Kleine Kinder versuchen, Grenzen auszutesten und ihren Willen durchzusetzen. Ihr Mittel ist ohrenbetäubendes Geschrei, das die Nerven der Eltern blanklegt. Auch, wenn es oft einfacher wäre, nachzugeben, sollten Eltern konsequent bleiben. Denn was lernt ein Kind, das so seinen Willen durchsetzen kann?
Wer laut genug schreit, gewinnt? – Warum Eltern sich nicht unter Druck setzen lassen sollten
Der Club der Machtlosen
Wenn ein Kind erst einmal alt genug ist, um seinen eigenen Willen zu entdecken, dann wird es auch bald so weit sein, alles in seiner kleinen Macht Stehende zu tun, um diesen Willen auch durchzusetzen. Andererseits - ist die Macht des Kindes tatsächlich so klein? Etwa 90cm groß, im Vergleich zu den – sagen wir mal – 1,85m des Vaters? Oder kennen Sie, so wie fast jeder Elternteil, jene Momente, in denen die Macht Ihres Sprösslings Ihnen 3,50m groß vorkommt und Ihre eigene dagegen auf einem Stecknadelkopf Platz finden würde? Willkommen im Club.
Wer schreit, bekommt seinen Willen?
Es liegt in der Natur des Kindes, zu fordern. Ebenso liegt es in der Natur des Kindes, Grenzen auszutesten. Es möchte wissen, wie weit es gehen darf und vor allem, was es alles erreichen kann, wenn es nur genug Vehemenz an den Tag legt. Vehemenz heißt im Falle eines Kleinkindes vor allem: Lautstärke. Ein kleines Kind beherrscht noch keine komplizierten Psychotricks, aber es spürt genau, wie Geschrei seine Eltern unter Stress setzt. Geschrei ist den Eltern unangenehm. Sie möchten, dass dieser Lärm umgehend aufhört. Und in schwachen Momenten („Schon gut, also noch diesen einen Lolli. Aber nur noch diesen, hörst Du?“) lernen Kinder dann ganz entscheidende Lektionen: wer schreit, bekommt am Ende, was er möchte. Geschrei erzeugt Druck und die Erwachsenen halten diesen Druck nur eine begrenzte Zeit aus. Das Kind muss also nur ein wenig länger schreien, als die Eltern es vertragen und kommt so zu seinem Willen.
Das ist natürlich keine besonders glückliche Lektion. Weder für das Kinderdasein noch für die fernere Zukunft. Oder können Sie sich Ihren Sohn als jungen Erwachsenen vorstellen, wie er sich während des Personalgesprächs mit seinem Chef brüllend auf den Büroboden wirft, weil er seine erhoffte Gehaltserhöhung nicht bekommt? Das spätere Leben funktioniert zwar so, dass man durchaus Forderungen stellen darf, dass aber erstens der Ton dabei die Musik macht und zweitens, dass Geduld und Zurückhaltung sich manchmal auch auszahlen. Die wenigsten Menschen mögen Quengler, Schreihälse und Nervensägen. Wie aber begegne ich denn nun möglichen Impulsen meines Kindes, wenn es sich in diese Ríchtung entwickelt?
Ein Kind lernt von seinen Vorbildern
Neulich war in einer großen deutschen Frauenzeitschrift ein Interview mit einem zurzeit sehr angesagten Familientherapeuten (ja, auch hier scheint es sich bereits abwechselnde Modetrends zu geben…) zu lesen. In diesem Interview hieß es sinngemäß, Erziehung im engeren Sinne von Belohnung und Strafe sei eigentlich gar nicht so wichtig. Viel wichtiger wäre es, wie das familiäre Umfeld vom Kind erlebt wird. Denn Kinder eignen sich Dinge durch Nachahmung an. Sie setzen voraus, dass das, was ihnen in der Familie vorgelebt wird, richtig und somit nachahmenswert ist.
Auf unsere Fragestellung angewandt würde das bedeuten, dass es wenig hilft, einem kleinen Schreihals zu erklären, dass Brüllen nicht nett ist. Weiterhin wird es wenig helfen, den Schreihals in sein Zimmer zu verbannen. Das hilft zwar den Eltern, in der Akutsituation den Lärmpegel zu senken, aber eine Lektion fürs Leben wird das Kind daraus nicht ableiten. Jedenfalls keine positive. Es lernt höchstens, dass Wut nicht sein darf, aber so ist es ja nicht. Jeder von uns darf mal wütend sein. Es ist vielmehr so, dass das richtige Verhalten einem brüllenden Quengler gegenüber entscheidend ist. Das heißt, dass Sie als Erwachsener vorleben und durch Ihr Verhalten beweisen müssen, dass Schreierei nicht zum Ziel führt. Dass es in Ihrem Haus nichts bringt, laut zu werden, weil es eben nicht die Lauten sind, die gehört werden. Senken Sie im Konflikt mit Ihrem Kind einmal bewusst die Stimme. Sprechen Sie nur so laut, wie für die Verständigung nötig ist. Sie werden merken, dass das sofort deeskalierend wirkt. Sagen Sie Ihrem Kind, dass Sie zwar verstehen, dass es wütend ist, weil es seinen Willen nicht bekommt, dass Sie aber Ihre Gründe haben und darum Ihre Meinung nicht ändern werden. Wichtig ist, dass Sie – Sie ahnen es bereits – konsequent bleiben. Das mag zwar in vielen Situationen schwierig sein, ist aber die Methode, die Sie weiterbringt – Sie und Ihr Kind.