Konstantin D. und seine Frau haben ein Kind mit dem Down-Syndrom (Trisomie 21). Hier das komplette Interview mit Konstantin über sein Leben mit Tochter Natalie, die inzwischen 14 Jahre alt ist.
Das Kind annehmen wie es ist – Mein Kind hat das Down-Syndrom. Das Interview
1. Wann haben Sie von der Behinderung Ihrer Tochter erfahren (Fruchtwasseruntersuchung)?
Bei der Geburt bzw. bei der Diagnose zwei Tage später. Wir hatten uns während der Schwangerschaft gegen Pränataldiagnostik entschieden und das Thema schon bald wieder vergessen. Oder verdrängt. Aber so hatte
meine Frau eine schöne und entspannte Schwangerschaft.
2. Erinnern Sie sich noch, was Ihnen durch den Kopf ging, als sie erfuhren,
dass Ihre Tochter am Down-Syndrom „leidet“?
Ich wusste nicht, was das für Konsequenzen hat. Aber ich war natürlich geschockt und kreuz-unglücklich. Der Traum von „unserem Kind“, den wir
die ganze Schwangerschaft über gehegt und gepflegt hatten, war auf einmal gestorben. Wir mussten uns von diesen schönen Vorstellungen verabschieden und uns mit eine Realität anfreunden, von der wir nicht wussten, wie sie aussehen würde.
3. Haben Sie vor der Geburt spezielle Informationen gesucht, oder angeboten bekommen, die Sie auf das Leben mit einem behinderten Kind vorbereiten konnten?
Nein, wir wussten vorher nichts davon.
4. Gab es Reaktionen in Ihrem Umfeld, die Sie erfreut oder betrübt haben?
Oh ja, eine Menge. Wo soll ich da anfangen? Natürlich haben unsere
Freunde und die Familie versucht, uns zu trösten und uns Mut zu machen. Viele haben das nach dem Motto getan: „wird schon gut gehen“. Das war
zwar gut gemeint, aber wir haben uns in dieser ersten Phase eigentlich gewünscht, dass mal jemand sagt „Ach, Du Scheiße. Das ist ja eine Katastrophe!“ Denn genau so haben wir uns damals gefühlt.
Natürlich gab es auch schlimme Reaktionen von Leuten, die meinten,
dass solche Kinder heute nicht mehr geboren werden müssten. Ob wir
denn keine Voruntersuchungen gemacht hätten?
Das hat uns sehr verletzt in einer Phase, in der wir schwer damit beschäftigt waren, unsere Tochter und unser Schicksal anzunehmen.
Was uns aber später, als wir aus dem Gröbsten raus waren, viel Kraft und Bestätigung gegeben hat, war der Zuspruch von Freunden, die sagten „Ihr kriegt das wirklich super hin – Respekt“. Und auch dass viele Natalie so angenommen haben, wie sie ist.
5. Hatten Sie das Gefühl, dass die Umwelt (z.B. beim Pekip oder auf dem Spielplatz) anders auf Ihr Baby regiert hat, als auf andere Babies? Wie empfinden Sie den Umgang der Gesellschaft mit behinderten Kindern?
Ja, klar. Natalie hat Schlitzaugen, wie üblich bei Menschen mit Down-Syndrom, und das sieht man. Mal mehr, mal weniger. Außerdem bewegen
sie sich ein bisschen anders, sie sprechen ein bisschen anders. All das zusammen lässt die Leute schnell merken, dass dieser Mensch anders ist.
Bei Babys fällt das noch nicht so stark auf, Sprechen und Gehen ist da ja
noch kein Thema … aber je älter Natalie wurde, desto deutlicher wurde auch
der Unterschied. Und die Leute reagieren natürlich darauf. Manche deutlich spürbar, andere versuchen, sich die Reaktion nicht anmerken zu lassen.
Der Umgang der Gesellschaft mit behinderten Kindern wird besser, finde ich. Man sieht Behinderte öfter in den Medien und im Straßenbild, sie werden
nicht mehr versteckt, viele sind auch selbstbewusst. Das Thema Integration
bzw. Inklusion wird mittlerweile nicht mehr ausschließlich von Fachleuten diskutiert. Es tut sich was, auch wenn wir vom Idealzustand noch weit
entfernt sind, besonders in Deutschland. Aber das geht nicht innerhalb
von ein paar Jahren, das dauert.
