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Kinder und der Egoismus – warum das Teilen so schwer fällt

Kinder sind Egoisten. Gnadenlose Egoisten. Und das ist ihr gutes Recht. Und dennoch kann es uns Eltern manchmal zur Weißglut treiben. Umso schöner, wenn der Egoist manchmal aus seiner Rolle fällt.

Okay, es ist schon lange her, aber wir erinnern uns doch alle noch daran. Daran, wie unsere Eltern damals versucht haben, uns zu sozialen Wesen zu erziehen, die nicht nur an sich selbst denken. „Teile doch mal mit deinen Geschwistern“, hieß es dann. Oder: „Lasst doch auch mal den Jungen mitspielen, mit dem sonst niemand spielen will.“ Oder: „Du musst dir nicht unbedingt das größte Stück vom Kuchen nehmen.“ Es ist nicht so, dass wir unseren Eltern damals nicht zugehört hätten. Nein, so dumm waren wir nicht. Es hat uns nur nicht interessiert. Natürlich haben wir das größte Stück vom Kuchen genommen. Und nur geteilt, wenn es sich absolut nicht vermeiden ließ. Und den Streber haben wir natürlich nicht mitspielen lassen. Denn: Wir waren Egoisten.

 

Egoismus ist keine Schande – beim Kind

Kinder denken in erster Linie an sich. Vermutlich hat das die Evolution so eingerichtet, damit die kleinen Jungen und Mädchen nicht unter die Räder kamen. Damals, als es noch wichtig war, das größte Stück vom Kuchen (oder Mammut) abzubekommen. Weil das Essen vielleicht nicht für alle gereicht hat. Heute reicht das Essen in der Regel für alle, aber der Egoismus ist geblieben. Und wir Eltern wundern uns Tag für Tag darüber, dass wir unseren Kindern diese hartnäckige Ich-Bezogenheit nicht austreiben können. Oder zumindest nur sehr, sehr langsam und mit großer Mühe. 

 

Egoismus ist eine Schande – beim Erwachsenen

Denn unser gesellschaftliches Wertesystem verpönt den Egoismus, und das ja irgendwie auch zu Recht. Wer ärgert sich nicht über die Menschen, die sich am Buffet den Teller bis zum Anschlag vollschaufeln, so dass der Letzte nur noch ein paar Krümel kriegt. Oder über den Autofahrer, der zwei Parkplätze blockiert, wo auch einer locker gereicht hätte. Oder oder oder. Auch an andere zu denken – das gehört sich eigentlich in unserer Gesellschaft.

 

Ein weiter Weg

Da wir nicht wollen, dass unsere Kinder auch mal solche Egoisten werden (okay: Manche wollen tatsächlich, dass ihre Kinder genau so werden. Sie glauben, nur so bringt man es zu etwas im Leben), reden wir uns Tag für Tag den Mund fusselig. Und reden. Und reden. Und predigen. Und schimpfen. Und drohen vielleicht sogar. Es ist nicht so, dass unsere Kinder uns nicht zuhören würden. Nein, so dumm sind sie natürlich nicht. Sie geben uns durchaus das schöne wohlige Gefühl, dass sie unseren Hinweisen und Ermahnungen lauschen. Nicken mit dem Kopf, schauen uns mit treuem Hundeblick in die Augen. Und verhalten sich beim nächsten Mal haargenau wieder so unfassbar egoistisch. 

 

Wer ist schuld?

Das ist natürlich alles sehr frustrierend. Und es hilft uns auch kein bisschen weiter, wenn unsere Eltern uns versichern, dass wir damals als Kinder auch nicht besser waren. Das muss ja wohl an der falschen Erziehung durch unsere Eltern gelegen haben, oder? Wir können es ja wohl besser, oder? Gestählt durch zahllose Erziehungsratgeber wissen wir doch heute wirklich, wie das funktioniert. Und wenn es dann doch nicht funktioniert, dann ist eins ja wohl klar: Es kann nur an unseren Kindern liegen. Sie sind schuld! Sie können oder sie wollen nicht anders!

 

Siehe da: ein Hoffnungsschimmer 

Es wäre zum Verzweifeln, gäbe es da nicht immer wieder diese Hoffnungsschimmer. Letztens zum Beispiel brachte unsere älteste Tochter eine Schulfreundin mit nach Hause, die zur Zeit auf Krücken unterwegs ist. Die Freundin war nicht von ihren Eltern an der Schule abgeholt worden. Und so nahm unsere Tochter sie im Bus mit zu uns, damit das humpelnde Mädchen nicht alleine Bus fahren musste. Ich war gerührt. Hier schimmerte mal wieder dieses soziale Wesen durch, von dem wir als Eltern träumen. Gut: Ein bisschen geärgert habe ich mich auch. Schließlich musste ich die Schulfreundin jetzt nach Hause fahren, obwohl ich eigentlich anders zu tun hatte. Ich alter Egoist…