© semisatch - Fotolia.com

Wut auf das eigene Kind – wie man sie verhindern und Lösungen finden kann

Zahlreiche Väter und Mütter kennen das Gefühl, wenn das eigene Kind einen an die Grenzen gebracht hat und man kurz davor ist, auszurasten. Was kann man im Vorfeld dagegen tun und wie vermeidet man es, gegen das eigene Kind übergriffig zu werden? Ein Vater teilt seine Erfahrungen und gibt Tipps.

Ich kann mich noch gut an das Gesicht meines Vaters erinnern, wenn er nach mir schlug. Es war kein schöner Anblick – ein hochroter Kopf, den Mund zu einem Schrei aufgerissen, wenn er mit der flachen Hand unkontrolliert nach mir – und oft auch meinem Bruder – haute. Ich war immer wieder geschockt, weil ich so etwas von meiner Mutter nicht kannte. Damals fand ich das furchtbar – und wollte so etwas später nie selbst bei meinen Kindern wiederholen. Nun bin ich selbst Vater und habe nie die Hand gegen meine Kinder erhoben. Aber inzwischen kann ich meinen Vater besser verstehen.

 

Kinder fordern ihre Eltern – und die sind manchmal überfordert

Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich sieben Jahre alt war. Unterschiedliche Ansichten über die Kindererziehung spielten dabei eine Rolle. Mein Bruder und ich lebten danach bei meiner Mutter. Meinen Vater sahen wir nur noch an einem Wochenende im Monat und zwei Wochen in den Sommerferien. Die Wochenenden liefen meist ohne allzu große Spannungen ab – auch, weil sie so kurz waren. Aber in den Ferien kam es vor, dass mein Vater uns – meist mir – „eine langte,“ wie er es nannte. Es war nie geplant, kontrolliert. In den Situationen, in denen er uns schlug, waren wir wild und laut – wir waren eben lebhafte Jungs, die sich nicht an Ansagen hielten, wenn sie untereinander stritten – und mein Vater wusste nicht, mit der Situation umzugehen. Weil er gestresst war, weil er sich hilflos fühlte oder überfordert? Oder von allem etwas?

Was er tat, finde ich noch immer nicht gut. Aber inzwischen kann ich es immer besser nachvollziehen, denn auch ich habe inzwischen bereits erfahren, wie mich meine Kinder an meine Grenzen gebracht haben. Ich habe schon echte Wut auf meine große Tochter verspürt, die ich über alles liebe. Diesen explosiven Mix aus Frust, Hilflosigkeit, Stress und Übermüdung, der entsteht, wenn mein Kind bockig oder unkooperativ ist, Dinge herumwirft, Türen zuschlägt, nach ihren Eltern schlägt oder – schlimmer – ihrer kleinen Schwester absichtlich wehtut. In diesen Situationen war ich ab und zu kurz davor, ihr eine runterzuhauen, ich sah es in meinem geistigen Auge schon vor mir. Ich habe es nie getan und habe fest vor, es nie zu tun. Denn sein Kind zu schlagen ist:

  • gesetzlich verboten
  • feige, denn man vergeht sich an einem körperlich Unterlegenen und geht den einfachsten Weg, um ein Problem vermeintlich zu lösen und ist damit ein Zeichen von Schwäche
  • und darüber hinaus die absolut falsche Botschaft an das Kind. Gewalt ist einfach kein geeignetes Mittel zur Lösung von zwischenmenschlichen Konflikten.

Wut erst gar nicht entstehen lassen

Ich habe mich gefragt, wann ich schon in Situationen gekommen bin, in denen ich dann letztlich wütend auf mein Kind wurde und dabei ein paar Muster erkannt.

Mein Kind ist dann besonders anstrengend, wenn es übermüdet ist, hungrig, überreizt oder zu wenig toben konnte. Oder es will um jeden Preis seinen Willen durchsetzen, einfach aus Prinzip. Wenn ich mir das vor Augen führe, dann kann ich einige Reaktionen der Kleinen besser einschätzen und eventuell auch Abhilfe schaffen oder meine Einsicht hilft mir, die Laune meines Kindes leichter zu ertragen. Es gibt einen Grund, es ist nur vorübergehend…

Selbst bin ich besonders „uncool“, wenn ich genervt bin, im Stress, unter Zeitdruck, wenn ich zu hohe Erwartungen habe, zu viele Pläne mache oder schlicht müde und erschöpft bin. Eigentlich recht logisch. Bei einigen Punkten kann man vorbauen – zeitliche Puffer setzen, wo möglich, etc – aber das Leben von Eltern beinhaltet, insbesondere, wenn sie berufstätig sind, ein gutes Maß an Stress und Erschöpfung ist oft auch an der Tagesordnung. Dennoch hilft es, zu wissen, wann man selbst gefährdet ist.

