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Netflix – die beste Tagesmutter Deutschlands

Der Medienkonsum von Kindern ist ein großes Thema unter Eltern. Viele Eltern sind der Meinung, dass Kinder besser gar nicht fernsehen sollten. Mate Tabula sieht das anders. Für ihn ist Netflix eine tolle Möglichkeit, um seine Kinder vorübergehend zu beschäftigen. Die Frage bezüglich der Wirkung auf Kinder kontert er mit einer Gegenfrage: Wie sind wir eigentlich aufgewachsen? Und hat es uns SO sehr geschadet???

Ohne Übertreibung kann ich sagen, dass ich vom deutschen Fernsehprogramm der 80er und 90er erzogen wurde. Dalli Dalli, Herzblatt und Familienduell, aber auch das A-Team, Knight Rider und vor allem McGyver waren mein Vater, meine Mutter, meine Onkel und Tanten. Seitdem weiß ich, wie man aus einem Strohhalm und einer Cola ein gefährliches Wurfgeschoss bastelt. Nein, weiß ich natürlich nicht, aber wenn ich einen Strohhalm und eine Cola in Händen halte, stelle ich mir vor, dass ich es wüsste.  
Meine Eltern haben unten in ihrer kroatischen Gastwirtschaft gearbeitet und ich habe oben in ihrer deutschen Wohnung das aktuelle Fernsehprogramm abgearbeitet. Beverly Hills 90210, 21 Jump Street, Sturm der Liebe, aber auch Alf, Eine schrecklich nette Familie und Die Simpsons. Seitdem singe ich jeder Lisa, die Geburtstag hat, „Lisa, it´s your birthday, happy birthday, Lisa“ ins Ohr. Die Lisas, welche Die Simpsons kennen, freuen sich besonders. 

Mit meinem älteren Bruder habe ich bereits mit sechs Jahren Terminator gesehen - und natürlich Alpträume davon bekommen. Engagierte Pädagogen runzeln jetzt sicher die Stirn und das Jugendamt hätte meinen Eltern damals bestimmt die Erziehungsberechtigung entzogen, hätten sie gewusst, wie viele Stunden ich täglich vor dem Flimmerkasten verbringe. Und was ich schaue. Hasta la Vista, Baby. 

Zu ihrer Verteidigung möchte ich betonen: mit zwölf wurde es weniger mit dem Fernsehkonsum. Denn da schenkte mir meine Tante einen Gameboy und statt Geh aufs Ganze war Tetris, statt Wetten, dass... Super Mario Land und statt Jeopardy Zelda angesagt. 

 

Wir sind toll, wir haben keinen Fernseher 

Heilige Ocarina der Zeit, was war ich verwundert, als ich selbst Vater wurde und las, wie viel Medienkonsum für Kinder empfohlen wird. Kinder von 0 bis 3 sollten am besten gar kein Fernsehen schauen, Kinder von 3 bis 6 maximal 30 Minuten. 30 Minuten! So lange dauert alleine die Werbung bei einem Film im Privatfernsehen. 

Viele moderne Eltern befolgen diese Vorgaben und rühmen sich damit, dass ihre Kinder so gar kein Fernsehen schauen, sondern nur den ganzen Tag meditieren und ihren Namen nachtanzen. Applaus, Applaus. 

Eine befreundete Autorin hat mir gesteckt, dass sie gar keinen Fernseher haben und ihre zwei Töchter lediglich einmal die Woche eine Wissensendung von Kika schauen dürfen – 15 Minuten  Kompaktbildung auf dem Tablet. 

15 Minuten, pah! Da haben sich meine Töchter erst warm geschaut. Ich lass die zwei täglich schauen. Und zwar das Programm der besten Tagesmutter der Welt – Netflix. Für knapp 10 Euro im Monat bekommen sie hier werbefreies Kinderprogramm vom Feinsten. Peppa Wutz, Meine Freundin Conni, Peterson & Findus und natürlich PJ Masks, die Pyjamahelden. Eine Gruppe mutiger Helden (in Schlafanzügen) macht sich auf, gerissenen Schurken das Handwerk zu legen. Meine Kinder sind süchtig nach diesem Zeichentrick. 

 

Zeichentrick für die Kids, Entspannung für den Papa

Zu Weihnachten haben sie sich die Kostüme von Eulette und Gecko, zwei der Pyjamahelden, gewünscht. Die Kleine ist nun Gecko, die Große Eulette. Laut ihnen ist die Mama die dritte im Bunde, Catboy und ich bin Lunagirl, eine fiese Schurkin, die mit ihren Motten durch die Nacht fliegt. Also, wir wissen bereits, als was wir an Fasching gehen. 

Manchmal, wenn ich als Papa ausgelassen und gut gelaunt bin, dürfen meine Kleinen zwei Folgen am Stück schauen. Das sind ca. 24 Minuten - sogar unter der Empfehlung für die Große. Die Kleine darf eigentlich gar nicht schauen, aber ich kann ja nicht die Große schauen lassen und mit der Kleinen spielen. Wo bliebe da die Entspannung für mich? 

Manchmal lasse ich die Kinder schauen, und schaue selbst etwas auf dem Tablet - als Erinnerung an meine unterhaltsame Kindheit. Manchmal arbeite ich, während die Kinder schauen, schreibe einen neuen Text, denke mir Werbeideen aus, mach die Wäsche - was man halt so macht als freischaffender Autor, Texter und Hausmann. 

 

Ein Leben ohne Schauen – möglich, aber sinnlos

Dabei kommt es vor, dass ich vergesse, die Kinder von der Tagesmutter abzuholen. Wenn ich mich dann wieder an sie erinnere, haben sie ganz viereckige Augen und benehmen sich für einen kurzen Moment wie die Zombies aus The Walking Dead. Die Lieblingsserie von mir und meiner Frau, die in ihrer Kindheit ebenfalls zu viel Bildschirmzeit abbekommen hat. 

Netflix die beste Tagesmutter
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Außer, dass sie ab und an launisch, verplant und sensibel ist, kann ich keine Schäden an ihr feststellen. Sie hat erfolgreich Jura studiert. Keine Ahnung, was sie wäre, wenn sie nicht so viel geschaut hätte. Keine Ahnung, wie ich wäre, wenn ich nicht so viel geschaut hätte. In Artikeln steht oft, dass Kinder, die viel schauen, unkonzentriert, unkreativ und ... was noch mehr weiß ich gar nicht, weil ich meist zu unkonzentriert bin, solche Artikel zu Ende zu lesen. Ich für meinen Teil empfinde mich als äußerst kreativ und konzentriert. Gerade jetzt, während ich an diesem Text schreibe. 

Und wenn ich damit fertig bin, gehe ich mit meinen Fernsehzombiekindern auf den Spielplatz. Unsere Kleine hat sich früher nicht getraut, alleine zu rutschen. Sie kletterte rauf und wollte dann, dass man sie wieder runter holt. Neulich stand sie oben und sagte den unvergesslichen Satz: „Ich bin so stark wie PJ Masks stark sind“. Dann sauste sie runter. Ich schrieb gleich ihrer Tagesmutter, dass ich sehr zufrieden mit ihrer Erziehung sei. Danke Netflix, weiter so. 

 

Mate Tabula ist Autor, Texter und Geschichtenerzähler aus Germering bei München. Er hat ein Frau, zwei Töchter und eine Schilddrüsenunterfunktion. Mehr über ihn und sein Leben erfahrt ihr hier