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"Schwimmflügel? Nein danke!" Meine vierjährige Tochter kann schwimmen – weil sie irgendwann gesagt hat, dass sie es kann

Der Elfmeterschütze legt sich den Ball zurecht. Lässt den folgenden Torschuss vor seinem geistigen Auge ablaufen, läuft an, knallt das Leder genau in die Ecke, die er sich vorher ausgedacht hat. Der Slalomläufer fährt den Kurs in seiner Vorstellung schon vor dem Rennen einige Mal durch, Torstange für Torstange. Die Primaballerina tanzt ihre Vorstellung wieder und immer wieder in ihrer Fantasie. Es gibt viele Beispiele aus der Welt des Sports oder der Kunst, wo die Bewegung der Vision folgt. So auch bei meiner Kleinen, die vor einigen Wochen beschlossen hat: "Das Baby-Becken ist langweilig. Ich kann auch im großen Becken schwimmen."

"Gute Idee", sagte ich. "Ich geb dir noch schnell die Schwimmflügel drauf." Doch sie mit verschränkten Armen und entschlossenem Blick. "Ohne Schwimmflügel. Aber mit Taucherbrille". Auch gut, warum nicht, ich bin ja dabei. Und siehe da, innerhalb von etwa 20 Minuten im großen Becken schaffte sie die ersten paar Meter im freien Schwimmen. Ohne Schwimmhilfe. Kopf über Wasser. Immer wieder vom Beckenrand direkt in meine Arme. Wenn es zwischendurch zu anstrengend war, den Kopf oben zu halten, dann senkte sie einfach den Kopf nach unten, schaute sich durch die Taucherbrille den Bassin-Boden an, stellte fest, dass noch immer kein Nemo zu erblicken war, und hob dann den Kopf wieder an. 

 

Anderes Wort für Schwimmflügel-Ersatz: "Papa"

Meine Aufgabe bestand nur darin, die Arme entgegenzustrecken, als Boje zu dienen, an der man sich festhalten kann, bevor man sich wieder kräftig abstößt – natürlich mit Vorliebe und mit voller Wucht in meine Magengrube – und wieder die kurze Strecke zum Beckenrand meistert. Stets mit Netz und doppeltem Boden, weil ich sie jederzeit rausfischen kann. Aber ohne die hemmenden Schwimmflügel, mit denen eine dem Baby-Alter Entwachsene ja ohnehin keine sauberen Schwimmbewegungen durchführen kann. Das wäre ja so, als müsste man laufen lernen, während man fünf Skihosen übereinander anhat. Am Anfang ähnelte der Freischwimmer-Stil noch eher dem Modell "strampelndes Hündchen". Aber Meter für Meter wurden die Bewegungen immer eleganter – und effektiver. 

 

Der Vorteil, wenn man schwimmen kann. Man kann auch besser tauchen

Der Ehrgeiz, es nach zwei Metern frei schwimmen dann auch mit vier oder fünf Metern zu schaffen, hält sich derzeit noch in Grenzen. Muss ja auch nicht. Das ergibt sich ganz von alleine. Ganz ohne Vorgaben oder Überzeugungsarbeit. Einfach durch Freude am Tun. Mittlerweile sind wir ohnehin in einer Phase, in der sich die zunehmende Sicherheit an der Wasseroberfläche eher dahingehend auswirkt, die dreidimensionale Freiheit unter Wasser auszuleben. Wo war noch mal Nemo? Ist er nicht doch im Thermen-Becken ganz unten links versteckt? Außerdem gehört es zu den Lieblingsbeschäfigungen meiner Töchter (4 und 8, die Große schwimmt schon wie eine Eins), diverse Gegenstände ins Wasser zu werfen – vom Plastikball über den Gummiring bis zu Papas Flip-Flops – und sie dann kampftauchermäßig zu orten und wieder ans Tageslicht zu befördern. Das könnten die stundenlang so machen.

 

Muss es immer ein Kurs sein? Geht es nicht einfach mit Zeit lassen und Spaß daran haben?

Wir standen auch mal vor der Frage, wann man sich denn beim nächsten Schwimmkurs anmelden soll. Oder beim Skikurs. Doch jedes Mal stellten wir fest, dass die Kinder es rasend schnell selber erlernten, indem sie einfach nur mit den Eltern unterwegs waren – sei es im Freibad bzw. in der Familientherme oder eben auf der Piste. Anfangs mit tatkräftiger Unterstützung, im Wasser haltend oder zwischen Papas/Mamas Beinen beim Skifahren. Während man mit gebeugtem Oberkörper den Nachwuchs-Pistenrowdy im wahrsten Sinne unter die Arme greift. Übrigens ein "Traum", wenn man gerade einen lädierten Rücken hat. Da tanzen die Nerven an der Lendenwirbelsäule einen Tango nach dem anderen. 

 

Aber Papas Schmerzen zahlen sich aus

Denn allmählich werden die Juniorinnen eben immer sicherer auf dem neuen Terrain. Bis sie von selber den Mut gefasst haben, die ersten Meter alleine zu wagen. Und da sind Erziehungsberechtigte gut beraten, diese ersten Meter ohne Eingreifen zuzulassen. Besser nicht gleich im Bermuda-Dreieck oder an der Streif in Kitzbühel. Immer in gebotenem Abstand – nicht zu nah um einzuschränken. Nicht zu weit, um doch schnell zur Stelle zu sein, wenn der Nachwuchs hin plumpst. Ist aber bei herkömmlichen Schwimmanlagen bzw. Kinderpisten mit 0,000002 % Neigung kein unüberwindbares Problem.

Klar ist natürlich, dass dieses Konzept dieses "Einfach-Mal-Machen-Lassen" nur bei jenen Sportarten klappt, welche die Eltern selbst auch halbwegs beherrschen. 

Wie das bei Kite-Surfing, Base-Jumping, Messer-Werfen oder Moto-Cross funktioniert, weiß ich noch nicht. Aber bis dahin habe ich (hoffentlich) noch ein bisschen Zeit. 
 

 

Christoph Bauer ist Vater von zwei Töchtern (4 und 8). Er arbeitet als freier Texter, Autor und Redakteur. Mehr auf www.christoph-bauer-text.com