6. Gibt es besondere Eigenschaften und/oder Fähigkeiten ihrer Tochter, die andere Kinder so vielleicht nicht haben?
Natalie hat eine Eigenschaft, die man heutzutage „straight“ nennt – keine Tricks, keine Spielchen. Sie verstellt sich nicht; sie ist so, wie sie ist. Spontan und direkt. Diese Eigenschaft kann andere Kinder öffnen, die sonst eher zurückhaltend oder schüchtern sind.
„Narren und Betrunkene sagen die Wahrheit“ heißt es ja. Natalie sieht Dinge oft sehr klar und spricht sie einfach aus, bringt sie auf den Punkt.
7. War es für Ihre Tochter leicht, sich mit anderen Kindern zusammenzufinden/ Freundschaften zu schließen?
Natalie ist ein direkter und spontaner Mensch. Wer sie so nimmt, hat sofort einen Draht zu ihr. Die Möglichkeit zum Kontakt ist also da, Natalie ist in der Schule auch gut integriert. Aber eine Freundschaft zwischen Kindern mit und ohne Behinderung ist die Ausnahme, muss ich ganz klar sagen. Man lebt einfach in unterschiedlichen Welten. Ein herzliches Miteinander geht, das gegenseitige Verständnis wächst im Laufe der Zeit, aber mehr geht in der Regel nicht. Die Kinder, die Natalie als Freunde bezeichnen kann, haben
auch Down-Syndrom oder ein anderes Handicap.
8. Wie alt ist Natalie heute?
Sie wird am 05. Dezember 14.
9. Wie sieht Ihre Lebenssituation aus? (arbeiten Sie oder Ihre Frau…, Kinderbetreuung – wer, haben Sie noch weitere Kinder? Wenn nein, gibt es dafür einen Grund?)
Meine Frau bzw. meine Ex-Frau und ich leben heute getrennt, aber in
der Nähe, und wir verstehen uns gut. Die Kinder können innerhalb von
2 Minuten von einem zum anderen.
Natalie hat einen Bruder, Fredo, er wird 10. Die beiden leben überwiegend
bei ihrer Mutter, aber sie sind einen Tag in der Woche bei mir, und alle 2 Wochen am Wochenende. Das funktioniert insgesamt so gut, dass ich
mich immer wieder wundere, vor allem wenn ich mal wieder eine dieser Rosenkriegsgeschichten von getrennten Paaren höre.
Dass wir uns so gut verstehen, hat sicher auch mit Natalie zu tun. Unsere Wertigkeiten haben sich verändert, wir streiten uns nicht über vieles von
dem, worüber sich getrennte Paare sonst gerne streiten.
10. Wo sehen Sie die besonderen Herausforderungen in der Erziehung eines behinderten Kindes?
Die erste große Herausforderung ist meiner Meinung nach, das Kind überhaupt anzunehmen. So wie es ist.
Dann sollte man sich um die Förderung seines Kindes kümmern, ganz
nach den eigenen Möglichkeiten und denen des Kindes. Aber das ist
ja bei Kindern ohne Behinderung auch nicht anders, sollte zumindest
nicht anders sein. Der Aufwand ist nur ein anderer. Man muss sich mit
Ärzten, Lehrern und Behörden stärker auseinandersetzen, wenn man
es ernst meint.
Eine große Herausforderung besteht sicher darin, einen Beruf für Kinder
mit Behinderung zu finden. Natalie ist meiner Meinung so fit, dass sie nicht
in einer Behindertenwerkstatt zu arbeiten braucht, sondern im sogenannten ersten Arbeitsmarkt. Aber dort für eine junge Frau mit Down-Syndrom etwas
Passendes zu finden ist natürlich eine Herausforderung.
Dann gibt es noch das Thema Liebe und Partnerschaft. Natalie wird bald 14, sie ist voll in der Pubertät, also kommt dieses Thema wohl bald auf uns zu.
Ich bin mir noch nicht im Klaren darüber, wie stark Eltern sich da einmischen sollten ... wir werden sehen, wie das im Einzelfall sinnvoll oder notwendig ist.
