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Ein Projekt mit meinem Sohn - gemeinsam etwas auf die Beine stellen

Es ist erstaunlich. Mein Sohn war nie jemand, der sich morgens nichts Besseres vorstellen konnte, als zur Schule zu gehen. Er war auch nie jemand, der sich freiwillig hinsetzte und Hausaufgaben machte. Inzwischen ist er 15 und bereitet sich nach wie vor immer erst auf den letzten Drücker auf Klassenarbeiten vor. Das alles ist allerdings nicht das, was erstaunlich ist. Erstaunlich ist, zu wie viel Disziplin mein Sohn in der Lage ist, wenn es um Kreativität geht. Da kann er schon einmal Zeit und Raum vergessen.

Wir sind Cineasten, mein Sohn und ich. Tims Mutter mag zwar auch Filme, aber nicht so, wie wir. Wir betrachten Filme schon fast mit den Augen von Regisseuren, achten auf Kameraführung, auf sinnvolle oder originelle Dialoge und schlüssige Geschichten. Wenn wir einen Film gucken, dann machen wir das nicht nur, um die Zeit totzuschlagen. Wir wollen wirklich etwas davon haben. Und unsere Ansprüche sind hoch geworden im Laufe der Zeit. Daher kann es durchaus passieren, dass wir nach einer halben Stunde die Stopp-Taste drücken, den Film aus dem DVD-Player nehmen und etwas anderes machen. Allerdings nicht, ohne vorher die mindere Qualität des Films bis in die Einzelheiten zu benennen und klarzustellen, was man hätte besser machen können. Auf einer unserer „Krisensitzungen“ nach einem schlechten Film entstand die Idee, selbst etwas zu machen. Ein ganzer Film war uns zu aufwändig, aber uns kam die Idee, einen Film neu zu synchronisieren. Also ran ans Werk!

 


Die Drei von der Schnittstelle


Um einen Film neu zu vertonen braucht man ein gewisses technisches Verständnis. Daher kam es uns gerade recht, dass auch Ben Gefallen an der Idee fand. Ich muss dazu sagen, dass Ben quasi zur Familie gehört. Mein Sohn kennt ihn, seit er 6 Jahre alt ist. Ben geht bei uns ein und aus und fühlt sich zuweilen mehr zu unserer als zu seiner eigenen Familie hingezogen (aber das ist ein anderes Thema). Und Ben ist leidenschaftlicher Technik-Freak. Mein Sohn hat im Lauf der Zeit viel von Ben gelernt, was den Umgang mit dem Computer angeht. Ich übrigens auch. Besonders als es darum ging, gemeinsam einen Film neu zu synchronisieren, waren wir alle drei sofort Feuer und Flamme. Die vierzehntägigen gemeinsamen Wochenenden, die ich sonst mit meinem Sohn verbrachte, wurden ausgeweitet auf Zusammenkünfte zwischen Tim, Ben und mir. Wir hatten einiges zu tun.

 


Vorarbeiten


Die Aufteilung war klar. Ben war dafür zuständig, den eigentlichen Ton vom Film zu entfernen. Wir hatten uns für „Star Wars“ entschieden, also für ein Mammutwerk. Ben arbeitete fieberhaft am Laptop, während Tim und ich dafür verantwortlich waren, neue Dialoge zu schreiben. Das Ganze entwickelte sich zu einer faszinierenden gemeinsamen Arbeit. Tim und ich schrieben, wir verwarfen und schrieben um, wir probten und amüsierten uns köstlich. Ben saß währenddessen an seinem Rechner, arbeitete stumm vor sich hin und grinste dabei immer wieder. Nach und nach wurden die Dialoge, die wir ausarbeiteten, immer gelungener und witziger. Unser Ziel war es, aus dem Film eine Komödie zu machen - und das ist nicht einfach, wie sich herausstellte. Aber es hat unglaublich viel Spaß gemacht und wir haben selten so viel gelacht wie bei diesem Projekt.

 


Achtung, Aufnahme!

 

Ich will ehrlich sein. Wir haben nicht den ganzen Film neu synchronisiert. Das wäre eine Lebensaufgabe gewesen, denn allein ein paar Minuten so neu zu gestalten, dass es authentisch wirkt, ist eine anspruchsvolle Aufgabe, besonders wenn man nur eingeschränkte technische Möglichkeiten hat. Aber wir machten uns wirklich gut, fanden wir. Also saßen wir vor dem Bildschirm, ließen die Bilder laufen und versuchten, passend zu den Lippenbewegungen der Schauspieler die neuen Dialoge im Film unterzubringen. Und hier zeigte sich mein Sohn von einer ungeheuren Ausdauer. Zudem stellte sich heraus, dass er offenbar ähnlich perfektionistische Züge hat wie ich. In diesem Fall sogar noch perfektionistischer, denn selbst, als ich mit einer Szene zufrieden war, entdeckte er Fehler bei der Übereinstimmung der Lippenbewegungen und bestand darauf, die Szene noch einmal zu drehen, bzw. zu sprechen. Wir steigerten uns immer mehr hinein und bemerkten tatsächlich nicht, wie schnell 5 Stunden vorüber sein können. Schlussendlich waren wir aber hoch zufrieden mit dem Ergebnis und betrachten Filme seitdem aus einer ganz neuen Richtung. Irgendwie professioneller.
Gemeinsam entscheiden


Es ist nicht entscheidend, was für ein gemeinsames Projekt man mit dem Nachwuchs plant. Wichtig sind ganz andere Dinge:

 

 

  • Denken Sie nicht für Ihr Kind. Sie sind in genug Lebenssituationen der Entscheider, beim gemeinsamen Projekt sollten Sie das aber lassen. Sonst ist es eben kein gemeinsames, sondern doch mehr Ihr Projekt.

 

  • Nehmen Sie sich zurück. Unter Umständen werden Sie überrascht sein, was Ihr Kind schon alles kann. Helfen Sie also, wo es nötig ist. Aber eben nicht mehr.

 

  • Treffen Sie Entscheidungen zusammen. Es ist egal, ob Sie einen Film neu synchronisieren, ein Baumhaus bauen oder zusammen ein Bilderbuch entwickeln wollen. Früher oder später wissen Sie nicht, wie Sie weitermachen sollen. Geben Sie keinen Weg vor, sondern finden Sie gemeinsam Lösungen. Daran wächst nicht nur Ihr Kind. Daran wachsen auch Sie.

 

 

zum Autor:
Jörg Wellbrock, 44, arbeitet als freier Texter und Autor. Neben seinen  hauptberuflichen Texten verfasst er Satiren, Gedichte und  Kurzgeschichten Er tritt regelmäßig auf literarischen Lesungen auf.
Wellbrock ist geschieden und hat einen 15-jährigen Sohn.