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Keine Lust auf Klamottenkauf: Ein Erlebnisbericht

Es mag Eltern geben, die sich mit schrecklichen Dingen herumschlagen müssen. Beispielsweise mit Marken-Wahn! Ich kann verstehen, wie grauenvoll das manchmal ist. Da werden Turnschuhe gekauft, die aus dünnem Kunststoff produziert wurden und weder lange haltbar, noch in irgendeiner Form komfortabel oder gesund sind. Aber es steht eben der richtige Markenname drauf. Und eben der ist es auch, der die Schuhe so sündhaft teuer macht. Ich habe vollstes Verständnis für alle Eltern, die den Kampf gegen den Marken-Wahn kämpfen. Unser Problem ist aber ganz anders gelagert.

Mit einem fünfjährigen Jungen einkaufen zu gehen, ist alles andere als Spaß. Zumindest, wenn dieser Fünfjährige unser Sohn ist. Er hat alles. Zumindest meint er das. Und dementsprechend war er gar nicht angetan von der Idee, dass wir doch einmal ein paar neue Klamotten mit ihm kaufen wollten. Während meine Frau und ich versuchten, ihn davon zu überzeugen, dass Kinder wachsen, sah er uns nur verständnislos an.

 

Andere Pläne

Tim fand nicht, dass er neue Klamotten brauchte. Er fühlte sich in denen, die er trug, pudelwohl, auch wenn sie langsam zu klein wurden. Außerdem hatte er für den Nachmittag sowieso andere Pläne. Es ging um nicht weniger als die Fertigstellung eines Wolkenkratzers aus Bauklötzen, an dem er bereits seit Wochen arbeitete. Er hatte sich als Architekt an diesem Projekt beteiligt, er hatte die gesamte Materialbeschaffung übernommen (aus der Kiste unter seinem Bett) und er war sich auch nicht zu schade gewesen, sowohl die Bauleitung als auch die Arbeiten der gemeinen Handwerker auf seine Fahne zu schreiben. Nun sollte heute das Bauwerk fertiggestellt werden, Journalisten aus aller Welt hatten sich in die Liste eingetragen, um darüber zu berichten. Ein Klamottenkauf kam also keinesfalls infrage. Jedenfalls nicht für Tim. Und nicht zu diesem Zeitpunkt. Man könnte jetzt natürlich sagen: „Das ist doch nicht so schlimm. Dann vertagt Ihr den Einkauf ganz einfach!“

Sicher, das könnte man sagen. Aber es würde auch nichts ändern. Denn diesen Tag gibt es nicht, an dem Tim bereit wäre, freudestrahlend mit zum Klamottenkauf zu kommen. Also zogen wir die Sache durch.

 

Gähnende Leere im Gesicht unseres Sohnes

Als wir das Kaufhaus betraten, wären wir am liebsten sofort wieder umgekehrt. Scheinbar hatte sich die ganze Stadt dazu verabredet, heute hier einkaufen zu gehen. In den Gängen versammelten sich haufenweise Menschen, und es hätte uns auch nicht weiter verwundert, wenn sie sich gestapelt hätten. Trotzdem: Wir waren jetzt in der Situation, das Ganze auch beenden zu müssen. Tims Laune war sowieso im Keller, ein Umkehren würde daran auch nichts mehr ändern. Also ran an den Feind! Aber so voll  die Gänge auch waren, so betriebsam es zuging in diesem gigantischen Kaufhaus – die Miene unseres Sohnes veränderte sich nicht weiter. Eher versteinert und unbeteiligt blickte Tim sich um. Dieser Blick schien zu sagen: „Was in aller Welt wollt Ihr hier? Ich fühle mich nicht zuständig in dieser Angelegenheit.“

 

Doof!

Auch das siebte Paar Schuhe gefiel Tim nicht. An eine neue Hose war noch gar nicht zu denken! Zuerst hatten wir es mit No-Name-Turnschuhen versucht. Aber keines der Modelle sagte ihm zu. Dann dachten wir uns, dass wir es mit edlen Marken wie Adidas, Puma und Nike versuchten sollten. Andere Kinder bekommen schließlich auch leuchtende Augen, wenn es um die trendigen Markennamen geht. Nicht aber Tim. Ob sich auf den Turnschuhen nun drei Streifen befanden oder nicht, an seinem Desinteresse konnte das nicht das Mindeste ändern. Meine Frau war irgendwann so genervt, dass sie sagte: „Ahhhh, ja, der weltberühmte Architekt trägt keine Turnschuhe, verstehe. Vielleicht sollten wir es mit einem Paar von 'Lloyd“ versuchen!“

 

Ich fand's lustig. Tim nicht.

Tim fand das alles doof. Nach wie vor sah er weder die Notwendigkeit unseres Vorhabens noch zeigte er sich auch nur ansatzweise kooperativ. Unsere Nerven wurden auf eine harte Probe gestellt, denn wir hatten an diesem Tag eindeutig unterschiedliche Prioritäten. Und es sah nicht danach aus, als würde sich das noch irgendwie ändern lassen.

 

Geschafft!

Irgendwie haben wir es dann doch geschafft. Es dauerte eine Ewigkeit und zum Schluss prüften wir nur noch, ob Maße und Preis unserer ausgesuchten Produkte passten. War das der Fall, wurden sie gekauft. Unser Fehler war ein denkbar einfacher. Wir wollten Tim beteiligen, wir wollten seinen persönlichen Geschmack berücksichtigen und ihm die Gelegenheit geben, Einfluss zu nehmen auf das, was er am nächsten Tag im Kindergarten tragen sollte. Aber es interessierte ihn nun einmal nicht, was er im Kindergarten anzog. Es war ihm völlig gleichgültig, ob er Markenschuhe oder No-Name-Schuhe trug. Wichtig war ihm nur, so schnell wie möglich wieder aus dem Laden herauszukommen, um sich den wirklich wichtigen Dingen im Leben zu widmen. Nämlich seinem Wolkenkratzer, der nicht weitergebaut werden konnte, weil Tim sich mit so etwas profanem wie Klamottenkauf beschäftigen musste. Und so kam es, wie es kommen musste. Am Abend, als wir Tim ins Bett brachten, hatte er nur ein Thema, sein Hochhaus, das er kurz vor dem Zähneputzen noch fertiggestellt hatte. Als wir ihn fragten, ob ihm denn die neuen Sachen auch gefallen würden, sagte er nur knapp: „Sie passen jedenfalls.“

Damit hatte er zweifellos Recht.