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Langzeitstudie: Gibt es sie doch, die Glücksformel?

Was ist Glück? Wie wird man glücklich? Und ist wahres Glück überhaupt möglich? Über kurz oder lang bewegt diese philosophische Frage wahrscheinlich jeden Menschen. Die längste Studie der Welt setzt sich seit über 70 Jahren damit auseinander. Und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen.

George Vaillant hat einen ausgesprochen großen Bekanntenkreis. Und das bereits seit über 70 Jahren. Gemeinsam mit Kollegen begleitet der Forscher von der Harvard University 268 Menschen. Dabei dreht sich alles um eine einzige Frage: was macht einen glücklichen Menschen aus? Vaillant hat Geburten erlebt, Hochzeiten, Firmengründungen, Todesfälle, Glücksfälle, Depressionen, neue Liebe und Trennungen, Alkoholexzesse und Depressionen. Der Antwort auf die Frage nach Glück ist er näher gekommen. Immerhin.

 

Nah dran an den Studienteilnehmern

Wer Menschen über 70 Jahre begleitet und regelmäßig mit ihnen spricht, kann dies  unmöglich auf die rein professionelle Sicht reduzieren. George Vaillant versucht das gar nicht erst und sagt: „Inzwischen habe ich fast väterliche Gefühle für manche von ihnen entwickelt. Gleichzeitig kommt es mir so vor, als würde ich ein paar Jahre hinter ihnen in ihre Fußstapfen treten und von ihnen lernen.“ Der Forscher ist inzwischen 77, die meisten seiner Studienteilnehmer sind rund 15 Jahre älter als er. Erforscht wird sehr gründlich und akribisch alles, was das Leben ausmacht. Alle fünf Jahre werden die Teilnehmer intensiv befragt. Dabei geht es um Fragen wie die, was im Moment gerade glücklich macht, wie es um das Eheleben bestellt ist und wie häufig masturbiert wird.

 

Bekanntes und Überraschendes

Man könnte kritisch anmerken, dass für bestimmte Erkenntnisse wohl kaum eine Studie von 70 Jahren angebracht ist. Die Tatsache, dass der Verzicht (oder zumindest das Eingrenzen) von Alkohol oder Zigaretten und gesunde Ernährung und fehlendes Übergewicht sich positiv auswirken, ist wahrlich nicht neu.

Deutlich interessanter ist ein anderes Ergebnis, zum dem Vaillant kommt. Er hat festgestellt, dass Bindungen ein Garant für ein glückliches Leben sind. Dabei geht es nicht nur um den Lebenspartner, sondern um menschliche Bindungen im Allgemeinen. Der Forscher spricht von menschenliebenden und einfühlsamen Verbindungen. Doch auch der Umgang mit Problemen stellt einen wichtigen Faktor dar.

 

Alles muss raus!

Die Tatsache, dass George Vailliant auch Psychologe ist, kam ihm bei seiner Langzeitstudie in höchstem Maße entgegen. Und so widmete er sich ausgiebig der Frage nach dem Umgang mit Problemen. Hier sieht Vaillant eine Schlüsselfrage beim Glück des Menschen. Ohne Schwierigkeiten geht es nicht im Leben, jeder Mensch hat damit zu tun. Doch wie geht man damit um? Für Vaillant sind die erfolgreichsten Krisenbewältiger die „Adaptierer“, also Menschen, die versuchen, aus problematischen Situationen zu lernen und damit umzugehen. Destruktiv wirke sich laut Vaillant das Projizieren von Problemen nach innen oder außen aus, ohne dass eine Verarbeitung erfolge. Die Konsequenz seien oft Depressionen und aggressives Verhalten. Besser fährt, wer bereit ist, aus Fehlern zu lernen und die Dinge in Zukunft anders anzugehen. Menschen, die das tun,  „kanalisieren ihre starken Gefühle oder aufkommenden Aggressionen so, dass sie innerlich keinen Schaden anrichten, beispielsweise mit Sport.“

 

Abschied vom Kind im Manne

Der These, dass wir von unserer Kindheit geprägt sind, widerspricht Vaillant, zumindest wenn ein gewisses Alter erreicht worden ist. Laut seiner Studie ist in fortgeschrittenem Alter kaum noch Einfluss aus der Kindheit auf einen Menschen festzustellen: „Niemand ist ein Gefangener seiner Kindheit. Entgegen der weitläufigen Meinung bestimmt sie das Leben im Alter nicht.“    

 

Schwächen der Studie

Die Stärken der Studie von George Vaillant liegen auf der Hand. So werden umfangreiche Daten aus den Bereichen Soziologie, Medizin und Psychologie miteinander verbunden und in umfassenden Vergleichen ausgewertet. Auch die lange Dauer gibt Aufschluss darüber, dass es sich keineswegs um eine Momentaufnahmen, sondern eine ganzheitliche Betrachtung handelt. Doch beim Stichwort Ganzheitlichkeit stößt die Studie bereits an ihre Schwächen. Eine davon besteht in der Tatsache, dass daran nur Harvard-Studenten teilgenommen haben. Das schmälert die allgemeine Gültigkeit der Ergebnisse doch sehr. Zum anderen wurden über den ganzen Zeitraum hinweg nur Männer mit einbezogen. Die weibliche Sicht auf die Frage des Glücks wäre sicherlich hilfreich, um zu weitreichenden Erkenntnissen zu kommen.

 

Was ist überhaupt Glück?

Wer ist eigentlich glücklich? Derjenige, der auf ein langes Leben zurückblicken kann und am Ende einsam und verbittert stirbt? Oder der, der alles mitnimmt, was er kriegen kann, aber mit Anfang 40 auf dem Sterbebett liegt? Nach welchen Kriterien wird ein glückliches Leben beurteilt? Und wer entscheidet über diese Kriterien? Endgültige Antworten auf diese Fragen gibt es nicht, zumindest keine, die auf jeden Menschen zutreffen. Trotzdem gibt es das eine oder andere, das die Auswertung der Studie zur Folge hatte. Eine Gruppe Philosophen, die sich intensiv den Gesprächsprotokollen widmete, kam zu einem interessanten Schluss: Menschliche Weisheit erreicht mit dem 45. Lebensjahr ihren Höhepunkt. Gemeint ist die Fähigkeit, das Erlebte aus einer gewissen Perspektive zu betrachten, gewissermaßen einen Schritt zurück zu treten. Wobei man dabei genau genommen ergänzen muss, dass es sich offenkundig nicht um menschliche Weisheit handeln kann, sondern nur um männliche. Weibliche Weisheit kann sich aus den Protokollen von Männergesprächen sicher nicht ermitteln lassen.