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Raus aufs Land der Kinder wegen

Kaum KITA-Plätze, viel Verkehr und hohe Mieten - das Leben in den Metropolen Deutschlands ist für Familien nicht leicht. Es lockt der Umzug in die Vororte oder gleich ganz aufs Land. Doch ist das wirklich so einfach?

Der Fahrstuhl kam nicht. Mal wieder. Also die Treppe. Gefühlte hundert Stufen - und dabei einen schweren Kinderwagen tragen. Oben angekommen schlugen uns Rauchschwaden, verursacht von zig Zigaretten entgegen. Nach einem Spießrutenlauf durch Passanten und Wartende schafften wir es endlich aus dem Bahnhof heraus auf die Straße. Es war dieser Tag im August 2010 an dem meiner Frau und mir schlagartig klar wurde, dass wir „stadtmüde“ sind. 



 

Die Stadt ist nicht mehr ideal


Bereits in den Wochen zuvor mussten wir feststellen, dass sich das Leben in der Stadt mit Kind schlagartig anders darstellte, als noch ohne Kinderwagen. Schmale Bürgersteige, gefährliche Straßenübergänge, Dreck und schlechte Luft. All das hatte uns in den sieben Jahren ohne Kind nicht sonderlich gestört. Doch nun, wo wir unsere Wege täglich mit Kinderwagen absolvieren mussten, bemerkten wir erst, wie rücksichtslos die Stadt sein kann. Wie oft mussten wir Busse fahren lassen, weil sie überfüllt und für unseren Kinderwagen kein Platz mehr war, wie häufig den Kinderwagen draußen stehen lassen, weil Gebäude nur durch Treppen zu erreichen waren. 

 

Kein Wohnraum


Doch das weit wesentlichere Problem bestand darin, eine bezahlbare Wohnung für eine Familie zu finden. Eine 4-Zimmer-Wohnung in unserer Nähe gab es im günstigsten Fall für 1000 € - kalt. Das überstieg unsere Möglichkeiten - von der nötigen Grundsanierung der Wohnung einmal abgesehen. Je länger wir suchten, desto mehr erweiterte sich unser Radius. Aus dem Zentrum wurde das Randgebiet, dann Vororte und schließlich erstreckte sich unsere Wohnungssuche auf einen Radius von 50 km. 

Dann raus und in die Berge
Da wir aber kein Auto hatten in der Stadt brauchten wir dieses nicht kamen wir schnell zu der Erkenntnis, dass wir bei dieser Entfernung unsere Freunde in der Stadt weit seltener sehen würden. Dann, so dachten wir, könnten wir aber auch gleich ganz woanders hinziehen. Unser Traum: die Berge. Das Allgäu war schnell als idealer Wohnort ausgemacht. Berge, Wälder, Tiere, Seen, Ruhe und bezahlbarer Wohnraum. Es dauerte nicht lange, bis wir eine Wohnung fanden, von der wir in der Stadt nicht einmal geträumt hätten. 110 Quadratmeter, 4 Zimmer, viel Holz, großes Bad, frisch renoviert in einem denkmalgeschützten Haus aus dem 15. Jahrhundert. Und das alles für deutlich unter 1000 € - warm. Genauso schnell war der Krippenplatz für unseren Sohn gesichert. Die Krippe freute sich über unsere Anmeldung, mussten sie sich doch hier besonders anstrengen, um alle offenen Plätze zu besetzen. Für uns verkehrte Welt. 

 

Einige Zweifel


Aber waren wir wirklich bereit, die Stadt und unsere Freunde zu verlassen? Waren wir für das Landleben geeignet? Kein Kino, keine Konzerte internationaler Stars mehr, keine große Restaurantauswahl, keine Kunstausstellungen? Ob wir dafür gemacht waren, wussten wir nicht, aber dass wir es ausprobieren wollten, da waren wir uns sicher. So unterschrieben wir den Mietvertrag. Nun hatten wir noch drei Monate Zeit, dann würde aus unseren Planspielen Ernst werden. 

Und die Arbeit? 
Für mich als Selbstständigen ohne Ortsbindung war es kein Problem, mein Büro aufzugeben und fortan vom „Home-Office“ aus zu arbeiten. Für meine Frau war der Schritt ungleich größer. Die Auswahl an passenden Stellen bei uns im Ort war weder groß noch passend. So war klar, dass sie den Radius ihrer Arbeitssuche erweitern müsste. Sie machte sich also daran, zahlreiche Bewerbungen zu schreiben. Die Resonanz war positiv - aber erfolglos. Nun zeigte sich der erste Nachteil unserer Entscheidung. Wir hatten kein Auto und der öffentliche Nahverkehr auf dem Land, ließ manche Wünsche offen. Das erschwerte die Arbeitssuche für meine Frau erheblich. Kurz bevor sie begann, die Entscheidung für den Umzug aufs Land zu bereuen, kam dann doch noch der ersehnte Anruf. Ein großes, internationales Unternehmen aus der nächsten Stadt hatte Interesse an ihr. Das Beste: Die Firma war gut per Bahn zu erreichen. 

 

Nun fast genau ein Jahr

Nun ist es fast genau ein Jahr her, dass wir den Schritt hinaus aus der Stadt aufs Land gewagt haben. Unser Sohn fühlt sich richtig wohl, hat Freunde in der Krippe und genießt die vielen Spielmöglichkeiten. Die Wochenenden nutzen wir im Sommer für Wanderungen und Radtouren, gehen in einem von sechs Badeseen schwimmen oder machen ein Picknick auf der Wiese. Umgeben von einem traumhaften Bergpanorama, dichten Fichtenwäldern, Kühen und Bächen haben wir den Schritt bis heute nicht bereut. Da wir nur zwei Autostunden von unserer „alten Heimat“ entfernt wohnen, kommen häufig Freunde zu Besuch, die die Freizeitangebote hier bei uns ebenso genießen.  Besonders für Kinder bieten sich ideale Bedingungen und das wiederum entlastet die Eltern. Denn nach einem Tag am See oder Fluss oder nach einer langen Radtour fallen die „Kleinen“ abends todmüde ins Bett. Den Eltern bleibt so Zeit bei einem Glas Wein auf der Terrasse zu sitzen und zuzusehen, wie die Sonne die Berggipfel in rosa Licht taucht, während das Gebimmel der Kuhschellen die Heimkehr der Kühe andeutet. Für uns das Paradies.     

 

Christian Mörken, 39 Jahre, lebt als freier Autor, Redakteur und Texter mit seiner Frau Gabriela und seinem Sohn Noah Maximilian in Pfronten.