© olly - Fotolia.com

Nah am Wasser gebaut – wie das Vatersein einem die Wahrnehmung verschiebt

Zwei Arbeitskollegen sitzen während der Mittagspause in der Kantine und blättern in der Tageszeitung. Einer der beiden ist Vater, der andere nicht. Der Nicht-Vater liest die Schlagzeile: „Noch immer kein Hinweis auf den Aufenthaltsort der kleinen Sonja. Sie wird nun seit 5 Tagen vermisst, ein Verbrechen kann nicht ausgeschlossen werden.“

 

Hör mir bloß damit auf!

Der Vater murmelt zwischen zwei Bissen Kartoffelsalat: „Hör bloß auf. Sowas darfst du mir gar nicht vorlesen. Geht gar nicht. Krieg ich einen zu viel von.“

Der Nicht-Vater zieht die Augenbraue hoch.   

Der Vater erklärt: „Nee, isso. Seit ich meine Lütte hab,  bin ich total dünnhäutig, was solche Geschichten betrifft. Ich kann solche Nachrichten nicht mehr hören. Wenn sowas im Fernsehen kommt, dann muss ich wegschalten.“

Eine Kollegin am Nebentisch stimmt zu. „Das geht mir genauso. Seit ich selbst Mutter bin, krampft sich bei mir immer alles zusammen, wenn ich Stories von verschwundenen oder missbrauchten Kindern höre. Aber dass das bei Vätern auch so ist, finde ich ja interessant. Ich dachte, das hätte etwas mit dem Mutterinstinkt zu tun.“

 

Fühlen Sie auch anders, seit Sie Vater sind?

Und Sie? Kennen Sie das? Haben Sie einen Vaterinstinkt? Hat sich Ihre Wahrnehmung des Umfeldes, der Welt, in der Sie leben, verändert, seit Sie ein Kind haben? Niemand liest oder hört gern Geschichten von misshandelten oder getöteten Kindern, so viel steht fest. Aber aus unserer Zeit ohne eigene Kinder kennen wir allenfalls ein Gefühl des Bedauerns, der Anteilnahme in diesem Zusammenhang. Mit der Gründung einer eigenen Familie intensivieren sich diese Gefühle aber unglaublich. Das Elternsein bringt neue Gefühle mit sich, starke Gefühle. Ein Bedürfnis danach, zu schützen, was uns am allerwichtigsten ist und ein Gefühl der Ohnmacht, wenn man hört, dass es einfach nicht immer möglich ist, seine Kinder ultimativ zu schützen. Schon in einer behüteten Umwelt muss man im Sinne einer gesunden Kindesentwicklung eigene Ängste im Zaum halten und den Nachwuchs Schritt für Schritt loslassen. Wenn man aber dann liest oder hört, dass in einigen Fällen diese Umwelt eben nicht so behütet ist, nicht so harmlos, wie man sie sich für sein Kind wünscht… dann kann es schon passieren, dass sich einem vor Wut und Angst der Magen zusammenzieht.

 

Wir sprechen uns wieder…

„Wieso“, witzelt der Nicht-Vater-Kollege, „musst du heulen wenn du sowas liest, oder wie?“

„Kann schon vorkommen“, meint darauf der Vater. „Deswegen lese ich’s ja auch nicht. Und jetzt halt die Klappe. Wir sprechen uns wieder, wenn du auch Papa wirst.“