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Der Wochenendeinkauf mit meinem Sohn

Es gibt Dinge im Leben eines Mannes, die er unbedingt einmal gemacht haben sollte. Einen Sohn zeugen, einen Baum pflanzen und ein Haus bauen – so hieß es zumindest zu Opas Zeiten. Heute stehen eher Fallschirmspringen, eine Fahrt auf der Route 66 oder die Mitgliedschaft im Mile-High-Club hoch im Kurs und beflügeln Männerfantasien. Wer jedoch den kurzfristigen Nervenkitzel sucht, ist mit einem Wochenendeinkauf mit Kleinkind auf der sicheren Seite. Ein Erlebnis der besonderen Art.

Es war einer jener seltenen heißen Tage im August diesen Jahres, als meine Frau auf die glorreiche Idee kam, dass ich den samstäglichen Wochenendeinkauf diesmal allein bewältigen sollte. Sie wolle in der Zwischenzeit Wäsche waschen und das Mittagessen vorbereiten, so ihre dürftige Argumentation.

 

Üblicherweise folgt derartigem Ansinnen immer derselbe Satz: „Nimm auch gleich den Hund mit!“ Nun, diesmal nicht. „Maximilian kann dich doch begleiten“ rief sie mir freudestrahlend zu. 
Was für eine brillante Idee. Wie sicher die meisten Männer bin ich kein Freund von Großeinkäufen, und wenn es denn schon sein muss, sollte es wenigstens rasch gehen. Ein wieselflinker, höchst unberechenbarer und knapp Dreijähriger ist ein Garant dafür, dass es zu Verzögerungen kommen würde. Charmant ist er ja, mein Sohn. Hübsch anzuschauen noch dazu. Aber mit teuflischen Ideen. Quasi eine Mischung aus George Clooney und Luzifer.

Dennoch, ich genieße natürlich jede Minute, die ich mit unserem Jüngsten verbringen kann und so machten wir uns auf den Weg. Zuvor noch ein Kuss von der Mama für jeden von uns, für mich zusätzlich einen Klaps auf den Hintern, verbunden mit den mahnenden Worten: „Vergiss den Hund nicht …“

Spurensuche

Nach endlosen 300 Metern, für die wir bei tropischer Hitze eine geschlagene halbe Stunde benötigten, waren wir endlich da. Raten Sie mal, wer sich unterwegs mehr für Stöcke, Steine und Blätter interessierte als für unsere Einkaufsmission? Ein kleiner Tipp: Es war nicht unser Vierbeiner.

Das Abenteuer konnte beginnen. Allerdings zunächst ohne meinen Sohn, denn der war plötzlich wie vom Erdboden verschwunden. Das ging ja gut los. Ich schwöre, es war nur ein kurzer Blick auf den Einkaufszettel, den er umgehend zur Flucht nutzte. Meine Gedanken rotierten. Wie sollte ich das meiner Frau erklären? Einkauf erledigt aber Kind weg - keine gute Idee. Hier half nur Ruhe bewahren und nachdenken.
Das Versteckspielen ist ja in diesem Alter sehr populär und auch mein Sohn verschließt sich diesem Trend nicht. Ich fand ihn schließlich grinsend hinter einer Palette Bananen. In seiner Hand ein angebissenes Brötchen, das er sich vom angrenzenden Backstand besorgt hatte. Klar, Papas Suche hätte auch länger dauern können. Man will ja nicht verhungern.
Es folgte ein ernstes Gespräch unter Männern, bei dem ich ihm erklärte, dass er auf keinen Fall weglaufen dürfe, weil ich mir sonst Sorgen machen würde. Ich beendete meinen Monolog mit den Worten: „Wir müssen hier zusammenarbeiten, mein Schatz. Ok?“
Offenbar hatten wir Verständigungsschwierigkeiten, denn das Einzige, was er mir entgegnete, war: „Nochmal?“ Ich antwortete noch einmal ausführlich: „NEIN!“  Erst jetzt verstand er mein Anliegen.

Die Zeiten ändern sich

Früher, zu Junggesellenzeiten, war die Sache einfacher. Eine Tiefkühlpizza und ein paar Bier reichten völlig aus, um prima über das Wochenende zu kommen. Doch mit Kindern sieht die Sache anders aus. Gesunde Ernährung ist angesagt. Während ich hastig Obst und Gemüse in den Wagen warf, klärte mich mein Sohn derweil darüber auf, welche Sorten er schon kennt. „Anas“, „Zitone“, „Plaumen“ … Es waren so einige. Allerdings noch viel mehr, welche er nicht kannte und die er gern mitgenommen hätte, um sie seiner Mama zu zeigen. Ich hatte mehr damit zu tun, diverse Früchte wieder aus dem Wagen zu befördern als hineinzulegen.

