Zweijährige führen ein Leben ohne Zwischentöne – sie lieben, sie hassen, sie brauchen – und das sooo sehr und sofort. Es sind stets die ganz großen Gefühle, die sie bewegen. Unser Kolumnist Mate Tabula beschreibt den ganz normalen Alltag als Vater einer zweijährigen Drama-Queen.
Ein Leben voller Drama - die Leiden einer Zweijährigen
Meine zweijährige Tochter ist eine Kommunikations-Extremistin. Wenn sie spricht, kennt sie keine zaudernden Zwischentöne oder mittleren Melodien, nein, aus ihrem Mund kommen nur Höhen und Tiefen. Wahrscheinlich liebt sie deshalb auch gerade das Lied Heidi „soooo sehr“. Die Welt der kleinen Maid sind bekanntlich die Berge, die Welt meiner Tochter dagegen sind die traurigen Täler vor dem Kühlregal, wenn ich ihr den heiß ersehnten Pudding verwehre.
Pudding liebt sie nämlich auch „soooo sehr“, dass sie ihre Mimik wie eine schmalzige Schlagersängerin verzieht, wenn ich ihr den verweigere. Besonders herzentzweiend ist der Gesichtsausdruck, wenn selbst ein langgezogenes „Biiiiittteeee“ an meiner Entscheidung nichts ändert.
Beim diesem Anblick kann man als Außenstehender im Supermarkt nicht anders, als den Vater fassungslos anzuschreien: „Verdammt, sie Unmensch, jetzt geben sie der Kleinen endlich den 10-Liter Eimer Schokopudding, merken sie denn nicht, wie sehr sie leidet?“
Nicht ohne meine Sandalen
Oh ja, und wie ich das merke. Zum Beispiel immer dann, wenn ich versuche, ihr andere Schuhe statt der neuen rosa Sandalen anzuziehen. Die rosa Sandalen liebt sie nämlich auch „soooo sehr“, dass ihr aktuell keine anderen Schuhe an die Füße kommen.
„Aber Kleine, es hat da draußen gerade heftig geregnet, die Straßen sind voller Pfützen und in deinen Sandalen werden die Fussis nass. Komm, wir ziehen die festen Schuhe an.“
Doch sie antwortet nur: „Feste Schuhe mag ich nicht“. Dabei spitzt sie die Lippen so, dass ich sofort an Mick Jagger und den Stones-Hit You can´t always get what you want denken muss.
Während ich ihr die festen Stiefel schnüre, weil ich als Vater nun mal die Verantwortung dafür trage, dass eine Zweijährige mit vernünftigem Schuhwerk passend zu den klimatischen Außenbedingungen das Haus verlässt, bestraft sie mich mit einem Donnerwetter thorähnlichen Ausmaßes. Mein kleines Mädchen benimmt sich „sooo wüterich“, sie feuert scharfe Tränenperlen aus ihren Augen und schreit mich zusammen, dass ich glaube, verpasst zu haben, dass die Welt gerade untergeht.
Sooo traurig, sooo süß
Gut. Wahrscheinlich geht für sie gerade die Welt unter. Und das lässt sie auch jeden wissen, der sich in Sichtweite befindet. Zum Beispiel den spanischen Kindererzieher ihrer großen Schwester, wenn wir die im Kindergarten abliefern.
„Papa hat falsche Schuhe anzieht“, schimpft sie und streckt ihm einen Schuh hin. „Da, schau. Keine Sandalis. Sooo traurig.“ Doch Sergio findet das ganz und gar nicht traurig, sondern „sooo dulce“.
Ein ganzer Tag mit dieser Diva ist jedoch alles andere als süß. Von einem Moment auf den Nächsten will sie so unbedingt Gummibärchen, dass ich manchmal versucht bin, die Feuerwehr zu rufen, damit die sie ihr bringen. Tatü tata, die Gummibärchen sind da. Für meine Mariah Carey ist mir kein Notruf zu peinlich.
Tuch, Tuch, Nasentuch
Auf dem Spielplatz sorgt sie sich, dass ihr die anderen Kinder ihre Sandförmchen wegnehmen oder die Eltern der anderen Kinder sie mir wegnehmen, dass sie sich wie ein Klammeräffchen an eines meiner Beine klammert:„Soooo Angst, Papa, vor Leute.“
„Keine Angst. Papa ist doch da“, sage ich in solchen Momenten, was aber völlig unnötig ist. Denn kurz darauf hat sie „sooo Durst“ oder „sooo Hunger“, dass die vorherige schier unerträgliche Angst vor Leuten wie vom Erdboden verschluckt scheint.
Zwischen diesen melodramatischen Szenen fordert sie immer mal wieder ein Tuch. Also alle zehn Sekunden eigentlich. Tuch. Tuch. Tuch. Für ihre Nase. Sprich Nasentuch. Bitteeeee, Papa, schnell Tuch, sooo wichtig. Warten mag ich nicht.
Und was soll ich machen? Ich reiche ihr ein Tuch, atme tief durch und male mir aus, wie sie sich als Erwachsene verhalten wird. Der Chef trägt ihr irgendein Projekt vor und sie sagt ihm, dass sie das nicht mag, weil es „sooo sinnlos“ ist.
Zu ihrer besten Freundin sagt sie, dass sie den neuen Frozen Pudding Laden an der Ecke „sooo super“ findet, dass sie da unbedingt gleich hin will. Kommst du mit?
Wenn sie irgendetwas nicht bekommt, versucht sie es zunächst mit einem langgezogenen „Biiiitteeee“ und feuert im Anschluss scharfe Tränenperlen aus ihren Augen, bis man als Außenstehender nicht anders kann als zu schreien:
„Jetzt geben sie dieser Frau endlich ein Nasentuch. Sehen sie denn nicht, wie sehr sie leidet?“ Und dann kommt auch schon die Feuerwehr mit Gummibärchen, um sie vom Kühlregal weg zu locken.
Mate Tabula ist Autor, Texter und Geschichtenerzähler aus Germering bei München. Er hat ein Frau, zwei Töchter und eine Schilddrüsenunterfunktion. Mehr über ihn und sein Leben erfahrt ihr hier