© Tommy Windecker - Fotolia.com

Wie ich versuchte, meinem Sohn das Schwimmen beizubringen - ein Erlebnisbericht

Als Vater ist man für vieles zuständig. Man ist Vorbild, erklärt die wichtigen Fragen des Lebens und hat ganz praktische Aufgaben. So war ich beispielsweise dafür zuständig, dass unser Sohn das Schwimmen lernen sollte. Für ihn selbst war das zunächst nicht nachvollziehbar. Er war noch klein und sah im Grunde keinerlei Veranlassung, in etwas anderes als die Badewanne zu steigen. Ich musste also zunächst Überzeugungsarbeit leisten.

Meine Frau fühlte sich nicht berufen, als wir das erste Mal darüber sprachen, dass unser Sohn schwimmen lernen soll. „Das ist eine Sache zwischen Männern“, sagte sie lapidar. Mir ist in all den Jahren nicht ganz klar geworden, wann genau etwas eine „Sache zwischen Männern“ ist und wann nicht. Und ich neige zum Verdacht, dass die Entscheidung darüber oftmals auch gar nicht von den Männern getroffen wird. Jedenfalls war ich auserkoren, unserem Sohn Tim das Dasein im Wasser zu zeigen, ohne dass man dabei auf dem Hinterteil sitzt und Spielsachen untertaucht.

 

Die Dusche davor

Wie gesagt, Begeisterung konnte oder wollte der kleine Mann nicht zeigen, als wir uns auf den Weg ins Schwimmbad machten. Er hatte eigentlich andere Pläne, aber manchmal muss man eben als Vater sagen, wo es langgeht. In diesem Fall führte der Weg ins Schwimmbad. Dort angekommen verbesserte sich Tims Stimmung. Es waren jede Menge Kinder da, es war laut (was ihm sehr gefiel) und alles war so schön blau. Das Wasser, die Kacheln, sogar die Umkleidekabinen. Nachdem wir uns umgezogen hatten, sagte ich Tim, dass wir nun erst einmal duschen müssten. Wieder so etwas, mit dem er nicht einverstanden war. Er machte mir unmissverständlich klar, dass wir doch zum Schwimmen hergekommen seien, nicht zum Duschen. Meine Argumentationskette über Hygiene war zu schwach aufgebaut, um ihn zu überzeugen. Trotzdem kam er mit, was hätte er auch tun sollen?

Noch mehr Dusche

Das Duschen machte Tim dann doch mehr Spaß, als er vorher angenommen hatte. Zudem waren noch einige andere Kinder unter der Dusche, sie kreischten entzückt herum und seiften sich von oben bis unten ein. Tim fand das prima. Nach ein paar Minuten war es dann aber doch Zeit, sich in die Fluten zu begeben. Fand ich. Tim wollte aber weiterduschen, er hatte richtig Gefallen daran gefunden. Es dauert eine Weile, bis ich ihn vom eigentlichen Zweck unseres Schwimmbadbesuchs überzeugen konnte. Schließlich sagte ich „Duschen musst Du nicht lernen, das kannst Du schon. Jetzt lernst Du schwimmen“.

Die richtigen Bewegungen

Für mich war das Becken optimal. Ich konnte bequem stehen, um Tim festzuhalten. Sein Urvertrauen war nicht nur grenzenlos, sondern auch so schmeichelhaft, dass mir fast die Tränen der Rührung kamen. Er begab sich in meine Arme, wohl wissend, dass unter ihm endlose Tiefe sein würde. Aber da war sein Vater, der ihm sagte, er würde ihn nicht loslassen, unter keinen Umständen. Das allein reichte Tim, um sich der neuen Situationen auszuliefern. Hätte er Anzeichen von Panik gezeigt, irgendetwas in der Art, das auf eine Wasser-Phobie oder Ähnliches hinweisen würde, ich hätte ihn sofort aus dem Wasser entfernt. Meine Philosophie war (und ist!), dass Tim zwar das Schwimmen lernen sollte, aber nicht um jeden Preis. Sollte er also noch nicht soweit sein, würde ich den Besuch unverzüglich abbrechen und auf einen neuen Zeitpunkt warten, einen besseren. Die Diskussionen deswegen mit meiner Frau hätte ich in Kauf genommen, wenn auch unwillig. Aber Tim zeigte weder Panik noch Angst noch auch nur eine übertriebene Vorsicht. Er genoss seinen Aufenthalt im Wasser in vollen Zügen und machte viele Bewegungen, die sicher dazu beitragen würden, dass er abends gut schlafen würde. Die richtigen Bewegungen waren aber nicht dabei. Und so war mir klar, dass noch eine Menge Arbeit vor uns lag. Beim nächsten Mal dann. Heute nicht, denn heute ging es erst einmal darum, dass er sich mit dem Element Wasser vertraut machte. Ich verschob meinen eigentlichen Job also und spielte mit Tim.

 Jetzt aber!

 Ich sage es lieber gleich. Ich bin gescheitert damals. Kläglich. Tim hatte immer viel Freude, wenn wir ins Schwimmbad gingen, er amüsierte sich köstlich und aus seiner anfänglichen Abneigung war Begeisterung pur geworden. Das Einzige, was fehlte, waren Erfolge. Im Sinne von „Jetzt-kann-er-schwimmen“. Sein Urvertrauen, das mich so gerührt hatte, war inzwischen zu einem Teil des Problems geworden, denn da Tim wusste, ich würde ihn nicht loslassen, gab er sich keine rechte Mühe, meinen Anweisungen zu folgen. Mittlerweile waren gut 6 Wochen vergangen und meine Frau zweifelte ernsthaft an meinen Methoden. Zu Recht, wie ich einräumen musste. Nichtsdestotrotz war der Durchbruch fast geschafft, wir wussten es nur noch nicht. Wenige Tage später sollte Tim seine ersten erfolgversprechenden Schwimmversuche unternehmen. Und es sollte auch nicht mehr lange dauern, bis er das „Seepferdchen“-Abzeichen erhalten sollte. Mein persönlicher Anteil daran hielt sich jedoch in überschaubaren Grenzen, denn es war ein professioneller Schwimmlehrer, der sich der Sache annahm. Tim sah in mir seinen Vater, den er liebte. Aber im Schwimmlehrer sah er das, was ich wochenlang sein wollte: einen Schwimmlehrer. 

 

Jörg Wellbrock, 44, arbeitet als freier Texter und Autor. Neben seinen  hauptberuflichen Texten verfasst er Satiren, Gedichte und  Kurzgeschichten Er tritt regelmäßig auf literarischen Lesungen auf.
Wellbrock ist geschieden und hat einen 15-jährigen Sohn.