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Eltern werden – Weisheit inklusive

Mit eigenen Kindern verändert sich der Blick auf die Welt – diese Erfahrung machen eigentlich alle Eltern. Man erkennt Zusammenhänge, die einem bisher verschlossen waren und kommt ein gutes Stück weiter in seiner Suche nach dem Sinn des Lebens. Denn den halten junge Eltern in ihren Armen, wie unser Autor erkannt hat.  

Nachdem ich Vater geworden war gratulierte mir mein ältester Freund Tim. Er, ebenfalls Ende Vierzig, ohne eigene Kinder in Berlin lebend und seines Zeichens Dauer-Jugendlicher, benutzte dazu die Worte: „Mit Kind hast Du nun wirklich das volle Programm durchgezogen. Respekt!“. Später habe ich häufiger an das gedacht, was er sagte – „das volle Programm“. Aber tatsächlich kamen mit dem Baby neue Einsichten in mein Leben. Viele grundlegende Dinge, die unser aller Leben ausmachen, sind mir erst jetzt klargeworden. Es war, als öffneten sich mir nicht nur neue Türen in meiner Wahrnehmung, sondern ganze Stockwerke. Ich bin mir sicher, die meisten Eltern können das nachvollziehen. Hier ein paar der Dinge, die ich nun zu verstehen glaube:

 

Die Liebe von Eltern zu ihren Kindern übersteigt jede Vorstellung

Kein Mensch ohne Kinder kann sich wirklich vorstellen, wie stark die Liebe von Eltern zu ihren Kids ist. Durch die ständige Nähe zum Kind, das Halten, Riechen, Umsorgen entsteht eine Bindung, die stärker ist als wohl jede andere Kraft auf der Welt. Wer hat nicht schon von Berichten über Eltern gehört, die bei einer Bedrohung ihrer Kinder plötzlich übernatürliche Kräfte aufbringen, um diese zu retten? Inzwischen zweifle ich nicht mehr daran. Ebenso würde ich ohne zu überlegen mein eigenes Leben für mein Kind einsetzen. Diese tiefe, selbstlose Liebe von Eltern ist kaum zu erklären. Sie kommt mit dem Kind und wächst mit der Zeit, die man mit ihm verbringt. Von meiner eigenen Mutter habe ich mich früher am Telefon immer mit den Worten „ich hab dich lieb“ verabschiedet, worauf sie antwortete „ich dich noch viel mehr“. Inzwischen bin ich mir sicher, sie hatte recht.

Das menschliche Leben und das Spiel zwischen den Geschlechtern haben nur einen Zweck

Eigentlich dreht sich das ganze Leben biologisch gesehen nur darum, zu überleben, um Kinder in die Welt zu setzen und diese aufzuziehen. So hat es die Natur vorgesehen. In unserer zivilisierten Welt kann man das auch mal übersehen.

Das ganze Spiel zwischen den Geschlechtern von der Pubertät an – ob Schüchternheit und Scham, erste Verliebtheit, Händchenhalten, „Dating“, Fummeln, Sex, Beziehung – im Endeffekt dreht sich alles darum, irgendwann einen Partner zu finden, mit dem man oder vielmehr Frau, denn die bestimmen die Regeln, Kinder in die Welt setzen möchte. Dabei ist das ganze Kennenlernen, Ausgehen und auch der Sex eine Art Testlauf, ein Ausprobieren für den Ernstfall, nämlich das Zusammenleben als Eltern. Männer/Jungen sehen dagegen häufig den Sex als Ziel und begreifen damit einen großen Teil, die Konsequenz des Spiels, lange nicht. Übrigens noch eine Sache, die ich gelernt habe, wo wir gerade dabei sein: Weibliche Brüste mögen ein tolles Spielzeug für Männer sein, aber eigentlich sind sie für Kinder gemacht. Auch das lernt Mann erst mit der Zeit…

Was wirklich wichtig ist in einer Partnerschaft

Nein, es ist  nicht Sex. Spätestens dann, wenn das Baby auf der Welt ist, lernen junge Eltern, dass das Fundament einer Partnerschaft ist, Probleme gemeinsam lösen zu können – auch unter Stress und Schlafentzug. Dazu gehört auch, streiten und vergeben zu können, vermeintliche Fehler einzugestehen und Gefühle zeigen zu können. Sex kann ein guter Kitt für eine Beziehung sein, ist auf Dauer aber nicht entscheidend für eine funktionierende Partnerschaft.

