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Vom Sachen haben wollen – über das Konsumverhalten von Kindern

Die meisten Kinder kaufen gerne Dinge. Solche, die Eltern nicht für sinnvoll halten, sondern auch Sachen, die sie schon in anderer Ausführung haben. Kaufen um des Kaufens und des „haben wollens“ wegen. Gerade für Eltern, die ihr eigenes Konsumverhalten überdenken, ist das eine Herausforderung. Warum ticken Kinder so? Autor Nils Pickert hat seine Kinder beobachtet und teilt seine Gedanken zu dem Thema.

Mein siebenjähriger Sohn kauft gerne Zeug, während ich versuche, ihn davon abzuhalten – und das schon seit einer ganzen Weile. Die schlimmste Zeit war, als wir für knapp zwei Jahre direkt neben einem dieser 1 Euro-Shops gewohnt haben, die ich schon aus geruchlichen Gründen nicht betreten kann, ohne Kopfschmerzen zu bekommen. Aber Söhnchen hat es jede Woche dorthin gezogen. Um grobschlächtige Porzellanzwerge zu kaufen, die zerbrechen sobald man sie zu fest auf den Tisch stellt. Um Taschenmesser zu erwerben, die nicht schneiden und nicht rostfrei sind. Immer wieder irgendwas haben wollen. Nippes, Tand, Stehrümchen, Kruscht, Scheißndreck. Es war nicht etwa so, dass er den Wunsch danach verspürte, etwas zu kaufen, weil er es brauchte oder haben wollte. Wenn ich ihn gefragt habe, was genau er denn in dem Laden kaufen möchte, wusste er es vorher nie. Es ging ihm dabei fast immer um den Akt des Kaufens – spätestens ab der Pubertät auch Shoppen genannt. Und so ist es auch heute noch. Ich habe also einige Schwierigkeiten mit dem Konsumverhalten meines Kindes und weiß von befreundeten Eltern, dass es ihnen ähnlich geht. Menschen mit durchschnittlichem Einkommen, passionierte Flohmarktgänger, Leute, die sich gerne mit gebrauchten Sachen umgeben – alle scheinen mehr oder weniger vor der Herausforderung zu stehen, dass ihr Nachwuchs auf ihr konsumkritisches Verhalten mit Unverständnis und Desinteresse reagiert. Eine Freundin erzählte mir kürzlich, dass ihre neunjährige Tochter sich zum Geburtstag ein Taschenmesser gewünscht habe. Eines ganz für sich alleine. Also hat meine Freundin ein richtig gutes Schweizer Taschenmesser gekauft und den Namen ihrer Tochter eingravieren lassen. Dementsprechend groß war die Freude beim Auspacken. Ein paar Tage später hat sich die Tochter allerdings auf einem Flohmarkt ein weiteres Taschenmesser gekauft und noch ein paar Tage später wollte sie eines, das genauso blau ist wie das von ihrem besten Freund. Auf die gutgemeinte und etwas irritierte Ermahnung der Mutter, sie habe doch schon ein supertolles Taschenmesser zum Geburtstag bekommen, kam die nicht weniger irritierte Entgegnung: Na und?!
 

 

Warum wollen Kinder kaufen und haben – und immer mehr davon?

 

Was ist das nur? Warum will dieses Mädchen immer noch ein Taschenmesser mehr? Weshalb türmen sich in immer mehr deutschen Kinderzimmern Berge von Zeug, deren Sinn nur darin zu bestehen scheint, von einer Ecke in die andere geschoben und regelmäßig vergrößert zu werden? Und weshalb gibt mein kleiner Kerl Geld für Dinge aus, die ihn offenkundig überhaupt nicht interessieren?

Die Antwort ist so einfach wie erschreckend: Kinder und Jugendliche sind als potentielle Kundschaft entdeckt worden und werden von der Industrie als solche entsprechend adressiert. Wir leben in einem Gesellschaftssystem, das auf Wirtschaftswachstum ausgerichtet ist. Selbst wenn also Eltern heutzutage zunehmend konsumkritisch agieren und sich angesichts prekärer und befristeter Arbeitsverhältnisse immer genauer überlegen, wofür sie ihr Geld ausgeben sollen, müssen Waren gekauft werden. Mehr Waren. Ganze Industriezweige leben davon, dass wir uns über viele Jahre hin angewöhnt haben, Kindern zu Fest- und Feiertagen etwas zu schenken. Ostern, Geburtstag, Nikolaus, Weihnachten, Verwandtenbesuche. Zu jeder sich bietenden Gelegenheit bekommen die Kleinen etwas. Und zwar nicht, weil sie etwas brauchen, sondern weil wir es uns so angewöhnt haben. Beschenken scheint genau wie Konsumieren eine Verpflichtung geworden zu sein. Vor dem Geburtstag rufen die Großeltern, Onkel und Tanten an und wollen wissen, was man dem Kind denn schenken könnte, und klingen merklich enttäuscht, wenn einem nicht auf der Stelle einfällt, was es zu kaufen gilt:
„Kleidung, Spielzeug, Bücher, Elektronik?? Jetzt sagt schon, was sollen wir kaufen?!“
„Ähm, eigentlich hat er/sie schon alles.“
„Wie alles – und was sollen wir dann schenken?“
 

 

Konsum als Teilhabe an der Gesellschaft

 

Konsumieren ist identitätsstiftend und Teilhabe an unserer Gesellschaft. Wir finden statt, weil wir kaufen. Wir halten uns an Orten auf, wo wir Eintritt bezahlen. Die Frage nach „Meinem schönsten Ferienerlebnis“ ist heute mehr denn je eine Frage danach, wer es sich leisten kann, in die Ferne zu verreisen. Unseren Kindern entgeht das nicht. Meinem Sohn entgeht das nicht. Er imitiert meine vielfachen pekuniären Verstrickungen (für die ich natürlich alle wahnsinnig schlüssige Erklärungen habe) einfach dadurch, dass er Kram kauft. Und mich, wenn wir am Wochenende gemeinsam das Haus verlassen, fragt, wie viel Geld ich dabei habe. Was mich wiederum zu einer Frage bringt, die ich mir als Kind nie gestellt habe:
Kann man eigentlich draußen noch etwas machen, ohne Geld dafür zu bezahlen?

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Nils Pickert, Jahrgang 1979, gebürtiger (Ost-)Berliner, lebt und arbeitet als freier Autor und Texter in Norddeutschland. Er ist passionierter Koch und Vater zweier Kinder.
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