Durst ist schlimmer als Heimweh

Einkaufen macht durstig, zumal, wenn man schon zehn Minuten im Markt ist. Maximilian gelüstete es nach Wasser. Kein Problem, wir befanden uns ja direkt an der Quelle und er war beschäftigt. Ich nutzte meine Chance und arbeitete derweil in Rekordgeschwindigkeit meinen Einkaufszettel ab.

Doch es kam, was kommen musste. Er musste mal. Das war klar. Mein Sohn scheint momentan über eine Direktleitung zwischen Einfüllöffnung und Auslassventil zu verfügen. Ein Umstand, den er zweifelsfrei von seiner Mutter geerbt hat. Für einen kurzen Augenblick sehnte ich mich nach den Windeln zurück, die doch manchmal recht praktisch waren.
In so einem Fall ist man immer froh, wenn der Einkaufsmarkt über eine Toilette für gestresste Eltern verfügt. Ich war nicht froh, denn unser Markt verfügte über diesen Luxus nicht. Wir hetzten zum Ausgang. Dass Maximilian es ernste meinte, daran ließen sein zunehmend verkrampftes Gesicht und nervöse Trippelschritte nicht den Hauch eines Zweifels. Unter lauten „Halte durch“ – Rufen kämpften wir uns durch das Nadelöhr an der Kasse und erreichten keine Sekunde zu früh den Park gegenüber.

Zurück im Markt ermahnte ich ihn nochmals, bei mir zu bleiben. Doch mein „Lauf nicht so weit weg“ hörte er schon gar nicht mehr, denn es zog ihn magisch zu den Süßigkeiten. Amüsiert beobachtete ich, wie er das halbe Regal zu einer Pyramide aufschichtete. Er weiß zwar, dass es zwecklos ist, aber einen Versuch ist es wohl jedes Mal wert. Mit einem „Papa, Kasse gehen“ wollte Maximilian unseren Einkauf für beendet erklären. Nach zähen Verhandlungen konnte ich ihn doch noch zum Bleiben überreden. Es kostete mich eine Tüte Gummibärchen.

Männerschmerz

Neben dem Versteckspielen hat Maximilian bei Einkäufen noch eine zweite Vorliebe. Er schiebt gern den Einkaufswagen. Nicht zielgerichtet sondern einfach nur so. Ein Umstand, der mir schmerzhaft bewusst wurde, als ich mich in der Molkereiabteilung kurz zu ihm umdrehte. Mit einer Packung Eier in der einen und einem Becher Schlagsahne in der anderen Hand war ich völlig wehrlos, als der Wagen in meinem Unterleib einschlug. Oh man, das waren Schmerzen. Aber zumindest blieben die Eier in der oberen Etage heil. Er war erschrocken und ich echt sauer. Doch wir sind Männer. Ein kurzes „Schulligung“ und eine Umarmung später wandten wir uns wieder dem Tagesgeschäft zu.

Wein oder nicht Wein?

Die nächste Schrecksekunde ließ nicht lange auf sich warten, denn Maximilian suchte im nächsten unbeobachteten Moment schon die Getränke für seinen bevorstehenden Geburtstag aus. Ganz offensichtlich konnte er sich nicht zwischen einem 2010er Chardonnay und einem Spätburgunder des gleichen Jahrgangs entscheiden, denn beide Weinflaschen hielt er in den Händen. Vorsichtig, ganz vorsichtig bewegte ich mich auf ihn zu. Ich gebe zu, mir standen ein paar Schweißperlen auf der Stirn. Denn zum einen ist er sehr schreckhaft und zum anderen besitzt er die merkwürdige Eigenschaft, Dinge, die er aus der Hand legen soll, einfach wegzuwerfen. Während ich beruhigend auf ihn einredete und ihn für seinen erlesenen Weingeschmack lobte, fühlte ich mich kurzzeitig wie ein Verhandlungsführer bei einer Geiselnahme. Schließlich konnte ich ihn entwaffnen und dem Personal und mir eine Menge Ärger ersparen.

Maximilian, der Polarforscher

Wir waren fast durch, die letzten Sachen landeten im Einkaufswagen. Jetzt musste ich nur noch meinen Sohn finden, der, wie üblich, nicht an meiner Seite weilte.