Worum es wirklich im Leben geht

Von Natur aus bin ich überhaupt kein Familienmensch. Lange Zeit versuchte ich, Familientreffen so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Mit eigenem Kind habe ich begriffen, dass die eigene Familie die Keimzelle der Gesellschaft und die erweiterte Familie ein Netzwerk an Gleichgesinnten ist. Auf dieses Netzwerk kann man idealerweise zählen, wenn man als Elternteil einmal Hilfe braucht – und Hilfe braucht man auf die eine oder andere Weise – und daher sollte man die Familienbande pflegen. Man merkt dann auch, dass die ganze Sache nicht so schlimm ist wie früher wahrgenommen. In den meisten Fällen zumindest.

Für Kinder, deren Wohlbefinden und Erziehung zu sorgen, ist so schön wie erschöpfend

Kinder bringen viele Freuden, die Menschen ohne Kids nicht nachvollziehen können. Aber auch niemand ohne eigene Kinder kann verstehen, was für eine Kraftanstrengung es ist, für ein Kind zu sorgen. Dieses Unverständnis macht es Eltern häufig nicht leicht – zum Beispiel im Beruf. Früher, in der Zeit vor eigenen Kindern, reagierte ich häufiger einmal mit einem frustrierten Kopfschütteln, wenn eine meiner Mitarbeiterinnen nicht zur Arbeit kommen konnte, weil ihr Kind – mal wieder – krank war. Heute verstehe ich – und weiß, dass sich die Mutter selbst mit Sicherheit am wenigsten über die Situation freute.

Mit Kindern öffnet sich der Horizont – und die Welt zeigt sich neu

Als Elternteil bekommt man einen ganz neuen Blick auf seine Umgebung. Nein, damit meine ich nicht nur Kinderspielplätze und Freizeitvergnügungen, die einem früher nicht aufgefallen sind. Man entdeckt die Welt durch seine Kinder wieder – und begegnet ihr mit offenen Augen: wie sich die Natur mit den Jahreszeiten verändert, was für kleine Tiere am Wegesrand zu sehen sind, wie viel Freude ein Stück Schokolade machen kann, wie faszinierend ein Bus oder ein Bagger ist und wie viel Magie ein Karussell auf dem Weihnachtsmarkt ausstrahlen kann. Vieles in dieser Welt zeigt sich im Kleinen – und als großer Mensch ist man mit den Gedanken häufig zu beschäftigt, um dessen Zauber wahrzunehmen. Hier schaffen es Kinder, unsere Welt anzuhalten, unseren Blick zu justieren und oft auch, uns zu Tränen zu rühren.

Es gibt eine Zukunft – zumindest im Kleinen

Wie viele Menschen in meiner Generation habe ich die Tendenz, Dinge nicht allzu optimistisch zu sehen. „No Future“ war in den achtziger Jahren ein akzeptierter Lebensentwurf. Nun funktioniert das nicht mehr. Es muss eine Zukunft geben – für mein Kind. „Nach mir die Sintflut“ ist nicht mehr drin. Also lebe ich anders – mit einem langfristigeren Horizont, häufig ein wenig ängstlicher und konservativer, aber auch grundsätzlich optimistischer. Denn die Welt soll, kann, darf nicht mit uns untergehen. Meinen kleinen Teil will ich dazu beitragen – für meine Kinder und deren Kinder.