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„Papa Pipi“ – oder: was war noch einmal Intimsphäre?

Kleinkinder haben noch kein Schamgefühl. Sie laufen nackt herum, schämen sich nicht, wenn sie irgendwo hinpinkeln und fassen sich öffentlich an ihre Geschlechtsteile. Das ist normal und auch gut so. Doch, es gibt Momente, wo Eltern unter der „Schamlosigkeit“ der eigenen Kinder leiden. Dann, wenn auch unsere Schamgrenze von unseren Kleinen überschritten wird.

„Papa Pipi!“ ruft mein Sohn strahlend, zeigt irgendwo zischen meine Beine und gluckst. Ich lächle – gequält. Dann umläuft er mich und sieht auf meinen Hintern, der gerade gemütlich auf der Kloschüssel hockt. Fasziniert blickt mein fast zweijähriger Sohn in die Kloschüssel. „Papa, nicht Windel!“, stellt er fest und klatscht erfreut in die Hände. So, oder so ähnlich sieht bei mir jeder Morgen aus. Da meine Frau bereits auf dem Weg zur Arbeit ist und es mir obliegt, unseren Sohn in die Krippe zu bringen, darf ich also meine Morgentoilette mit ihm gemeinsam machen.

 

Aussperren kommt nicht infrage. So beobachtet er mich, wenn ich zur Toilette gehe, steht vor der Duschkabine, wenn ich dusche und beim Rasieren sieht er fasziniert zu, oder möchte sich gleich selbst rasieren. Bis zur Berufstätigkeit meiner Frau waren für mich die Momente im Bad Momente der Ruhe. Endlich einmal für mich allein sein, Zeit haben, keine Fragen beantworten, keine Spielsachen gezeigt bekommen. Für einen Moment die Gedanken nur um eigene Fragen kreisen lassen. Doch damit ist nun Schluss.

Auch bei mir war es so

Auch wenn ich selbst eine halbwegs antiautoritäre Erziehung genossen habe, bei der es okay war zu hause nackt herumzulaufen, bei Doktorspielen mit Kindergartenfreundinnen den jeweils anderen Körper zu erkunden und menschliche Bedürfnisse auch zu benennen, geht mir die Schamlosigkeit meines Sohnes mitunter zu weit. Gut, denke ich dann, woher soll er ein Verständnis dafür haben, dass ich mich schäme? Schließlich muss er sich täglich mehrfach vor mir, seiner Mutter und seiner Erzieherin entblößen. Wird am Po und am Penis angefasst, gereinigt, gewaschen und wieder angezogen. Er, und alle anderen Kleinkinder, kennen es nicht anders. Warum soll Papi also etwas dagegen haben, wenn man mal sehen möchte, was bei ihm so aus dem Popo kommt? Schließlich kommentiert Papa ja auch seinen Windelinhalt!

Der Moment meines Schamgefühls

Sicher, sein Schamgefühl wird sich entwickeln. Irgendwann. So war es ja auch bei mir. Noch gut erinnere ich mich an meine Freundin Kati, die ich viele Sommer lang auf der Insel Sylt getroffen habe. Nackt sind wir durch die Dünen gelaufen, haben Sandburgen gebaut und sind durch die Wellen gesprungen. Doch irgendwann war damit Schluss. Nicht mit den Dünen, nicht mit den Sandburgen und auch nicht mit den Wellen, aber jetzt stand Kati auf einmal im Bikini vor mir – und ich immer noch nackt vor ihr. Das war mein letzter Tag nackt am Strand. Am nächsten Tag kam ich in Badehose.  Mein Schamgefühl war geboren.

Ich muss eben abwarten

Nun bleibt mir eben nichts anderes übrig als zu warten, bis er selbst nicht mehr möchte, dass man ihn bei allem beobachtet. Dass er seine Privatsphäre erkennt und diese auch schützt. Erst dann kann ich ihm begreiflich machen, dass Papa auch gern allein auf der Toilette sitzt. So lange muss ich also noch damit umgehen, dass jemand klatscht, wenn ich auf der Toilette fertig bin und die Spülung ziehe. Ich werde es überleben.  

 

Christian Mörken, 39 Jahre, lebt als freier Autor, Redakteur und Texter mit seiner Frau Gabriela und seinem Sohn Noah Maximilian in Pfronten.