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Hilfe – Unsere Wohnung wird zum Spielzimmer ! - Ein Leidensbericht

Der Kampf um Mittelerde? Der Angriff der Rebellen auf den Todesstern? Die Belagerung Hogwarts durch die Todesser? Allesamt Pipifax - Die ultimative Schlacht findet zuhause statt. Spielzeuge sind die Waffen der Wahl.

Die dunkle Bedrohung

Bei mir zuhause herrscht Krieg. Und wie so oft bei Kriegen, geht es um Raumgewinn. Meine Wohnung hat vier Zimmer: das Schlafzimmer, das Wohnzimmer, das Kinderzimmer und ein Tobe-/Gästezimmer. Wie ihre Bezeichnungen bereits vermuten lassen, sind das Kinder- und das Tobezimmer, wenn keine Gäste da sind, das Reich unserer Töchter. Hier können die beiden spielen, sich austoben und ihr Spielzeug ausbreiten. Das Wohnzimmer und das Schlafzimmer sind hingegen die elterlich dominierten Bereiche.
Wäre unsere Wohnung das Spielbrett des Spieleklassikers RISIKO, würde es jedes dieser vier Zimmer als eigenes Feld in einer eigenen Farbe darstellen. Hinzu kämen noch vier weitere Spielfelder für das Badezimmer, die  Küche, das WC und einen kleinen Flur. Auf den Spielfeldern Kinder- und Tobezimmer würden die Spielfiguren meiner Kinder stehen (sie würden übrigens rosa wählen), während die Felder Schlaf- und Wohnzimmer von den elterlichen Einheiten besetzt wären. Zum Beispiel in gelb. Die vier übrigen Felder blieben unbesetzt.
Soweit die Theorie. Die Praxis sieht hingegen komplett anders aus.

Angriff der Klonkrieger

Spielzeuge, Bilderbücher, Hörspiele, Schmusetiere, Bastel-Utensilien und Kinderkleidung denken gar nicht daran, in den ihnen zugedachten Bereichen zu bleiben. In einer schier endlosen Überzahl quellen sie aus dem Kinderzimmer heraus und verteilen sich über weite Teile der Wohnung.
Und mich nervt es dann total, wenn ich beispielsweise auf dem Sofa zwischen zurückgelassenen Puppen, liegengelassenen Jacken und zwischengelagerten (und dann vergessenen) Papierschnipseln keinen Zentimeter freien Platz mehr  für mich finde. Meine Frau hat diesbezüglich eine größere Gelassenheit. Manchmal beneide ich sie darum, manchmal wünschte ich, es wäre anders.
In solchen Momenten greife ich dann meistens zu einer denkbar einfachen Verteidigungstaktik: Aufräumen. Mal alleine, mal mit der erzwungenen Unterstützung meiner Kinder.

Das Imperium schlägt zurück

Doch egal wie viel ich aufräume, und egal, wie viele Kindersachen ich zurück ins Kinderzimmer trage, kaum drehe ich mich um, scheinen ihre Plätze in der Wohnung von neuen Sachen eingenommen worden zu sein.
Das Waffenarsenal meiner Kinder scheint unendlich zu sein (Wo zum Teufel kommen nur diese ganzen Spielsachen her?) und ihre Energie, sie zu verteilen, nie zu erlöschen. Peng! steht das Schaukelpferd im Flur. Bamm! breiten sich Kinderbücher in dem Bücherregal im Wohnzimmer aus. 
Auf dem RISIKO-Spielbrett meiner Wohnung würden die rosa Spielfiguren eindeutig dominieren. Die Spielfelder Kinder- und Tobezimmer bilden die zentrale Achse ihrer Macht und wären bis an den Rand mit rosa Steinen vollgestopft. Das Feld Wohnzimmer? Besetzt von der rosa Infanterie. Das Feld Badezimmer? Eingenommen von der rosa Kavallerie. Das Feld Flur? Annektiert von der mobilen Artillerie in rosa.
Die gelben Steine würden sich hingegen primär auf das Spielfeld Schlafzimmer konzentrieren und versuchen, es in ein uneinnehmbares Bollwerk zu verwandeln.

