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Meer geht nicht - mit zwei Freibad-Junkies in Griechenland

Sommer. Sonne. Sandstrand. Die Insel Corfu bietet familienurlaubsmäßig alles, was man als Papa mit zwei Töchtern braucht. Aber was, wenn die Spaßthermen- und Freibad-verwöhnten Kids so gar keinen Bock auf Mittelmeer haben und lieber die Hotelpools in Begleitung ihres Luftmatratzenkrokodils unsicher machen? Hier ist Einfallsreichtum und Überzeugungskraft gefragt, wenn man sich mit dem Nachwuchs auch mal im Salzwasser aalen möchte.

Ob Italien, Kroatien oder Griechenland. Meine Kindheitserinnerungen an die ersten Sommerurlaube sind geprägt von der Faszination Meer. So ziemlich alles, was mit dem Ozean zu tun hat, verbinde ich mit dem Glücksgefühl der Ferien. Wenn ich die Filmmusik vom Weißen Hai höre, denke ich nicht an eine blutrünstige Bestie, sondern ganz entspannt an das sanfte Plätschern der Wellen, das azurblaue Wasser, den idyllischen Badestrand ...

 

Klarer Bildungsauftrag: Ab in die Fluten.

Aufgrund meiner maritimen Vorgeschichte bestand kein Zweifel darüber, dass auch dieses Jahr der Sommerurlaub wieder am Meer stattzufinden hatte. Davon konnte ich die Mädels, 4 und 8, auch gleich überzeugen. Obwohl mir nicht bewusst war, dass sie "am Meer" wirklich wörtlich nahmen und nicht wie ich dabei vor allem "im Meer" meinten. Nach einer herrlich unkomplizierten Anreise mit meinen Kids, die – was Flugerfahrung betrifft – schon zu den alten Traveller-Hasen gehören, war mein fixer Vorsatz: Koffer in die Ecke des Hotelzimmers knallen, nur die Badesachen raus und dann gleich in den Ozean stürzen. Der Plan wäre auch fast aufgegangen, wenn der Weg zum Meer nicht an insgesamt vier – zugegeben verführerisch glitzernden – Pools der Hotelanlage vorbeigeführt hätte. An den ersten zwei Becken konnte ich sie noch vorbeilotsen, aber der dritte lockte mit eingefliester Walfisch-Silhouette auf dem Boden und Poolbar mit Waffeleis. Na gut, gegen so viel Gegenargumente ist man machtlos. Und bei über 30 Grad lässt der Kampfgeist auch etwas nach. 

 

Morgen ist auch noch ein Tag. 

Und der begann mit einer ausgiebigen Expedition ans Frühstücksbuffet. Dazu passend das beste Breakfast Thema weit und breit: Auf welche Art wollen wir heute den sonnigen Tag genießen? Die töchterlichen Vorschläge begannen mit Pool 1 und Pool 2, gefolgt von Pool 3 und Pool 4, schließlich die Spielautomatenhalle des Hotels (inklusive Tattoo Sticker Automat) und natürlich standen die drei Boutiquen mit Souvenirs und anderem Schnickschnack ganz oben auf der Liste. "Aber wollen wir nicht zuerst einmal zum Meer?" murmelte ich mit – vom vierten Pfannkuchen – noch halb vollem Mund, wahrlich kein gutes Vorbild an Tischmanieren. Gut, dass auch keine bemerkt hat, dass ich ganz gegen die Hotelregeln drei Äpfel vom Buffet in meinen Rucksack verschwinden ließ. Aber die "Strafe" folgte auf dem kindlichen Fuße. Denn die Mädels erklärten mir lang und breit, warum sie keine Anstalten machen würden, sich dem Ionischen Meer zu nähern. Die Thesen reichten von wild beißenden Krebsen über drachenähnliche Monsterquallen bis hin zur unumstößlichen Prognose, dass das Meer selbst unter griechischer Juli-Sonne eiskalt zu erwarten war. Kurzum: Die Entscheidung für den Pool als Ort des ferialen Planschens wurde rhetorisch perfekt untermauert. 

