Für den Hamburger Senat ist es das Einlösen eines Wahlversprechens. Ab dem 1. August gibt es die fünfstündige Kinderbetreuung kostenlos. Ein Mittagessen gibt es gratis oben drauf. Das ist sicher ein guter Schritt, doch die Situation in der Kinderbetreuung insgesamt und die Unterschiede zwischen Ost und West bleiben gravierend.
Kostenlose Kita-Betreuung in Hamburg versus Kinderarmut in Berlin
Man kann Detlev Scheele (SPD), dem Sozialsenator Hamburgs, vielleicht unterstellen, dass er bei seiner Verkündung durchaus schon den Wahlkampf im Hinterkopf hatte. Immerhin sagte er: „Mit der Einführung der Beitragsfreiheit für die Grundbetreuung unterstreicht der Senat seinen familienfreundlichen Kurs und löst ein zentrales Wahlversprechen ein", da klingt schon durch, dass die Wähler sich auf sozialdemokratische Zuverlässigkeit verlassen können sollen.
Fakt ist aber auch, dass Hamburg das erste Bundesland ist, dass die kostenlose Betreuung realisiert, Wahl hin oder her.
Betroffen sind rund 59.000 Kinder von der Geburt bis zur Einschulung. Für Familien, deren Kinder fünf Stunden täglich betreut werden, beträgt die Entlastung immerhin 192 Euro im Monat. Behinderte Kinder erhalten täglich sogar sechs Stunden Betreuung. Die Grünen in Hamburg begrüßten zwar die Entscheidung des Senats, wiesen aber darauf hin, dass Kitas auch Bildungseinrichtungen seien. Dem müsse stärker Rechnung getragen werden. Tatsächlich relativiert sich Hamburgs Schritt, wenn man sich das Gesamtbild der Kinderbetreuung einmal genauer ansieht.
Unterschiede bei der frühkindlichen Kinderbetreuung
Die Länder gehen sehr unterschiedlich mit der Kinderbetreuung um. So fällt auf, dass die alten Bundesländern bei den Betreuungsplätzen mehr auf Qualität setzen, während in den neuen stark auf Quantität gesetzt wird. Zu diesem Schluss kommt zumindest eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Auch die Anzahl der Familien, die Betreuungsangebote in Anspruch nehmen, ist unterschiedlich. Trotz rechtlichen Anspruches besuchen in Schleswig-Holstein nur ca. 70 Prozent der Dreijährigen eine Kita, in Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz dagegen sind es knapp 90 Prozent, was in etwa dem Niveau der neuen Bundesländer entspricht.
Große Unterschiede gibt es von Bundesland zu Bundesland hinsichtlich der Höhe der Investitionen in die Kinderbetreuung. Hier gibt es Schwankungen von 1.000 bis 3.000 Euro pro Kind. Niedersachsen und Schleswig-Holstein beispielsweise geben nur 37 Prozent dessen für die Kinderbetreuung aus, was die Stadt Berlin in die Hand nimmt. Es liegt in der Natur der Sache, dass daher auch die Eltern unterschiedlich stark finanziell einbezogen werden.
Kinderbetreuung versus Kinderarmut
Tägliche Kinderbetreuung, schön und gut. Aber ein Blick auf Berlin (das sicher nicht die einzige Stadt mit diesem Problem ist), zeigt, dass es zunächst einmal um ganz andere Grundbedürfnisse gehen muss. Laut dem letzten Armutsbericht ist in der Bundeshauptstadt jedes dritte Kind arm. Das ist ein erschreckender Wert, der noch brisanter wird, wenn man sich der Einschätzung von Hartmut Häussermann zuwendet, der als „Vater“ des Armutsberichts gilt. Häussermann sagt nämlich, dass Armut gewissermaßen vererbt wird. Kinder aus einkommensschwachen Familien haben in der Regel keine Chance, sich diesem Teufelskreis zu entziehen. Diese Tatsache wirkt sich selbstverständlich auch auf die Motivation der betroffenen Kinder aus. Wer der Überzeugung ist, dass er kaum eine Aussicht auf beruflichen Erfolg und finanzielle Unabhängigkeit hat, wird sich in der Schule kein Bein ausreißen. Dazu passt, dass der Berliner Senat inzwischen die Ansprüche gesenkt hat, die für einen Schulabschluss nötig sind.
Hilfe grundsätzlicher Natur
Der Vorstoß von Hamburg ist ehrenwert, daran kann kein Zweifel bestehen. Und es ist sicher nicht nötig, diesen mit dem Verdacht auf Kalkül oder kommende Wahlen zu belegen. Dennoch zeigt der beispielhafte Blick auf Berlin, dass die Kinderbetreuung nur ein weiterer Schritt sein kann, der nach der Basisversorgung für Familien und deren Kindern folgen muss.
Kinder sind die wehrlosesten Mitglieder unserer Gesellschaft, sie brauchen Hilfe, brauchen eine Lobby, die sie unterstützt. Sie brauchen Nahrung, Kleider und – was am wichtigsten ist! - Perspektiven. In der Schule, im Beruf, in der Gesellschaft. Armut ist dabei nicht hinnehmbar, und solange es sie gibt, ist selbst die 100%ige Auslastung der zur Verfügung stehenden Kindergartenplätze nicht genug.
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