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Hilfe, ich werde von Nicole verfolgt! - Begegnungen der dritten Art mit einer erwachsenen Barbie-Spielerin

Neulich surrte mein Handy im Vibrationsmodus. Ich dachte natürlich an eine WhatsApp Nachricht. Doch weit gefehlt. Und ich musste mehr als zwei Mal hinsehen, bis ich die Mitteilung verstand: "Spielspaß mit Nicole. Die neuen Folgen jetzt auf YouTube." Mhhh. "Spielspaß mit Nicole"? Das kann alles Mögliche sein. Von nicht jugendfreien Angeboten ganz zu schweigen. Ich nahm heldenhaft das Risiko in Kauf, klickte auf den Link und landete auf einem Kanal, der mich staunen, erschaudern und schmunzeln zugleich ließ.

Um eventuellen Missverständnissen gleich mal vorzubeugen: "Spielspaß mit Nicole" ist kein anrüchiges Online Game. Keine Nackt-Version von Backgammon. "Spielspaß mit Nicole" ist ein YouTube Kanal mit verschiedensten Episoden, in denen eine erwachsene Frau mit Barbie-Puppen spielt. Eine Folge beginnt zum Beispiel so: Nicole sitzt in ihrem "Mädchen-Spielzimmer" inklusive Barbie-Puppen-Wellness-Dingsbums-Center, Nicole flötet: "Hallo Freunde, willkommen in meinem Spa Salon". Dann tippt sie auf ihrem Laptop herum: "Mal schauen, wer heute ein Rendezvous hat". Tippt irgendwas. "Aaah, ich sehe, Elsa kommt heute." Tippt irgendwas: "Mal schauen, was sie für eine Behandlung haben möchte." Kurz darauf wird eine Elsa-Barbie-Puppe (Elsa ist die "Eiskönigin" von Disney, für die Nicht-Eingeweihten) in die Kamera gehalten und Nicole (die echte erwachsene Frau) stellt der Barbie-Elsa die wunderbaren Features ihres Puppen-Beauty-Salons vor. Und das in einem ganz bestimmten, doch auffällig sirenigem Tonfall. So als würde eine 13-Jährige ihren gleichaltrigen Freundinnen vormachen, wie sich eine nervige Lehrerin anhört. Und genau diese spezielle Stimme war es, die mich erkennen ließ, warum ich mit den YouTube-Neuigkeiten beglückt wurde.

 

Das Problem: Meine Töchter sind verrückt nach "Barbie & Nicole".

Zu bestimmten Gelegenheiten dürfen sich meine Kleinen (4 und 8) auf meinem Handy kurze YouTube Videos aussuchen. Die Größere ist natürlich schon so smartphone-erfahren, dass sie mit wenigen Wischern ihr Wunschvideo heraussuchen kann. Während ich dann zum Beispiel das Abendessen zubereite, ziehen sich die Kids ein fünfminütiges Video auf der Couch rein. Und ich höre dann zwangsläufig immer Nicoles Ausführungen mit, obwohl ich meist nach wenigen Sekunden die Ohren zuklappe. Und als ich so die "Abenteuer" der Eiskönigin Elsa in Nicoles privatem Barbie Märchenland mitverfolgte, geschah etwas, was man vielleicht mit "Dschungelcamp Effekt" bezeichnen könnte: Man will eigentlich gar nicht hinsehen, kann aber irgendwie auch nicht mehr seine Augen abwenden. Und da ich – muss ich wohl oder übel zugeben – gerade nichts Besseres zu tun hatte, machte ich einen Streifzug durch die ganz speziellen Barbie Fantasien dieser ganz speziellen Frau Nicole. Sind Sie hart im Nehmen? 

 

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Barbie auf dem Arbeitsamt. In der Folge "Nicoles Arbeitsagentur" kommt die arbeitslose Barbie (!) zur Arbeitsmarktexpertin (!) Nicole. Und die gibt sich alle Mühe, einen passenden Job für die Plastikblondine zu finden. Konditorin geht nicht, weil da würde Barbie alles selber aufessen, wie sie selbst befürchtet. Na klar, tonnenweise Törtchen Essen ist sicher das Lieblingshobby der Wespentaille-Ikone. Taxifahrerin geht auch nicht, logisch, sie hat ja keinen Führerschein. Aber die dritte freie Stelle wird vorbehaltlos angenommen. Kindergärtnerin, kann ja nicht so schwer sein. Der Vorteil: Hier kann man sämtliche neue Artikel aus der Barbie Collection vorstellen. Vom Kinder-Dreirad bis zum Mini-Bällebad. Product Placement at its best. Bis Barbie entnervt feststellt, dass ihr auch der Kindergärtnerinnen Job zu stressig ist und sie doch lieber in ihre usprünglich angestammte Funktion zurückkehrt: Barbie eben. 

 

Barbie kriegt ihr Baby.

Es kommt, wie es kommen musste. Barbie und Ken erwarten Nachwuchs. Als bei Barbie die Wehen einsetzen, läuft Nicoles Synchronstimme zur Hochform auf. Wir spulen etwas vor. In einer spektakulären Kamerafahrt wird Barbie in den Kreißsaal geschoben. Eine Barbie-Gynäkologin, seltsamer Weise mit genau derselben Gesichtsform wie die werdende Mutter, erklärt die nächsten medizinisch wichtigen Schritte. Und dann folgt das Wunder der Geburt: Der schwangere Plastikbauch wird aufgeklappt, so wie man eine Tupperbox öffnet, das Plastikbaby wird rausgenommen, Deckel zu, fertig, Operation gelungen, Gehirn tot.

 

Jetzt alles, nur nicht den pädagogischen Zeigefinger!

Damit Sie mich nicht falsch verstehen. Die Tatsache, dass mich Nicoles Stimme und Nicoles Barbie-Produktfilme nicht zu Begeisterungsstürmen hinreißen, ist kein Drama. Zwingt mich ja keiner, die Filmchen anzusehen. Außer zu investigativ motivierten Recherche-Zwecken. Für mich war es einfach interessant, in die von Frau Nicole präsentierte Barbie-Welt meiner Töchter einzutauchen. Ich bin halt in dem Alter mit offenem Mund vor dem (antiken) TV-Gerät gehockt und habe Fred Feuersteins Steinzeit-Gags inhaliert. Oder Biene Maja. Oder Heidi. Später Winnetou, Tarzan, Bud Spencer. Ich habe mit Hilfe von Fix & Foxi Comics lesen gelernt. Ich will – und kann – hier keine allgemein gültigen Maßstäbe für gute und schlechte Kinder-Programme aufstellen. 

Offensichtlich ist es so, dass meine Mädchen nicht nur fasziniert von den Nicole Stories sind. Sie spielen sie auch in Teilen nach oder lassen sich inspirieren zu neuen Barbie Geschichten, die sie sich selbst ausdenken. Insofern kein schlechter Anstoß zur Kreativität. Und der Hammer ist: Wenn meine Töchter so ihre Barbie Adventures spielen und ausleben, fallen sie sehr bald in diesen extremen Tonfall, der Nicole so – sagen wir – "einzigartig" macht. Und das führt dazu, dass mir diese so – sagen wir – "prägnante" Stimme länger nicht aus dem Kopf gehen wird. Deswegen hier an dieser Stelle ganz offiziell: 

Vielen Dank, Nicole!

 

Christoph Bauer ist Vater von zwei Töchtern (4 und 8). Er arbeitet als freier Texter, Autor und Redakteur. Mehr auf www.christoph-bauer-text.com