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Meine Tochter: Eine echte Siegertypin

Kennen Sie auch Menschen, die ständig den Wettkampf suchen und dann auch unbedingt gewinnen müssen? Die Tochter unseres Autors ist so jemand – ganz im Gegensatz zu ihrem Papa. Sie kämpft verbissen um den Sieg und ist am Boden zerstört, wenn sie verliert. Meistens zumindest...

Früher dachte ich, es gäbe nur zwei Arten von Menschen. Die einen, die immer und um jeden Preis gewinnen möchten. Und die anderen, die lieber im Park den Vögeln beim Singen lauschen. 

Beides zu vereinen schien mir unmöglich und so entschied ich mich gegen berufliche Anerkennungsgipfel und für beachtliche Windelbergspitzen. Ich bin halt mehr so der Vogellauschtyp, der ab und an auch in Hundehaufen tritt, weil seine Gedanken beim Spazierengehen oft gen Wolken fliegen statt am Boden zu verweilen.  

Natürlich stinkt mir das manchmal, nie Medaillen und Pokale nach Hause mitzubringen, sondern lediglich verdreckte Schuhe, aber ich akzeptiere das als mein Naturell und Schicksal. 
Schwer hingegen fällt es mir hinzunehmen, dass unsere Große zum genauen Gegentyp zu werden droht. Bei ihr steht immer der Wettkampf im Vordergrund und sie will stets die Siegerin sein. 

Schon als Zweijährige hat sie zu den Kindern im Park gesagt: „Alle mir nach, ich bin die Anführerin.“ Im Kindergarten schnappt sie sich noch vor den Jungs das letzte Stück Kuchen. Und auf Spielplätzen erklimmt sie meist vor allen anderen die Krone der Klettergerüste, um dann triumphierend von oben herab zu grinsen. Haha, Erste! 

 

Immer nie gewinnen

In letzter Zeit fordert sie nun auch ihre Familie zum Duell. „Komm Mama, wer zuerst die Lippen hübsch schminkt.“
„Komm Schwester, wer sich schneller die Zähne putzt.“ 
„Komm Papa, wer schneller im Park ist.“ 

Während meine Frau und die Kleine das Duell routiniert verweigern, weil sie wissen, dass es beim Schminken und Zähneputzen nicht auf Schnelligkeit, sondern  auf Sorgfalt ankommt, willige ich meistens ein und stelle mich der Herausforderung. Mein Drang, mich nicht mit anderen zu messen ist einfach geringer ausgeprägt als der Wunsch, meine Große glücklich zu machen. 

Und so renne ich mit ihr um die Wette - in den Park, zum Auto oder vor die nächste Eisdiele. Als ausgewachsener 36 Jahre alter Mann - zugegeben, mit Übergewicht und Wohlstandsbauch, aber auch mit längeren Beinen und mehr Kondition als ein fünfjähriges Kind - gewinne ich meistens. Und weil ich sonst nie etwas gewinne, genieße ich natürlich unmittelbar die stolze Süße des Triumphs mit einem breiten Siegerlächeln. 

Solange, bis mein kleines großes Mädchen schmollend meint: „Hey, das ist unfair, immer gewinne ich nie.“  

 

Die neue Formel 1 Taktik 

Ich schmunzle ob des sprachlichen Widerspruchs und sage dann: „Aber Liebling, man muss nicht immer im Leben gewinnen.“   
Woraufhin sie sagt: „Doch, ich schon. Und jetzt bleib stehen, damit ich dich überholen kann.“ 

Kurz verspüre ich den Drang, ihr zu erklären, dass sie auf die Art nie eine große Karriere in der Formel 1 machen werde. 
Sie kann schließlich schlecht nach Rennstart in den Boxenfunk sprechen: „Lewis, Sebastian, das ist unfair, ich hab ein Steinchen im Schuh. Wartet vor der nächsten Kurve auf mich, damit ich euch überholen kann.“ 

Weil sie jedoch nichts von der Formel 1 weiß und damit sie bei ihrem Ehrgeiz nicht auf dumme Gedanken kommt, bleibe ich stehen und lasse sie gewinnen.  

Später frage ich sie, warum sie immer unbedingt gewinnen möchte, und sie antwortet lapidar: 
„Weil es mir Spaß macht.“ 

 

Echte Champs chillexen auch 

So ging das die letzten Monate jeden Tag. Bis gestern. Da machten wir erneut ein Wettrennen, genauer gesagt ein Wettschwimmen - zur Hüpfinsel im See. Und ein weiteres Mal gewann ich zunächst. Doch so recht wollte sich diesmal kein Siegerlächeln einstellen, denn diesmal schmollte meine Große nicht. 

Ich fasste ihr an die Stirn, um zu sehen, ob sie Fieber hatte. 
„Was ist denn los, mein Liebling? Soll ich nicht anhalten, damit du gewinnst?“, fragte ich.  
„Ach Papa, du verstehst gar nichts, oder? Gewinnen ist nicht alles im Leben“, sagte sie und ließ sich auf dem Rücken liegend von der Sonne bräunen.   

Mir wurde ganz wehmütig ums Herz. War ich jetzt womöglich Schuld, dass meine ehrgeizige Tochter nun auch zu einem Kuck-in-die-Luft-Charakter werden würde? So wie ich? 

Nicht doch. Kurze Zeit später forderte sie mich wieder zum Duell – wer zuerst bei Mama und Schwester ist - und ich erkannte: meine Theorie mit dem Sieger- und Vogellauschtypen ist völliger Quatsch. Wir alle vereinen beides in uns. Mal wollen wir gewinnen und mal gemütlich auf der Parkbank die Sonne auf uns scheinen lassen. Das Wichtigste ist, dass wir Beides nicht zu ernst nehmen und immer nie den Spaß an der Sache verlieren. 
 

 

Mate Tabula ist Autor, Texter und Geschichtenerzähler aus Germering bei München. Er hat ein Frau, zwei Töchter und eine Schilddrüsenunterfunktion. Mehr über ihn und sein Leben erfahrt ihr hier