 1990er Jahren war die künstliche Befruchtung auch für die SPD und sogar für die Grünen eine undenkbare Praxis. Die SPD wollte Anfang der 90er Jahre den Antrag durchsetzen, heterologe Insemination (also die künstliche Befruchtung) unter Strafe zu stellen. Die Grünen lehnten das Verfahren ebenfalls kategorisch ab.
Vergleichsweise harmlos ist die Haltung von SPD und Grünen im Vergleich zu einem Bischof namens Josef Stimpfle. Der sprach schon im Jahr 1978 über die Empfängnis ohne Sex und nannte sie „schlimmer als die Atombombe“.
Man möchte glauben, die Nazis hätten mit ihren Vorstellungen einer „reinen Rasse“ künstliche Befruchtung befürwortet. Aber das war nicht der Fall. Sie führe, da war sich Himmler schon im Jahr 1942 sicher, zu Entartung, Impotenz und Inzucht.
Sybille Lewitscharoff steht mit ihrer ewig gestrigen Meinung heute zwar nicht alleine da, Hardcore-Gegner der künstlichen Befruchtung wird es wohl immer geben. Doch insgesamt hat sich die gesellschaftliche Wahrnehmung verändert. Für den Kulturwissenschaftler Andreas ist das gut so. In seinem hervorragend recherchierten und ausgezeichnet geschriebenen Buch „Kinder machen“ beschreibt er die vielfältigen Aspekte der künstlichen Befruchtung unaufgeregt und präzise.

Die Kritiker sterben aus

Andreas Bernard widmet sich dem Thema der künstlichen Befruchtung auf unterschiedliche Art und Weise und lässt auch Kritiker zu Wort kommen, die aus ideologischen Gründen oder aus Besorgnis gegen das Verfahren sind. Viele davon gibt es aber nicht mehr. Die Vorstellung, dass Kinder auf dem Weg der heterologen Insemination zur Welt kommen, erschreckt oder beängstigt nur noch wenige Menschen. Doch wovor hatten die Kritiker Angst, was genau waren ihre Befürchtungen?

Fünf Eltern und ein Baby?

Vor zwanzig Jahren war die Vorstellung abstrakt und kaum mit den moralischen Werten vereinbar: Theoretisch kann ein Baby, das der künstlichen Befruchtung entspringt, fünf Elternteile haben. Da sind die Eizellenspenderin, der Samenspender, dann die Tragemutter und die sozialen Eltern, die das Kind großziehen. Laut Bernard gibt es diese Konstellation allerdings weltweit nur ungefähr ein paar hundert Mal. Meist sind weniger Personen beteiligt. Doch genau die Konstellation hat lange Zeit vielen Menschen Angst gemacht, von religiösen Kritikern ganz zu schweigen.

Und überhaupt: Ein Baby ohne Sex? Ist das nicht unpersönlich? Gar oberflächlich? Auf den ersten Blick vielleicht, doch wenn man sich das Thema genauer anschaut, kommt man zu einem anderen Schluss. Paare, die sich mit der künstlichen Befruchtung beschäftigen, haben einen enormen Redebedarf, sie müssen sich mit der Thematik auseinandersetzen, mit medizinischen Fragen und letztlich auch mit der nach der gemeinsamen Beziehung. Wollen wirklich beide die künstliche Befruchtung? Wie wirkt sich das auf das Zusammenleben aus? Und wie erklärt man dem Kind, wenn es soweit ist, die Sache mit den „Bienen und Blumen“? Ganz um das Thema herumdrücken kann man sich schließlich nicht. Bernard kommt zu dem Schluss, dass Eltern, die auf dem Weg der künstlichen Befruchtung ein Baby bekommen, viel intimer miteinander sein müssen als solche, die „einfach nur“ in die Kiste hüpfen und warten, was passiert.

Kind ist Kind

Andreas Bernard stellt in seinem Buch einen bemerkenswerte und durchaus positive Entwicklung fest. Die Einstellungen und Empfindungen der Menschen zur künstlichen Befürchtung haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Die Berührungsängste mit dem Thema haben stark abgenommen. Die meisten Menschen sehen keinen Unterschied mehr, ihnen ist es egal, ob ein Kind auf herkömmliche Weise zur Welt gebracht wird oder ob es zuvor eine künstliche Befruchtung gegeben hat. Der Tenor lautet: Erwachsene, die auf diesem Weg Kinder bekommen, machen das aus dem überzeugten Wunsch, Nachwuchs großzuziehen. Sie gehören ganz selbstverständlich zur Gesellschaft dazu. Genau wie ihre Kinder.