Ich fand ihn schließlich bei den Kühltruhen. Zumindest einen Teil von ihm, denn der Rest hing kopfüber in einer von ihnen und suchte nach Essbarem.
Als er wieder auftauchte, hielt er mir eine Packung vor die Nase und kommentierte das mit dem höchst unvollständigen Satz: „Papa, Essen funden …“
Es kostete mich einige Mühe, ihn zu überzeugen, dass die Essensplanung für dieses Wochenende bereits abgeschlossen war und Mama keinesfalls gewillt sein würde, kurzfristig Ente à l'orange zu machen. Sehr widerwillig legte er den Karton zurück, nicht ohne dabei noch ein wenig Eis aus dem Inneren der Truhe zu kratzen und zu kosten. Es schien ihm zu schmecken. Künftig können wir uns den Ausflug zur nächsten Eisdiele sparen.

Die letzte Hürde

Der Einkauf war erledigt - und ich irgendwie auch. Nun galt es noch die letzte Hürde zu nehmen. Der Vorkassenbereich mit all den Verlockungen für kleine Naschkatzen war die letzte bunte Barriere auf dem Weg in die Freiheit. Merkwürdigerweise zeigte mein Sohn kein Interesse an all den Süßigkeiten. Eines der vielen „Nein, von hier gibt es nichts!“ schien seine Wirkung nicht verfehlt zu haben.

Ein guter Vater bindet seine Kinder in seine Aktivitäten mit ein und so bat ich ihn, mir ein paar Einkaufstüten zu reichen. Stolz gab er sie mir. Vier davon nahm ich, die restlichen acht legte ich wieder zurück. Sein Blick darauf sprach Bände. Das nächste Mal kannst du deine doofen Tüten selber holen. So oder ähnlich muss er gedacht haben.

Während ich unsere Jagdbeute auf dem Warenband verteilte, hörte ich plötzlich … nichts. Kein gutes Zeichen. Blitzartig drehte ich mich um und erblickte einen triumphierenden Maximilian - die Arme hinter dem Rücken und mit schokoladeverschmiertem Mund. Eines dieser unseligen Überraschungseier war seiner unsäglichen Gier zum Opfer gefallen. Besser gesagt eine Hälfte davon.  Der Rest war auf Hände und T-Shirt verteilt.

Die Kassiererin, die mir freundlicherweise mit einem Taschentuch aushalf, versuchte mich aufzumuntern. Es sei nicht das erste Mal, dass sie nur das Silberpapier über den Scanner zog. Und sie gab mir noch einen kleinen Tipp. „An der Kasse“, so meinte sie, „ist Ihr Kind nicht Ihr Freund, sondern eher ein Gegner, den es im Auge zu behalten gilt. Idealerweise vor Ihnen.“ Schmunzelnd gab sie mir das Wechselgeld und sagte noch: „Beim zweiten Kind werden Sie bestimmt an meine Worte denken.“ Ich bedankte mich, murmelte, ich werde es mir merken und erwähnte meine achtjährige Tochter mit keiner Silbe.

Ende gut, alles gut

Geschafft! Wir machten uns auf den Heimweg. Maximilian war ein wenig missmutig, weil ich mich standhaft weigerte, ihn mit meinen vier Einkaufstüten durch die Gegend zu jagen. Und seine Stimmung wurde nicht besser, als ich ihm klarmachte, dass ich ihn jetzt unmöglich bis zu uns in den dritten Stock hochtragen könne. Sein Kompromissvorschlag „Erst du mich tragen, dann wieder runter gehen und Beutel holen …“ war zwar süß, doch ich blieb hart.

Das war sie also - meine ganz persönliche Challenge des Tages. Eine Herausforderung, die Millionen Eltern in aller Welt ständig zu meistern haben. Nicht, weil wir den Nervenkitzel suchen, sondern weil diese Erlebnisse mit Kindern einfach zu unserem täglichen Leben dazugehören.

Ich weiß nicht, ob ich jemals einen Baum pflanze. Keine Ahnung, ob ich irgendwann ein Haus baue. Aber die größte Herausforderung habe ich schon angenommen. Und würde es immer wieder tun. Denn die Erlebnisse mit meinen Kindern sind nicht nur aufregend und wunderschön. Sie sind einfach unbezahlbar.

 

Der Autor:
Daniel Polzer arbeitet als freiberuflicher Texter und Werbetexter.
Mit seiner Frau und seinen beiden Kindern lebt er in Leipzig.