Was sich auf Deutsch recht unfreundlich anhört, liest sich im Englischen gleich viel freundlicher: Die Stieffamilie – oder eben Patchworkfamilie ist schon längst gesellschaftsfähig und heute der dritthäufigste Familientyp in Deutschland. Bis die „Teilfamilien“ zu einer Einheit zusammengewachsen sind, dauert es im Durchschnitt fünf Jahre.
Patchworkfamilien – so wachsen sie zusammen
Das erste Mal erschien der Begriff Patchworkfamilie im Jahr 1990 in der Übersetzung eines amerikanischen Erziehungsbuches – heute steht der Begriff für die vielen Variationen an Familien, die möglich sind und ist auch ein Zeichen der Zeit: Unsere Gesellschaft ist ständig in Bewegung und diese Entwicklung verschont auch unsere Kinder nicht.
Klassische Probleme in der Patchworkfamilie
Unterschiedliche Vorstellungen von Erziehung, Besitzansprüche an das eigene Kind, Sympathien und Antipathien sind häufige Stolperfallen. Sie machen es den einzelnen Mitglieder der neuen Familie schwer, zusammenzuwachsen. Die Idee von der schönen, neuen Familie, die viele Paare so hoffnungsvoll hegen, kann an übersteigerten Erwartungen schnell zerschellen; unklare Beziehungshierarchien tun ihr Übriges. Doch wer die Fallen des Alltags in der Patchworkfamilie kennt und sich schon im Vorfeld dagegen wappnet, hat gute Chancen, für sich selbst und seine Kinder einen schönen und harmonischen Familienzusammenhalt zu schaffen. Gerade am Anfang und noch vor dem Einzug in die gemeinsame Wohnung stellen sich für die Partner vielfältige Fragen: Wie verhält man sich, wenn das eigene Kind den Partner nicht respektiert? Wie geht man mit Eifersucht um? Wie schafft man es, dass alle Kinder zu ihrem Recht kommen? Allgemeingültige Regeln gibt es hierfür nicht. Achtsamkeit gegenüber sich und den anderen, klare Regeln und viele Gespräche mit dem Partner sind jedoch hilfreich und eine gute Grundlage für das Abenteuer Patchworkfamilie.
Bleiben Sie realistisch!
Wenn die ersten Ideen aufkommen, dass man sich ja zusammentun könnte, ist alles wunderbar und man schmiedet die schönsten Pläne. Die Beziehung wird perfekt werden, das Zusammenleben natürlich auch und selbstverständlich wird man zwischen seinen eigenen und den Stiefkindern keinerlei Unterschiede machen. Solche Vorstellungen sind zwar erst einmal großartig – letztendlich führen übersteigerte Erwartungen an die Beziehung und das zukünftige Leben allerdings zu unnötigem Stress. Natürlich soll es toll werden und das kann es auch wirklich, aber nur, wenn der Ist-Zustand und die eigene Vergangenheit mitberücksichtigt werden. Setzen Sie Ihr Ziel, zu einer großen und glücklichen Familie zusammenzuwachsen, in überschaubaren Portionen um, legen Sie Zwischenziele fest, die Sie auch erreichen können und konzentrieren Sie sich auf das Jetzt.
Wo es häufig zum Streit kommt
Es ist so eine schöne Vorstellung: Endlich wieder Familie, endlich wieder eine Partnerin und ein glückliches Heim – an Probleme denkt man hier am liebsten gar nicht. Aber wie bei jeder Familiengründung lauern Streitpunkte im Hintergrund. Wer sie schon vorher kennt, kann so manche Klippe umschiffen und Konflikte gar nicht erst entstehen lassen:
- Unterschiede im täglichen Ablauf: Verharmlosen Sie nicht die Schwierigkeiten, die entstehen können, wenn Sie und Ihre Partnerin so ganz unterschiedliche Lebensrhythmen haben. Das ist schon ein Problem, wenn man als Paar zusammenzieht. Sind Kinder mit im Spiel, kann es hier Streit geben: Die Organisation des Lebens wird kompliziert und setzt alle unter Stress. Ernährungsfragen, Erziehungsmaßstäbe, Schlafenszeiten – all das kann zum Streitpunkt mutieren und muss ausdiskutiert werden.
- Rivalität unter den Kindern: Nicht immer finden die Kinder die neue Familie gleich genauso toll wie die Eltern. Auch wenn es ganz cool ist, neue Spielpartner zu haben – die Kinder müssen sich aneinander gewöhnen, die Rangfolge festlegen und Konflikte klären.
- Auch die Expartner können der glücklichen Familie dazwischenfunken. Zum Beispiel wenn es um Besuchsregelungen für die Kinder oder um eine doch noch nicht so ganz abgeschlossene Beziehung geht.
Gegen diese Hürden gibt es nur ein Mittel: Offen reden und klare Regelungen aufstellen, mit denen alle leben können. Größere Kinder sollten ab einem gewissen Punkt – also wenn die Partner Grundsätzliches geklärt haben – mit in die Gespräche einbezogen werden.
Kinder und Veränderungen
Kinder mögen meist keine Veränderungen. Kommen diese zu schnell und in zu geballter Form, sind sie häufig irritiert und schalten schnell auf stur. Vor allem dann, wenn sie sich überrumpelt fühlen und vor vollendete Tatsachen gestellt werden, können sie bockig oder sogar depressiv werden. Dies gilt für kleine, ebenso wie für große Kinder. Die Kleinen werden komisch, wenn sie zu abrupt aus ihrem gewohnten Lebensrhythmus geworfen werden, auf Rituale und Vertrautes verzichten müssen. Die Großen fühlen sich übergangen und haben das Gefühl, ihr Leben bricht über ihnen zusammen.
Jeder braucht seinen Platz
„Das wird dann alles schon irgendwie.“ Wer mit dieser Einstellung in die Patchworkfamilie hineinstolpert, erhöht die Wahrscheinlichkeit zu scheitern. Denn es gibt viel zu klären. Was häufig übersehen wird ist auch, dass die Stiefeltern meist keine Ersatzelternteile sind: Die Kinder des Partners haben bereits eine Mutter, bzw. einen Vater und brauchen ihrer Meinung nach meist keinen zweiten dazu. Also muss das Verhältnis zum Stiefkind ganz neu definiert werden. Dazu kommt, dass Kinder oft eine übermäßige Zuneigung zur neuen Partnerin als Verrat an der Mutter ansehen. Daraus resultiert häufig eine unverständliche Abneigung und Feindseligkeit. Dies lässt sich umgehen, wenn man als Stiefelternteil ein respektvolles und freundschaftliches Verhältnis aufbaut – natürlich mit der angemessenen Autorität, aber nicht mit den gleichen emotionalen Ansprüchen wie in der Eltern-Kind-Beziehung. Wenn sich eine tiefe Zuneigung entwickelt, umso besser. Als selbstverständlich darf man das aber nicht voraussetzen.
Jede Patchworkfamilie ist ein eigenes organisches Gebilde, in dem die unterschiedlichsten Schwierigkeiten und Bewegungen auftreten. Wer die klassischen Fallen vorher erkennt, hat die Chance vielleicht sogar weniger als die durchschnittlichen fünf Jahre zu brauchen, um zu einer echten Familie zusammenzuwachsen.