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„Mir doch egal!“ - Jugend auf dem Ego-Trip

Höfliche Umgangsformen? Gutes Benehmen oder gar Hilfsbereitschaft? Viele Jugendliche und auch schon Kinder sind davon Lichtjahre entfernt. Ein Klagelied auf die „schlimmen Jugendlichen“ anzustimmen, wird der Sache aber nicht einmal annähernd gerecht. Denn hinter ihnen stehen Eltern, die einen wichtigen Teil zur Verrohung unserer Kinder beitragen.

Bei den nun folgenden drei Beispielen könnte man das erste bequem in die Schublade „Problemmilieu“ stecken. Schön einfach wäre das. Bei den beiden anderen wird es schon schwieriger. Es zeigt sich, dass die soziale Stellung nicht für egoistische und selbstherrliche Jugendliche verantwortlich gemacht werden kann.


Tatort Hauptschule

In Stuttgart gibt eine Hauptschule, auf der Gerhard Keppler (Name geändert) unterrichtet. Seinen Schülern stellt er kein gutes Zeugnis aus: „Die haben keine Ahnung, wie ein Gespräch funktioniert. Sie lassen andere grundsätzlich nicht ausreden, sitzen in Mütze und Mantel im Unterricht, kauen ständig Kaugummi und kommen von Bewerbungsgesprächen mit erhobenem Mittelfinger zurück. Sie kennen die einfachsten Regeln im zwischenmenschlichen Umgang miteinander nicht.“
Respekt? Ja, das Wort kennen seine Schüler, aber in erster Linie durch Hip-Hop-Musik, in denen der Begriff zwar vorkommt, aber sicherlich nicht seiner Bedeutung nach vermittelt wird.


Tatort Gymnasium

An Gymnasien müsste es doch wohl etwas gesitteter zugehen, oder? Die Umgangstrainerin Miriam Hanke (die inzwischen ihre Tätigkeit aufgegeben hat, dazu später mehr) kann das nicht bestätigen. Auch auf Gymnasien hat sie auf ihren Reisen durch die Bundesrepublik in erster Linie eines erlebt: Egoismus und fehlende Umgangsformen. Ähnlich wie in der eben beschriebenen Hauptschule ist die Haltung der Schüler eher eine, die auf Desinteresse schließen lässt. Die Schüler kommen und gehen nach Lust und Laune, sie telefonieren im Unterricht mit ihren Handys und sind völlig uneinsichtig, wenn sie zur Ordnung gerufen werden.

Sind sich Hauptschüler und Gymnasiasten womöglich inzwischen so ähnlich geworden, dass im zwischenmenschlichen Umgang jedes Gespür für angemessenes Verhalten fehlt? Ja. Und nein. Denn die Annäherung findet auf allen Ebenen statt, wie unser drittes Beispiel belegt.


Tatort Hochbegabtenförderung

Die beiden elfjährigen Jungs Justin und Tim besuchen ein Gymnasium für Hochbegabte. Mit ihrem Mathelehrer kommen sie allerdings überhaupt nicht klar. Er ist ihnen zu streng, stellt zu hohe Anforderungen, meinen die Jungs. Deshalb haben sie für ihren Lehrer ein Facebook-Profil angelegt. Der Ahnungslose erfuhr davon erst, als er von anderen Schülern plötzlich komisch angesehen und kurze Zeit später ins Büro der Schulleitung geholt wurde. Auf „seinem“ Profil wurde haufenweise pornographische Inhalt gepostet, Bilder und Videos. Justin und Tim hatten ganze Arbeit geleistet und der Mathelehrer musste das ebenfalls tun, um die Schulleitung davon zu überzeugen, dass er mit dieser Seite nichts zu tun hat.

Die drei Beispiele zeigen, dass in völlig unterschiedlichen Bereichen und Milieus eine Verrohung sichtbar wird. Womit wir wieder bei Miriam Hanke sind und uns dem Grund nähern, der dafür verantwortlich ist, dass sie ihre Rolle als Umgangstrainerin aufgegeben hat.  


Stolze Eltern ohne Gewissen

Während ihrer Tätigkeit als Umgangstrainerin hat Miriam Hanke eine traurige Erfahrung machen müssen: die Arbeit mit den Kindern wird durch uneinsichtige Eltern erschwert. Ein weiteres Beispiel macht das Problem deutlich.

Die Lehrerin eines Gymnasiums wollte es nicht hinnehmen, dass einige ihrer Schüler immer wieder den Unterricht boykottierten. Sie rief sie daher nach der Stunde zu sich, um eindringlich auf sie einzureden. Als wieder einmal einer der Schüler nach dem Unterricht zu ihr kommen sollte, stahl er ihr kurzerhand den Schlüsselbund, rannte aus dem Klassenraum und schloss die Lehrerin ein.

Das Ganze sollte ein Nachspiel haben, das jedoch für die Lehrerin übel ausging. Die zum Schulleiter zitierten Eltern des Schülers waren der Meinung, ihr Junge sei das Opfer gewesen, die Lehrkraft hätte ihn nicht so oft zu sich rufen dürfen. Eine Entschuldigung? Dazu sei der Junge keinesfalls bereit, weitere Maßnahmen gegen den Schüler sollten nach Aussage der Eltern Anwaltskosten, unter Umständen sogar die Kosten für einen Psychologen zur Folge haben. Diese würden der Schule in Rechnung gestellt. Es geschah daraufhin nichts weiter.


Sekten-Tussi?

Die Arbeit mit den Eltern gestaltete sich für Miriam Hanke als extrem schwierig. Immer wieder musste sie mit Gegenwind leben. Ob sie einer obskuren Kirche oder Sekte angehöre, wurde sie gefragt. Dass sie sich mal in der Welt umsehen sollte, wurde ihr nahegelegt. Dort draußen ginge es schon brutal genug zu, man müsse es den armen Kinder nicht noch schwerer machen, als es eh schon ist.


Das Leben ist doch hart genug?

Ohne Zweifel wachsen unsere Kinder in einer Umgebung harter Konkurrenz, hoher Anforderungen und zweifelhafter wirtschaftlicher Aussichten auf. Darunter leiden sie, das kann nicht bestritten werden. Dennoch steht die Frage im Raum, ob es der richtige Weg sein kann, unseren Nachwuchs in egoistischem Verhalten, Mobbing und Rücksichtslosigkeit zu unterstützen.

Was die geschilderten Beispiele zeigen, ist die fehlende Bereitschaft, Verantwortung einzufordern und das Gefühl dafür zu fördern. Man könnte es auf einen einfachen Punkt bringen und festhalten: Wer Mist baut, ist dafür verantwortlich und muss dafür gerade stehen. Wer für seine Handlungen nicht in die Pflicht genommen wird, kann kein Gespür dafür entwickeln, was für ein Verhalten angemessen ist – nicht im zwischenmenschlichen Bereich, in der Schule, der Ausbildung und im Berufsleben.

Miriam Hanke hat ihre Arbeit als Umgangstrainerin nicht etwa aufgegeben, weil sie an den Kindern gescheitert ist. Es waren die Eltern, denen sie sich nicht gewachsen fühlte.