© Maksym Dragunov - Fotolia.com

Vater und Soldat - zwischen Familiennormalität und Ausnahmezustand

Die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat angekündigt, den Beruf von Soldaten und Soldatinnen familienfreundlicher zu gestalten. Wie genau sie diese Ankündigung realisieren will, ist derzeit eher vage. Doch wie gestaltet sich der Alltag für Kinder, wenn (meist) der Vater in den Krieg zieht?

Führt Deutschland in Afghanistan Krieg? Oder ist es nur ein „internationaler Friedensauftrag“? Je nach Standpunkt, wird man die eine oder andere Beschreibung lesen und hören können. Doch wenn der Papa seine Sachen packt und in Richtung Afghanistan (oder auch ein anderes Land) zieht, ist für den Nachwuchs klar: Papa geht zum Krieg. Das schafft Angst. Und Hilflosigkeit.

 

Lukas weint

Seit gestern ist Papa weg. Der achtjährige Lukas sitzt in der Küche und weint bitterlich. Er hat gehört, dass es in Afghanistan riesige Spinnen und andere Tiere gibt, die gefährlich sind. Seine Mutter weint nicht, die muss tapfer sein, obwohl ihr zum Heulen zumute ist (und sie genau dasselbe tun wird, später, wenn Lukas im Bett liegt und schläft). Sie versucht, ihrem Sohn Mut zu machen, ihn aufzumuntern und erklärt, dass Papa für das Richtige kämpft. Immer wieder denkt sie gleichzeitig darüber nach, ob das wirklich stimmt. Was ist denn das eigentlich, das Richtige? Zumindest fühlt es sich falsch an, dass sie hier mit ihrem Sohn sitzt, der weint, und ihm erklären muss, dass mit seinem Vater alles in Ordnung ist und dass er bald wieder kommt. Obwohl sie beides nicht mit Sicherheit weiß.

 

 

Ängste von Kindern im Wandel

Welche Ängste ein Kind hat, wenn der Vater in Krisen- oder Kriegsgebiete geschickt wird, hängt neben der Persönlichkeit und der Aufarbeitung innerhalb der Familie auch vom Alter ab. Kleinere Kinder sorgen sich um ganz praktisch alltägliche Dinge, etwa die Frage, ob sie den Kindergarten oder die Schule wechseln müssen. Bei Kindern, die schon ein wenig älter sind, werden die Vorstellungen über das, was ihren Vater erwarten könnte, sehr viel konkreter. Meist fürchten sie sich davor, dass er verletzt werden könnte. Und selbstverständlich ist es eine Frage der Zeit, bis sich die Angst vor dem Tod heranschleicht wie – um im Bild zu bleiben - der Feind aus dem Hinterhalt.  

 

 

Nachrichten machen Stimmungen

Etwa eine Woche nach der traurigen Stimmung in der Küche und den vergossenen Tränen gibt es erneut Aufregung. Lukas hört zufällig im Radio von einem Zwischenfall in Afghanistan. Zehn Menschen sind dabei ums Leben gekommen und Lukas ist völlig aufgelöst. Er weiß nicht, dass sein Vater in einer ganz anderen Stadt stationiert ist. Er weiß auch nicht, dass es sich nicht um deutsche Soldaten handelt, die ihr Leben lassen mussten. Er nimmt nur die Worte „Afghanistan“, „Bombe“, „Explosion“ und „Tote“ wahr und ist völlig panisch. Seine Mutter kommt sofort angerannt und schafft es, Lukas den Sachverhalt zu erklären. Der Kleine beruhigt sich zwar wieder, aber die Angst sitzt jetzt noch tiefer. Es fleht darum, dass sein Papa so schnell wie möglich wieder zu Hause ist. Lukas will spielen, kuscheln, albern und mit seinem Vater reden. Er vermisst ihn so sehr.

 

 

„Wir schaffen das!“ - Schaffen wir das wirklich?

Die Bundeswehr ist bemüht, den Angehörigen von Soldaten die Ängste zu nehmen. Allerdings wirkt sie dabei recht hilflos. In einem Ratgeber mit dem wohlklingenden Namen „Wir schaffen das! Eine Hilfestellung für Eltern, die mit ihren Kindern die Zeiten berufsbedingter Trennung meistern wollen“ gibt es Tipps, die ein bisschen wie wirkungslose Bonbons anmuten, wenn sich der Nachwuchs gerade das Bein gebrochen hat. Ganze 44 Seiten stark ist die Broschüre, die mit Hilfestellungen wie dieser kommt: „Als Vater einen Tonträger mit gemeinsam ausgewählten Lieblingsgeschichten besprechen.“

Brisanter wird es bei diesem Tipp: „Möglichst anschaulich davon erzählen, was der Papa machen wird, wenn er weggeht.“

Lukas' Mutter sitzt alleine im Wohnzimmer, vor sich hat sie die Broschüre ausgebreitet. Als sie liest, sie solle ihrem Sohn anschaulich erzählen, was sein Vater macht, fragt sie sich verzweifelt, wie das gehen soll. Soll sie ihm von Panzerfahrten erzählen? Von der Suche nach Terroristen oder von der Gefahr, die von Sprengfallen ausgeht? Nein, denkt sie sich, natürlich kann sie das Lukas nicht erzählen, er ist ja schon jetzt ganz außer sich vor Angst.

Soll sie ihn stattdessen anlügen und den Einsatz seines Vaters wie einen Ausflug oder ein Abenteuer darstellen? Auch das geht nicht, denn sollte Lukas irgendwann herausfinden (und davon muss seine Mutter ausgehen), dass er die andere Seite des Krieges erfährt, sei es durch die Nachrichten im Radio, durch eine Fernsehsendung oder durch andere Kinder, könnte sie ihm nicht mehr guten Gewissens in die Augen sehen, es wäre ein schrecklicher Vertrauensbruch. Und letztlich – so genau weiß auch Lukas' Mutter nicht, was sein Vater macht. Wie soll sie es da anschaulich darstellen?

 

 

Krieg bleibt Krieg

Der Titel der eben angeführten Broschüre macht deutlich, wie versucht wird, den Schrecken des Krieges zu relativieren. Durch rhetorische Kunststücke wie die Bezeichnung von Auslandseinsätzen als „berufsbedingte Trennung“.

Doch für die Familie, die zu Hause bleibt und wartet und hofft, dass all das bald vorbei sein möge, ist es egal, wie man es nennt, und mag es noch so blumig und harmlos klingen: Krieg bleibt Krieg.