Die Rückkehr der Jedi-Ritter

Die Küche wäre der umkämpfteste Bereich auf dem Spielbrett. Mal liegen hier zum Beispiel ein Fahrgerät   oder Knetförmchen herum. Doch immer wieder befreie ich die Küche in einer gezielten Aufräumaktion von Sachen aus dem Kinderzimmer. Auf dem Spielfeld Küche konnte sich bisher keine Seite entscheidend durchsetzen. Doch angesichts der Übermacht meiner Gegner frage ich mich, wie lange ich diesen Kampf noch aushalten werde. Welcher Soldat kennt das nicht?
Doch ein Blick in die großen Epen um Kriege und Schlachten zeigt, dass es manchmal die scheinbar ausweglosen Momente sind, die einen Kriegsverlauf kippen können und über Sieg und Niederlage entscheiden.
Als Minas Tirith zum Beispiel zu fallen droht, erhalten Gandalf und die Kämpfer Gondors erst Unterstützung durch die mutigen Reiter Rohans. Die Rettung kommt dann durch Aragon und einer Armee von Untoten.
Han Solo, Chewbacca und mit ihnen die ganze Rebellenflotte wird von den flauschigen Ewoks gerettet. Und   Hogwarts kann nur mit der Hilfe der Bewohner Hogsmeads und einer Gruppe von Slytherins erfolgreich verteidigt werden.
In den fiktiven Welten scheint zu gelten: Wenn man denkt, es ist bald vorbei, kommt unverhofft Hilfe herbei. 

Die Rache der Sith

Und in der Realität? Um diese Frage zu beantworten, komme ich zurück auf meine Küche. Vor einigen Tagen suchte ich dort in einem kleinen Holzregal nach einer Wärmeflasche. In dem Regal lagern wir neben unserer Hausapotheke nur allerlei Küchenbedarf. Zumindest hatte ich das bis zu dem Moment angenommen. Doch jetzt stellte ich fest, dass dort jemand, heimtückisch in Plastiktüten getarnt, verschiedenstes Sandspielzeug versteckt hatte. Während die großen Geschichten ihren Helden in Zeiten äußerster Not unverhoffte Mitkämpfer zur Hilfe schicken, wurde ich von einem Verräter unterwandert. Denn niemand anders als meine Frau hatte das Sandspielzeug dort gelagert. Ich hatte schon immer gewusst, dass sie sich weit weniger daran störte, wenn sich das Spielzeug unserer Kinder in der Wohnung verteilt. Aber dass sie zu einem solchen Verrat fähig wäre, hätte ich nicht gedacht.    
Ich hatte mich in Scheingefechten aufgerieben, und das Spielfeld Küche auf dem RISIKO-Spielbrett meiner Wohnung war für mich schon lange verloren. Damit zeigt es nur noch ein Feld mit gelben Steinen: das Schlafzimmer. Wie ein nicht unbekanntes gallisches Dorf leistet es, umgeben von feindlichen Lagern, entschlossen Widerstand. Doch wie lange noch? Ohne Druide fehlt mir der Zaubertrank und nach dem Verrat meiner Frau auch die einzige Alliierte.

Eine neue Hoffnung

Doch alleine werde ich diesen Mehrfrontenkrieg nicht bestehen können. Da würde sogar John Rambo als Ein-Mann-Armee versagen. Also muss ich mit meiner Frau ein neues Zweckbündnis eingehen. Mit der Verräterin? Jawohl, denn schon so mancher Bösewicht wechselte zur rechten Zeit die Seiten. Boromir beschützte die Hobbits Pippin und Merry bis zum letzten Blutstropfen. Darth Vader rettete Luke Skywalker vor den Todesstrahlen des Imperators. Und Snape war die ganze Zeit gar ein Guter. Warum dann nicht auch meine Frau?
Bei der Frage, wie man mit dem Spielzeug umgeht, das sich in der Wohnung verteilt, können die Eltern nur gemeinsam etwas erreichen. Man muss sich auf die Punkte besinnen, bei denen man übereinstimmt, und darauf aufbauend weitere Kompromisse finden. Man muss neue einheitliche Regeln festlegen, und diese  dann gemeinsam gegenüber den Kindern vertreten und durchsetzen.
Diesen Artikel nahmen meine Frau und ich zum Beispiel zum Anlass, neue gemeinsame Regeln aufzustellen.
Und wenn das auch nichts hilft? Dann bleibt mir zumindest der Trost eines letzten Zufluchtsortes. Denn aus  irgendeinem Grund hatten sich meine Kinder für einen Ort nie wirklich interessiert. Das WC. Wenn ich ehrlich bin, sind die Seiten meiner Süddeutschen Zeitung, die einzigen “orts- und sachfremden” Dinge, die dort herumliegen. Vielleicht richte ich es mir unbewusst dort schon gemütlich ein. Für die Zeit nach dem Krieg.

 

Benjamin Dostal lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern (fünf und eineinhalb) in Stuttgart. Er ist 37 Jahre alt und seit mehreren Jahren als freier Autor, Kultur- und Eventmanager tätig.