11. Wie äußert sich das Anders-sein von Natalie im Alltag? Gibt es Einschränkungen? Welche?
Feinmotorik ist schwierig für sie, Schnürsenkel binden z.B. Fahrradfahren
fällt ihr sehr schwer. Der Umgang mit Geld ist eine echte Herausforderung, Mathe ganz allgemein. Alles Abstrakte ist für Natalie übermäßig schwierig.
12. Gab es einen bestimmten Zeitpunkt in der Entwicklung ihrer Tochter, an
dem Sie besonders bemerkt haben, dass Ihre Tochter sich anders als
andere Kinder entwickelt?
Anfangs haben wir das ständig gemerkt, weil die Entwicklung von Menschen mit Down-Syndrom verzögert ist. Natalie hat später angefangen zu krabbeln, zu laufen und zu sprechen.
Es wäre uns sehr recht gewesen, wenn die Pubertät auch später eingesetzt hätte. Aber die war pünktlich, mit 13 hat es bei Natalie angefangen …
13. Gibt es Unterstützungsangebote? Welche? Nutzen Sie diese?
Ja, wir nutzen manchmal das Angebot des FED, der familien-entlastende Dienst. Die bieten Betreuung für Familien von Menschen mit Behinderung
an, um sie zu entlasten.
Wir haben da ein Kontingent an Stunden pro Monat, die wir buchen können, wenn es gerade zeitlich eng bei uns ist. Ansonsten haben wir aber ein sehr gutes Netzwerk aus Freunden, Familie und Eltern von anderen Kindern mit Down-Syndrom, die sind in der Regel sehr gut vernetzt.
14. Wie beurteilen Sie das Angebot an Möglichkeiten für Kinder mit Behinderungen an Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten?
Schlecht, da ist Deutschland ganz weit hinten. Die UNO hat ja auch schon darauf aufmerksam gemacht, dass die Behindertenrechtskonvention hierzulande nicht oder nicht gut umgesetzt wird.
Die Integration bzw. die Inklusion in der Schule ist Ländersache und das
ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, aber leider in keinem Bundesland wirklich gut. Es gibt schon einzelne Projekte, die ein gutes Beispiel geben, aber die beruhen in der Regel auf Eigeninitiative und nicht
auf guten Rahmenbedingungen. Es gibt sie trotz der Rahmenbedingungen, und umso wichtiger sind sie.
Ich habe z.B. kürzlich von einem Englisch-Lehrer mit Down-Syndrom gelesen, Tobias Wolf, der als Assistenz-Lehrer an einer Schule am Starnberger See arbeitet und mit seiner begeisternden Art die Kollegen und vor allem die Schüler überzeugt hat. (http://www.aktion-mensch.de/inklusion/handlungsfelder/bildung/inklusion-im-kollegium.php)
15. Gibt es etwas, dass Sie am Umgang der Gesellschaft mit behinderten Menschen besonders nervt?
Natürlich stört es mich, dass Menschen mit Behinderung nicht akzeptierter
und integrierter sind. Dass wir gefragt worden sind, ob „solche Kinder“ denn
heutzutage überhaupt noch auf die Welt kommen müssen?
Es ist tatsächlich so, dass die Pränataldiagnostik es immer leichter macht,
vor der Geburt Hinweise darauf zu bekommen, ob das Baby Down-Syndrom
hat. Von den Eltern, die dann hören, dass ihr Baby voraussichtlich DS haben
wird, bringen 90 % dieses Baby nicht zur Welt. Down-Syndrom wird also
immer seltener.
Dabei gibt es viele mögliche Ursachen für eine Behinderung. Autismus kann
man pränatal nicht diagnostizieren, viele andere genetische Ursachen auch
nicht. Sauerstoffunterversorgung bei der Geburt z.B. kann zu einer Behin-
derung führen. Oder wenn ich morgen einen Unfall habe und hinterher im
Rollstuhl sitze … schauen Sie sich die Paralympics in London an … es gibt
so viele Menschen mit Behinderung, und eine Menge von ihnen gehen
bewundernswert damit um, finde ich. Die spüren jeden Tag, dass die Welt
nicht für sie gemacht ist, sie immer wieder benachteiligt oder ablehnt …
das ist schon sehr hart. Wer unter solchen Umständen seinen Weg macht,
verdient unseren vollen Respekt