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Gefangen in der Alhambra – ein Sommermärchen

So könnte der Buchtitel eines meiner Vorlesebücher für die Kinder lauten. Aber nein. Dieses Mal bedarf es keiner schriftstellernden Phantasie. Wir haben es erlebt. Wir – das ist unsere deutsch-spanische Familie, dem deutschen Papa, der spanischen Mamá und den drei deutsch-spanischen Kindern.

Auf dem Weg von Madrid an die andalusische Küste machten wir einen Stopp in Granada, um die Alhambra zu besuchen. Also, die Alhambra, nicht das gleichnamige Zwillingsauto des VW Sharan aus dem Hause Seat.

Eine wunderbare Stadtburg, die über Granada trohnt, Zeugnis der muslimischen Vergangenheit der Stadt und des Landes. Immer einen Besuch wert (im Übrigen, bitte online vorab die Tickets für Tag und Uhrzeit bestellen, alles andere ist zwecklos bzw. in der Sonnenglut des Sommers selbstmörderisch für Kinder wie Eltern). Eigentlich geübt in deutsch-spanischen interkulturellen Dingen war uns natürlich klar, dass wir den Besuch in die frühen Abendstunden legen würden. Die Sommerglut lässt dann etwas nach. Manchmal zieht schon eine kühle Brise herauf.

Die Anlage ist eigentlich sehr kinderfreundlich. Die vielen Mosaiken, der Löwenbrunnen, die verwunschenen Formen und Figuren, das begeistert wie aus 1000 und einer Nacht. Gegen Ende spazierten wir noch durch den Generalife, einen Ruhepark mit Säulengängen des Kalifen, mit hundert kleinen Wasserspielen.

 

Sind wir die einzigen hier?

Die Touristen verliefen sich so langsam, die Gruppen wurden kleiner, die ursprüngliche Atmosphäre des geschichtsträchtigen Baus schien mit Einbruch des Abends wieder die Anlage in Besitz zu nehmen. Aus dem historischen Schwelgen riss uns ganz profan ein Wärter mit folgender Bitte: Wir sollten doch bitte umkehren, oben am anderen Ende des Baus sei schon geschlossen, der untere Ausgang zum Garten sei nun zu nehmen.

TicketsMein Fehler, ich gestehe, ich bin halt deutsch und leiste Anweisungen Folge: Wir kehrten um, ein paar Stiegen, ein paar Innenhöfe. Am letzten Tor wieder hinaus versuchte ich es mit einem sanften Drücken, einem energischeren Dagegenwerfen, nichts. Abgeschlossen. Nun fiel mir plötzlich auf und  der spanischen Gattin ein, dass natürlich wir die einzigen Touristen waren, die überhaupt der Aufforderung des Wärters gefolgt waren. Die anderen waren wohl, den Wächterspruch ignorierend, einfach weiter gelaufen! Wir deutschen Idioten, ja, die wir auch nachts um drei an einer roten Ampel mit völlig freiem Blick auf die ganze Kreuzung kreuzbrav warten. Da hatten wir nun den Salat.

 

Mit Hilfe von Eisenstangen in die Freiheit 

Mit leicht aufsteigender Panik gingen wir also wieder in die Richtung des eigentlichen Ausgangs. Stiegen, Innenhöfe, die Kinder schon etwas zur Eile antreibend. Nur um festzustellen: Die andere Seite war nun auch schon abgeschlossen. Und wir waren natürlich alleine in diesem Gebäudeteil zurück geblieben. Um es kurz zu machen. Für interkulturelle Hinweise der Gattin hatte ich kein Verständnis mehr, auch die beeindruckende Vergangenheit der massiven Festung juckte mich kein bisschen mehr. Die Perspektive Hausherrn der Alhambra für eine Nacht zu sein, ohne viel Vorräte bzw. Wasser zudem, fand ich nicht prickelnd. Die obere Tür war massiv, keine Fluchtchance. Also wieder Stiegen hinunter, Innenhöfe durchquerend und die Kinder nun bereits recht perplex ob der gar nicht mehr so lustigen Gesichter der Eltern. Mein Blick auf die mindestens drei mal drei Meter hohe Holztüre, die uns von der Freiheit abschnitt, war nun der eines professionellen Ausbrechers. Und siehe da: Abgeschlossen – und das mit modernem Zylinderschloss - war jedoch nur die in dieses Holztür die eingefräste mannshohe, moderne Tür. Die hölzernen Torflügel selbst waren in alter Manier mit massiven, eisernen Stangen gesichert. Von innen, von dort wo wir kamen, nach Belieben zu bewegen. Nun bin ich muskelmäßig sicherlich kein würdiger Leibwächter des Kalifen, aber mit dem Adrenalin im Blut gelang es mir dann doch, die Eisenstangen zu bewegen, den Torflügel zu öffnen. Freiheit, wie bist Du doch süß!

Ich hatte keinerlei Interesse mehr daran, den Flügel wieder in seine ursprüngliche Lage zurückzubewegen. Die Eisenstange der Torinnenseite hätte ich von außen sowieso nicht mehr verriegeln können. Uns war es nun viel wichtiger, schleunigst zum Hauptausgang zu kommen, damit dort nicht inzwischen auch schon Feierabend gemacht worden wäre. Wir hatten Glück, ein paar gelangweilte Wächter saßen dort noch im Schatten von Zypressen. Als wir kurz und knapp unser Mißgeschick erzählten, fanden sie es eher komisch, dass wir ihrem Kollegen Folge geleistet hätten. Achja, und den Torflügel, das könne man ja dann morgen wieder richten. Hasta mañana!

Übrigens, bei den Kindern bin ich jetzt so etwas wie ein Held aus der Reconquista: Mutig und muskulös scheute ich keine Mühen, die Familie wieder in die Freiheit zu führen. 

 

zum Autor:
Andreas Clevert, Jahrgang 1970, ursprünglich aus Esslingen stammend, lebt mit seiner spanischen Frau und seinen drei Jungs/Söhnen  (*2008, *2010 und *2013) in Bonn. Mehr von seinen Erlebnissen lesen Sie unter www.vaterdasein.wordpress.com