Was tun, wenn man Wut auf das eigene Kind verspürt

Auch, wenn man sich bemüht, Situationen, in denen man an die eigenen Grenzen kommt, gar nicht erst entstehen zu lassen, treten sie meist doch irgendwann auf. Hier ein paar Tipps, die helfen können, um eine Situation zu entspannen:

  • Klare Regeln, die die Kinder kennen, helfen auch in Stresssituationen. Es hilft, diese frühzeitig zu etablieren. Wichtig ist, dass Kinder wissen, dass ihre Handlungen Konsequenzen haben. Damit erübrigen sich oft lange Diskussionen.
  • Bewährt hat sich die 1-2-3 Methode. Die Frage ist in Extremsituationen aber oft, was passiert, wenn das Kind nicht reagiert.
  • Die Auszeit kann eine gute Strategie sein, um Elternteil und Kind eine Möglichkeit zu geben, sich zu beruhigen.
  • Den Partner rufen, wenn der verfügbar ist. Vielleicht hat der gerade mehr Kraft oder in der speziellen Situation einen besseren Zugang zum Kind.
  • Im Notfall kurz aus dem Zimmer gehen. Lieber vor die Tür gehen, um durchzuatmen, als dem Kind eine herunterzuhauen.
  • Dem Kind einen Deal vorschlagen – und notfalls auch einen schlechten Deal. Alles ist besser, als dem eigenen Kind gegenüber Gewalt auszuüben. Notfalls platzieren Sie Ihr Kind vor dem Fernseher, bis Sie sich beide beruhigen. Es muss allerdings klar sein, dass es sich hier um eine Ausnahme handelt, so dass Ihr Kind nicht auf die Idee kommt, solche Situationen heraufzubeschwören, um das zu bekommen, was es will.

Dem Kind Grenzen aufzeigen – notfalls auch körperlich

Kinder fordern ihre Eltern heraus – auch körperlich. Es ist okay, wenn Ihr Kind hin und wieder spürt, dass Sie stärker sind – das aber nicht ausnutzen. Es ist nicht okay, ein Kind zu schlagen, auch nicht auf die Hand. Es ist aber vertretbar, die Hand eines Kindes, das nach Ihnen schlägt, festzuhalten und ihm laut und deutlich „NEIN“ zu sagen. Damit zeigen Sie ihm, wer der Stärkere ist. Ich habe mein Kind in so einem Fall auch schon einmal – kontrolliert – auf eine Matratze geschubst. Meine wilde Tochter war erstaunt, hat geschluckt, dann war kurz Ruhe. Es gibt auch Eltern, die in solchen Situationen damit Erfolg hatten, ihr Kind eng an sich zu drücken und festzuhalten.

Jungen – und auch Mädchen – wollen ab und zu ihre Muskeln spielen lassen und kämpfen. Im Idealfall kommt so ein freundschaftliches und faires Rangeln mit den Eltern zustande. Wenn Kinder sehr wütend sind und nicht wissen, wohin mit ihrem Zorn, kann man ihnen stattdessen einen Gegenstand anbieten, um ihre Wut daran auszulassen. Ein Kissen zum Beispiel.

Rote Linien festlegen – was geht gar nicht

Im Leben von Kindern gibt es viele Regeln. Jedes Kind sollte aber wissen, wo bei seinen Eltern „der Spaß“ aufhört, was also absolut nicht akzeptiert wird. In unserem Haus sind das Gewalt – also hauen, beißen und kratzen – gegen Geschwister und Eltern oder Dinge absichtlich kaputt zu machen. Wenn das passiert, dann wissen unsere Kinder, dass die Eltern böse werden – und es eine Auszeit und keine Privilegien wie Fernsehen oder Süßigkeiten gibt. Daher kommt das auch sehr selten vor.

 

Ein paar Worte zum Schluss: in letzter Zeit haben uns häufiger Eltern kontaktiert, die hin und wieder Wut gegenüber ihrem Kind empfinden und nicht wissen, wie Sie damit umgehen können. Zunächst einmal ist es wirklich gut, wenn Sie das als Problem erkennen und etwas dagegen tun wollen. Wenn Ihnen die Tipps oben persönlich nichts bringen, dann sprechen Sie mit einer Fachkraft. In vielen Kindergärten gibt es psychologische Fachkräfte, die auch Eltern beraten. Auch Pro Familia bietet Beratung für solche Fälle an.