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Von der freien Wildbahn ins Gehege – der domestizierte Mann

Vor tausenden von Jahren, waren wir Jäger, zogen in Fellen durch dichte Wälder auf der Jagd nach Mammuts und Säbelzahntigern. Was man uns nicht gab, holten wir uns und unsere Heldentaten zeichneten wir an die Wände von Höhlen. Das ging in abgewandelter Form so bis in die 50-Jahre des 20. Jahrhunderts, doch dann begann unsere Domestizierung - mit dramatischen Folgen.

Manchmal erinnere ich es, als wäre es gestern gewesen. Es war zwei oder drei Uhr morgens und ich zog über die Reeperbahn, das letzte, schale Bier in der Hand, die Augen schon halb geschlossen, im Mund ein pelziger Geschmack. Das grelle Neonlicht der Nachtclubreklamen nahm ich nur schemenhaft wahr und die ständigen „Na, Süßer, wie wäre es mit uns beiden“ – Anmachen der allgegenwärtigen Bordsteinschwalben ignorierte ich mit wegwerfender Handbewegung. Es war eine Jugend in Hamburg. Zwischen zu viel Alkohol und Marihuana und zu wenig Sex – zumindest empfand ich es so.


Brummschädel und One-Night-Stands

Dann am Samstag- oder Sonntagmorgen - die ersten Sonnenstrahlen fielen durch die Jalousien und in meinem Kopf befand sich ein Bergwerk voll hämmernder Zwerge. Umso erstaunter der Blick in das Zimmer, das nicht meines war und auf das Ende der Bettdecke, unter der vier Füße hervorlugten. Sarah, Saskia, Sina, Sandra – keine Chance, den Namen der Dame, die da neben mir ihren Rausch ausschlief, zu erraten. Egal. Aufgestanden, eine Hand Wasser ins Gesicht, Hose gegriffen, unbeholfen, auf einem Bein hüpfend, in die Socken geschlüpft und leise aus dem Zimmer geschlichen. Ich würde anrufen – vielleicht. Der Jäger war erfolgreich, das Wild war erlegt.


Zeitsprung

Wenn ich heute ans Ende meiner Bettdecke schaue und da mehr als meine beiden Füsse entdecke, sind es meist gleich drei Paar und ich kann mich bestens an die Namen ihrer Besitzer erinnern, denn die Zeiten exzessiven Alkoholgenusses liegen Jahre zurück. Auch heute gehe ich noch auf die Jagd, aber das Ziel ist nicht mehr das andere Geschlecht. Heute geht es um Trockner, Waschmaschinen und andere Gerätschaften, um gute Urlaubsangebote und Schlussverkäufe für Kinderkleidung. Ich kann sagen: ich wurde erfolgreich domestiziert.


Eine Veränderung in Schritten

Die Domestizierung begann mit dem Einzug meiner Frau, direkt im Anschluss an unsere Heirat. Eigentlich logisch, aber dennoch eine große Umstellung. Eine Frau im Hause, und zwar nicht nur für eine Nacht, nicht nur für ein Wochenende. Keine, die Sonntagabend wieder in ihre Wohnung gehen würde - nein, das war eine die blieb. 24 Stunden, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Meine „Heim-Brauerei“ musste aus der Küche verschwinden, Bierkästen - jahrelang als vollwertiger Sitzmöbelersatz akzeptiert - wurden zum Getränkemarkt gebracht, meine Kinosessel, die in der Küche standen, wichen Börum, Kävla oder wie die gesichtslosen Sitzgelegenheiten eines schwedischen Einrichtungshauses auch hießen. Wollte ich das? Ich weiß es nicht, aber es war der Preis.


Ein flotter Dreier

Zu zweit gab es noch Fluchten, gab es Nischen für den wilden Mann, gab es Männerabende, Parties bis in die Morgenstunden und Wochenendausflüge - doch dann deutete sich der Nachwuchs an und die Domestizierung erreichte ihre nächste Stufe. Parties verlassen wir nun spätestens um 22 Uhr, Alkohol nur noch in homöopathischen Dosen und aufgestanden wird um 6.30 Uhr. Der Haushalt folgt einem Plan, gegessen wird zu festen Zeiten und abends bin ich meist so müde, dass schon das Drücken der Taste auf der Fernbedienung Anstrengung verursacht. Wie sagt das Sprichwort: Man kann den Tiger aus dem Dschungel bringen, nicht aber den Dschungel aus dem Tiger. Bei mir hat das geklappt. Ich bin kein Cowboy mehr, sondern nur noch ein Couchboy, vom Tiger zum Stubentiger der sanft schnurrend seinem Frauchen den Nacken krault. Aber - und da bin ich der Natur dankbar - ich habe mich an mein neues Dasein gewöhnt, ich mag es, es gefällt mir und von Jahr zu Jahr vermisse ich die „freie Wildbahn“ immer weniger.