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Rutschtipps fürs Leben - Über den kindlichen Spaß, sich ins Unbekannte zu stürzen

Unsere Kids sind Meister in der Lust am Entdecken. In der unstillbaren Neugier. Und im Überwinden von Ängsten. Nirgendwo lässt sich das so gut beobachten wie auf einem gewöhnlichen Spielplatz. Sei es das Klettergerüst, die Schaukel, das kleine Karussell oder natürlich die Rutsche. Und beim Absolvieren der einzelnen Rutschgänge kann man die verschiedenen Charaktere von Hosenmätzen und Hosenmätzinnen ganz klar erkennen. Hier die ultimativen "Top 5":

Der Bedenkenträger.

Klettert schon mit angezogener Handbremse bis zum Rutscheneinstieg. Hält dabei die nachfolgende "Meute" erheblich auf. Prüft Höhe, Neigung und zu erwartende Rutschgeschwindigkeit sehr akribisch, bis er zu dem Entschluss kommt, doch lieber umzukehren. Lässt sich dabei gerne von Mama die Leiter wieder runtertragen. 

Die Wildsau.

Hält nichts von klassischer Füße-voran-Technik. Stürzt sich auch schon beim ersten Rutschversuch Kopf voran in den Tunnel. Deutlich zu erkennen an Kiesel-Bremsspuren im Gesicht. 

Der Auffang-Psycho.

Schreit lauthals über den ganzen Spielplatz, um Mutter, Vater oder sonstigen Erziehungsberechtigten ans Ende der Rutsche zu lotsen. Rutscht erst los, wenn erwachsene Zielperson mit ausgestreckten Armen und gebeugten Knien in Stellung ist. Und am besten noch fünf Kissen untergelegt hat.

Die Rudel-Rutscher.

Rutschen prinzipiell nur im 3er- oder 4er-Pack. Hintereinandersitzend, übereinander, untereinander, mit den Armen eingehakelt oder sich am Ohrläppchen des Vordermannes festhaltend. Völlig beratungsresistent gegenüber den international gültigen Rutschvorschriften hinsichtlich Personenzahl und sicherheitsgemäßer Rutschposition.

Der Dauer-Rutscher.

Vorbildliches Rutschverhalten. Erklimmt zügig die Startposition, rutscht in perfekter Rutschhaltung, verlässt unmittelbar nach der Landung die Auslaufzone. Ohne dabei die Miene zu verziehen. Wiederholt diesen Vorgang bis zu fünfzig Mal, innerhalb von zehn Minuten.

 

Was verrät uns diese psychologisch extrem fundierte Studie über das Leben? Es gibt einfach unterschiedliche Methoden, um mit Herausforderungen fertig zu werden. Was für die Kleinen das Flitzen auf der Bergabbahn auf dem Spielplatz, im Indoor-Park oder im Schwimmbad ist, präsentiert sich allgemein und immer wiederkehrend für den Homo Sapiens als Konfrontation mit dem Unbekannten. Gerade beim ersten Versuch. Gerade dann, wenn es sich um eine Tunnelrutsche handelt, wo man oben nicht sieht, wo man unten wieder herauskommt. Ein Paradebeispiel für Prozesse, deren Ausgang man nicht kennt. Also genau die Situationen, die uns am meisten Angst machen. Wenn wir für eine gewisse Zeit die Kontrolle über das Geschehen abgeben müssen und gleichzeitig auf eine sanfte Landung hoffen. Dieses Prinzip begegnet uns im Laufe des Lebens zig Mal wieder. Beim Rendezvous, bei der Mathe-Prüfung, beim ersten Tag in der neuen Firma, beim Antreten einer Reise.

 

Unverzichtbar für ein gutes Gelingen: Vertrauen. 

Nennen wir es Gottvertrauen, Vertrauen ins Schicksal, Vertrauen auf ein Happy End, Vertrauen in sich selbst. Wie das geht, zeigte mir meine ältere Tochter, damals 4 Jahre alt, bei einer unter den Gleichaltrigen berühmt-berüchtigten Tunnelrutsche im Indoor-Spielplatz. Auch genannt: die grüne Schlange. Ich sah mein Kind die Leiter hochklettern, zögern, wieder runter klettern, was anderes spielen, wieder neugierig die anderen Rutschkandidaten beobachten, wieder hoch klettern, die Lage prüfen, anderen Rutschwilligen den Vortritt lassen und sich schließlich in die Startposition begeben. Noch ein kurzer Blick zu mir, ein tiefes Luftholen, dann verschwand sie im Maul der Schlange, in der großen grünen Röhre der Tunnelrutsche. Die nächsten Sekunden sah ich meine Kleine erst mal nicht mehr, aber ... ich habe sie während der ganzen Talfahrt deutlich gehört, als sie den rasanten Weg abwärts zu sich selbst immer wieder mit felsenfester Überzeugung sagte: 

 

"Ich hab keine Angst. Ich hab keine Angst. Ich hab keine Angst  ..."

Auto-Suggestion in Perfektion. Von einer Vierjährigen. Liebe Psychotrainer und Motivationsgurus auf der ganzen Welt: Ihr könnt einpacken. Besser als meine Tochter kann man nicht vormachen, wie man die Rutsche des Lebens bewältigt. 

 

Christoph Bauer ist Vater von zwei Töchtern (4 und 8). Er arbeitet als freier Texter, Autor und Redakteur. Mehr auf www.christoph-bauer-text.com