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Wie die Chinesen lernen heißt siegen lernen?

Üben, Lernen, Trainieren, Siegen. In China kennt der Alltag der Kinder kaum andere Tagesprogrammpunkte. Dank eines Erziehungsstils, der von stetem Druck und Drill geprägt ist, bleibt den Kids keine Zeit, ihre eigene Kreativität auszuleben. Dafür werden beste Ergebnisse beim PISA-Test erzielt. Eine Strategie, von der die Europäer lernen sollten?

Ein Kind, das nicht schon im frühen Kindergartenalter durch die harte Schule eines strengen, strukturieren Erziehungs- und Lernkonzepts muss, wird sich später im richtigen Leben und vor allem im globalen Job-Wettbewerb durchsetzen. Meinen die Chinesen.

Schlechte Zensuren als Zeichen menschlicher Schwäche? Fehlender Lernwille als unhaltbare Charaktereigenschaft eines Kindes? In europäischen Ländern sind solche Einstellungen noch rar gesät. Noch (mit Betonung auf: NOCH!) steht auch in Deutschland das Wohl des Kindes im Vordergrund und nicht in erster Linie das unbedingte Erreichen von schulischen Spitzenleistungen. Der Begriff „Kuschelpädagogik“ klingt zwar in vielen Ohren bereits negativ belastet, im Gegensatz zum extremen Erziehungs- und Bildungsstil in China erscheint er aber fast schon untertrieben. Um ihren Kindern unter allen Umständen den bestmöglichen Start in das Haifischbecken Leben zu ermöglichen, greifen die Asiaten zu drastischen Mitteln.

 

Friedhof der Kuscheltiere

Die amerikanische Juraprofessorin Amy Chua befindet sich derzeit mit ihrem Erziehungstagebuch „Die Mutter des Erfolgs: Wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte“ (Nagel & Kimche Verlag) in der medialen Kontroverse. Ihren Töchtern Sophia und Lulu ließ sie – na ja, sagen wir mal – einen recht konsequenten Erziehungsstil angedeihen, der mehr an Kittchen als an Kindheit erinnert. Wollte ein Klavierstück nicht klappen, wurde schon mal mit dem Verbrennen aller Kuscheltiere gedroht. Für eine eins minus gab es keine lobenden Worte, sondern Nachsitzen bei Muttern für eine solch erbärmliche Leistung. „Hohe Erwartungen“ werden bei Amy Chua ab absurdum geführt. Worte wie Zwang, Drill, Leistung und Hartnäckigkeit kommen der Juraprofessorin leicht über die Lippen. Dabei beruft sie sich komplett auf den von ihr hoch gelobten chinesischen Erziehungsstil. „Chinesische Eltern drillen ihre Kinder jeden Tag“, berichtet sie im Spiegel-Interview, „Wenn das Kind keine perfekten Noten nach Hause bringt, hat es einfach nicht hart genug gearbeitet.“

 

Asiens Schüler

Die Pisa-Studie aus dem Jahr 2009, in der Städte wie Hongkong und Shanghai überragend abgeschnitten haben, scheint diesem asiatischen Zwangslernen und Dauerdruck Recht zu geben. Die Disziplin und das Durchhaltevermögen der asiatischen Kinder sind bereits legendär. Niemand kann besser auswendig lernen. Nirgendwo anders wird so viel gelernt. Jahreszahlen? Physikalische Formeln? Vokabeln? Kein Problem für die Kids aus Shanghai. Doch wo viel Licht, da auch viel Schatten. Denn gerade die stupide Lernerei und das kritiklose Annehmen von Fakten machen die chinesischen Schüler und Studenten auf dem internationalen Wettbewerb nicht zwingend zu den absoluten Gewinnern.

 

Perfekte Maschinen

Denn während sie sich auf der einen Seite bis zur menschlichen Unkenntlichkeit perfektionieren, gehen andere Eigenschaften komplett verloren: neben den sozialen Fähigkeiten sind das vor allem die fehlende Kreativität, eigenständiges Assoziieren und mangelnde Teamfähigkeit. Die abstrakte Vorstellungskraft tendiert bei Chinesen bisweilen Richtung Null. Amerikaner und Europäer haben zwar ihre Probleme mit dem strikten Auswendiglernen und mit einem konsequenten Pauken bis in die späten Abendstunden, aber ihre Phantasie und Neugier überflügelt diejenige der Asiaten bei weitem.

 

Paradebeispiel China?

Sollen wir uns nun hier im Westen von der asiatischen Drill-Maschinerie eine Scheibe abschneiden? Müssen wir diesen Erziehungsstill adaptieren, weil unsere Kinder sonst vom an Druck gewöhnten Osten überrollt werden? Oder sollen wir in diesem Wettbewerb des rigorosen Kinder-Pushens überhaupt mitmachen?
Im Endeffekt muss diese Frage jeder für sich beantworten. Aber man sollte nie vergessen: Der Preis für ein Leben, in dem man nie lernt, sich Eselsbrücken zu bauen, ist hoch. Und Kinder, die von ihren Eltern mit sieben Jahren zu einem 12-Stunden-Schultag gezwungen werden während die anderen draußen Fußball spielen, werden auch nicht zwingend Nobelpreisträger.

 

Auf das Maß kommt es an

Natürlich ist es toll, wenn sich Eltern, Lehrer und das gesellschaftliche System mit ihren Kleinen beschäftigen. Wenn Mama und Papa ihnen ermöglichen, ein Instrument zu lernen. Sie Vokabeln abfragen. Mit ihnen mal ins Museum gehen. Engagierte Eltern sind ganz ohne Frage besser als jene, denen das Schicksal ihrer Kids vollkommen gleichgültig ist. Aber jeder Drill, jede Maßregelung und jede Anwendung von frühkindlichen Bildungsmaßnahmen hat seine Grenzen. Unbedingter Gehorsam und die Nicht-Chance, einfach einmal etwas „Sinnloses“ zu tun raubt den Kindern jegliche Kreativität und Selbsterfahrung.

 

Klettern statt klotzen

Mädchen und Jungs müssen sich gerade im Kindergartenalter selbst entdecken lernen. Das funktioniert nicht, wenn sie nur nach einem strikten Plan ablaufen dürfen und nur noch in der Schule zu Hause sind. Maschine statt Mensch quasi. Sich im Garten einem stinknormalen Rumgematsche im Dreck hingeben, mit Freunden auf dem Spielplatz toben, im Sommer mit den Kids am See abhängen und Kritzikratzi auf altem Zeitungspapier – das gehört wahrscheinlich mehr zu einer intelligenten Förderung als das Auswendiglernen von Formeln, Paragraphen und Vokabeln.

 

Auch Frau Chua musste lernen

Auch bei Amy Chua lief nicht alles glatt in der Erziehung. Ihre jüngste Tochter rebellierte und weigerte sich im Alter von 13 Jahren, weiter Geige zu spielen – mitten auf einer Konzertreise. Schweren Herzens gab Frau Chua nach, um ihre Tochter nicht zu verlieren. Inzwischen sollen Mutter und Kinder wieder ein sehr gutes Verhältnis zueinander haben.

 

Zum Weiterlesen:

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,741314,00.html

http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,734775,00.html

 

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,744030,00.html