 

Was soll's! Es ist doch Urlaub. Das Meer läuft uns nicht weg...

Nachdem wir tagsüber sämtliche "Attacken" des Animationsteams – glaube, die Abneigung gegen solche Berufsbespaßer habe ich vererbt – erfolgreich abgwehrt hatten, 
begutachten wir abends das Entertainment-Angebot unseres All-inclusive-Schuppens. Die Shops und die Spielhalle hatten wir bald durch, es folgten rasante Trips mit Tretroller und Kinder-Elektro-Jeep. Bis wir uns schließlich noch für ein Surrey Bike entschieden, so ein vierrädriges Holiday-Fahrrad-Gefährt mit Sitzbank und Überdachung. Meine Mitfahrerinnen wurden auf die kleine Sitzbank vor dem Fahrer, also mir, geschnallt, ich durfte treten und vor allem lenken. Und mein Ziel war klar. Ab zum Meer und den Sonnenuntergang genießen. Wir kutschierten also die Strandpromenade entlang, begutachteten diverse Lokale und Geschäfte außerhalb der Hotelanlage, und ich überlegte die ganze Zeit, wie ich die beiden nun doch dazu bringen konnte, die bequeme Sitzposition aufzugeben – ideal nach einem üppigen Abendbuffet, vom Gerumpel auf den schlecht asphaltierten Straßen mal abgesehen – und sich mit mir zu meinem ozeanischen Sehnsuchtsort zu bewegen.

 

Aber die beste Erziehungsmethode ist bekanntlich die, die man gar nicht anwenden muss. 

Nach 45 Minuten Strampeln unter immer noch beachtlichen Temperaturen neigte mein innerer Schweinehund stark dazu, sich nicht auf weitere Überzeugungsversuche einzulassen, sondern diese lieber wieder einmal auf den bequemsten aller Zeitpunkte zu verschieben: auf morgen. Doch kurz bevor wir wieder in die "Hotel-Allee" einbogen, rief meine Älteste: "Lass uns doch noch zum Meer runter gehen". Ein Satz, der wie Musik in meinen Ohren klang. Die Bremsen des Surrey Bikes quietschten, Kinder ausgeschnallt, Flip Flops in die Hand, den Sand unter den Füßen spüren ... Ganz ehrlich: Die nächsten Momente gehören für mich zu den schönsten Urlaubserinnerungen aller Zeiten. 

Kaum mehr Leute am Strand, alle schon zusammengekarrt bei den allabendlichen Musical-Versuchen der Animations-Nervensägen, die Sonne färbte das Meer dunkelrot, meine Töchter schwebten über den Sand wie Derwische und kugelten sich vergnügt wie in einem Bällebad ... nur eben aus Trilliarden Sandkörnern. Ich setzte mich auf eine der verwaisten Sonnenliegen und ließ meinen Blick in die Ferne schweifen: "Schade, dass wir die Badesachen nicht mit haben" dachte ich, unterbrochen von dem Ruf: "Komm Papa, lass uns schwimmen gehen!" Die beiden hatten sich schon ihrer Abendgarderobe entledigt und standen startklar in der Unterhose vor mir. Das ließ ich mir nicht zwei Mal sagen: Raus aus den Klamotten, drei Unterhosen stürmten zum Wasser und wir tobten ausgelassen über eine halbe Stunde lang im abendlichen Meer. Kein Spaßbad kann mit echten herantosenden Wellen mithalten. Und von wild beißenden Krebsen und drachenähnlichen Monsterquallen keine Spur. 

Ich denke, man muss den Kindern seine eigenen Überzeugungen nicht überstülpen. Am besten vorleben. Mit Begeisterung. Und ein bisschen Geduld haben. Das ist die Freiheit, die ich meine. 

 

Christoph Bauer ist Vater von zwei Töchtern (4 und 8). Er arbeitet als freier Texter, Autor und Redakteur. Mehr auf www.christoph-bauer-text.com