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Intelligenzforschung: was der Blick eines Babys aussagen kann

Wie intelligent Ist mein Kind? Wie wird es später in der Schule sein, welche Ausbildung machen? Hat es das Zeug zu etwas ganz Besonderem oder bleibt es in der anonymen Masse der Durchschnittlichkeit verborgen? Diese oder ähnliche Fragen stellen sich viele Eltern schon sehr früh. Die Forschung auf dem Gebiet der Intelligenz hat jetzt entdeckt, dass ein Blick viel über ein Baby aussagen kann. 

„Schau mir in die Augen, Kleines“, „Ein Blick sagt mehr als 1.000 Worte“ und „Die Augen sind das Fenster zur Seele“ - es gibt zahlreiche Weisheiten, die sich im engeren oder weiteren Sinne mit den Augen beschäftigen. Immer schon waren Augen und all das, was man in ihnen finden und entdecken kann, eine so spannende Sache, dass die Menschen teilweise sogar viel mehr hinein interpretierten, als sie tatsächlich hergeben. Die Vorstellung, dass der Blick von Kindern Auskunft über ihre Intelligenz geben soll, gehörte scheinbar zu den Dingen, die eher ins Reich der Sagen und Legenden passen als im Bereich fundierter wissenschaftlicher Thesen angesiedelt zu werden. Doch nun gibt es neue Erkenntnisse. 

 

In die richtig Richtung geschaut

US-Forscher haben sich mit den Kleinsten der Gesellschaft beschäftigt und ihnen tief in die Augen gesehen. Dabei haben sie festgestellt, dass sich schon bei Babys, die gerade einmal sieben Monate alt sind, Rückschlüsse auf die Verarbeitung von Informationen schließen lassen, wenn man sich Dauer und Blickrichtung ansieht. Die Messergebnisse im Säuglingsalter sollen nach Aussage der Wissenschaftler sogar Hinweise darauf geben, wie die beobachteten Kinder später im Alter von 11 Jahren Problemlösungen betreiben. Für die Forscher ergeben sich aus diesen neuen Erkenntnissen Hoffnungen darauf, die kognitiven Fähigkeiten von Kindern schon in den ersten Lebensmonaten gezielt beeinflussen zu können. 

 

203 Babys und eine Rose

Wenn ein Kind in der Schule erfolgreich ist, trägt dazu nicht nur der Intelligenzquotient bei. Auch die sogenannten „exekutiven Fähigkeiten“ spielen eine Rolle. Sie sind verantwortlich für Dinge wie Zielsetzung, Impulssteuerung und Emotionen, man spricht auch von höheren mentalen Prozessen. Die amerikanische Psychologin Susan Rose, die am Albert Einstein College of Medicine in New York City tätig ist, hat nachgewiesen, dass die Fähigkeiten der frühen Kindheit maßgeblichen Einfluss auf die spätere Entwicklung der exekutiven Fähigkeiten nehmen. Rose meint, dass diese Fähigkeiten sich zwar erst später entwickeln, aber schon vorzeitig durch Vorstufen angezeigt werden können. Um ihre Thesen zu belegen, testete Susan Rose 203 Kinder mit unterschiedlichen Übungen, die darauf abzielten, den Blick von Babys auf bekannte oder unbekannte Bilder und solche, die in schneller Abfolge gezeigt wurden, zu untersuchen. Außerdem wurde mit kleinen Tests die Reaktionsfähigkeit von Kindern gemessen. Die Studie begann, als die Kinder sieben Monate alt waren und wurden in Abständen von einem bis zwei Jahren wiederholt. Zuletzt waren 131 Kinder übrig geblieben, sie waren inzwischen 11 Jahre alt und wurden Übungen und Tests unterzogen, die Aufschlüsse über Fähigkeiten wie Impulskontrolle, Arbeitsgedächtnis und die Aufmerksamkeit im Verhältnis zu wechselnden Reizen bringen sollten. Das Ergebnis besagte, dass bis zu 19 Prozent der Vorhersagen, die im Babyalter getroffen wurden, später eintrafen. Vorrangige Bedeutung wurden dem Gedächtnis und Verarbeitungsgeschwindigkeit zugesagt. 

 

Früh, früher, am frühsten übt sich?

Auch für Joseph Fagan von der Case Western Reserve University in Cleveland ist die Frage nach der Entwicklung des geistigen Potentials im Zusammenwirken mit Umwelteinflüssen eine spannende Frage. Der Forscher hat den IQ-Test für Babys entwickelt, den viele Ärzte einsetzen, um die Fähigkeiten von kleinen Kindern zu testen. Und der englische Forscher Sam Wass konnte eine beeindruckende Beobachtung machen. Er bewies durch Aufmerksamkeitsübungen, dass selbst bei Einjährigen die Konzentration kurzzeitig gesteigert werden konnte. Susan Rose ging sogar noch einen Schritt weiter und belegte bei Babys, die gerade einmal fünf Monate alt waren, dass das Wiedererkennungsgedächtnis durch gezielte Übungen verbessert werden kann. Rose hofft, dass diese Übungen direkten Einfluss auf die Intelligenz bei Kindern nehmen könnten. Wäre dem so, könnte das Auswirkungen auf spätere akademische Karrieren bedeuten. Doch es gibt auch Skeptiker. 

 

Ein Australier bremst die Euphorie

Sein Name ist Lazar Stankov. Er ist australischer Psychologe und sieht das alles ein bisschen anders. Stankov warnt davor, voreilige Schlüsse aus dem zu ziehen, was bisher erarbeitet wurde. Er stellt fest, dass die Forschungen der letzten Jahre im Wesentlichen einen Aspekt in den Vordergrund stellen: die Aufmerksamkeit. Die kann man zwar trainieren, laut dem Psychologen sagt sie aber viel weniger über spätere Fähigkeiten aus als die Verarbeitungsgeschwindigkeit und das Gedächtnis das können. Für künftige Ansätze sieht Stankov daher noch Handlungsspielraum, bevor in Jubelschreie ausgebrochen wird. Auch Susan Rose sieht noch Verbesserungsbedarf. Besonders von Trainingsmaßnahmen am Bildschirm rät die Forscherin ab. Elektronische Medien seien für Kinder unter zwei Jahren grundsätzlich nicht zu empfehlen, denn Nutzen sei dabei nicht erkennbar, im Gegenteil, Rose sieht hier eher Gefahren und Schäden auf die Kinder zukommen.

Was aber nun soll man tun, um dem Kind möglichst früh beim Denken auf die Sprünge zu helfen? Rose rät zu klassischen Methoden. Kinder brauchen Interaktionen mit Menschen, die Aufmerksamkeit ihrer Eltern. Es tut ihnen gut, wenn sie herumgetragen werden, wenn man mit ihnen spricht und die Aufmerksamkeit auf die interessanten Dinge lenkt, die sich in der Umgebung des Kindes befinden. Denn vor dem Abitur und der Ausbildung gibt es etwas, das gepflegt und ermöglicht werden sollte und das später niemals wiederkehrt: eine unbeschwerte Kindheit.