Der Kinderarzt und Bestsellerautor Remo H. Largo gilt als „Erziehungspapst“. In einem Zeitungsinterview hat sich Largo nun zu den Fragen der Erziehung geäußert, zu „neuen“ Vätern und Kitas, die sich jeder leisten können muss. Selbst die Rüstungspolitik bringt der Kinderarzt ins Spiel.
Remo H. Largo: Kostenlose Kitas für alle!
Überforderte Eltern sind kein Phänomen der heutigen Zeit. Remo H. Largo meint, dass es sie schon immer gab. Doch heutzutage gebe es einen wesentlichen Unterschied zu vergangenen Zeiten. Die Eltern von heute haben das Gefühl, alles alleine schaffen zu müssen. Andere Bezugspersonen würden fehlen und so zu einer Isolation der Eltern führen, die zu Angst, Unsicherheit und Ohnmacht führt. Deshalb würden immer weniger Kinder geboren - es macht den Eltern keine Freude mehr, stattdessen spüren sie eine andauernde Belastung. Largo fordert daher mehr Unterstützung für Eltern.
Kinder: Früher waren sie Schicksal
Largo sagt, dass Kinder früher Schicksal waren, heute dagegen sind sie dank der Pille und anderen Verhütungsmethoden eine Entscheidung, die jeder selbst treffen kann. Auch deshalb gehen die Geburtenzahlen immer weiter zurück. Largo sieht darin ein grundsätzliches Problem, denn durch rückläufige Geburtenraten fehlen Fachkräfte, die dann aus dem Ausland „eingekauft“ werden müssten. Doch Unzufriedenheit sieht Largo nicht nur bei den Eltern. Kinder, so der Buchautor, bräuchten mehr als nur eine oder zwei Bezugspersonen. Er meint damit Erzieher und Erzieherinnen, aber auch andere Kinder, die für die Entwicklung von Kindern immens wichtig sind. Kitas müssten daher für alle kostenlos sein.
Wenn das Geld fehlt: Fernsehen statt Spielen
In ländlichen Gebieten sieht Largo noch etwas weniger Probleme, weil dort der Austausch zwischen Eltern meist größer sei. In den Städten dagegen gehe es anonymer zu, und wer sich einen Kita-Platz nicht leisten kann, der muss es eben alleine versuchen. Das bedeutet, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Wenngleich das vielen Familien gelingt, kann doch niemand eine Rundum-Betreuung für das Kind sicherstellen. Die Konsequenz: Kinder verbringen immer mehr Zeit vor dem Fernseher oder dem Computer. Ein weiteres Problem in der Stadt sind Spielplätze, die verwaist oder trostlos sind. Largo geht es übrigens nicht darum, zu verteufeln oder Eltern die Schuld in die Schuhe zu schieben. Er sagt klar, dass niemand nonstop auf den Nachwuchs aufpassen kann. Und zur Problematik der Mediennutzung meint Largo, diese Debatte sei eine Pseudodiskussion, denn der Bildschirm gehöre nun einmal zum heutigen Leben dazu. Die Frage sei nicht, ob Eltern ihre Kinder vor den Bildschirm setzen, sondern vielmehr, wie Alternativen aussehen könnten. Und wieder ist er an dem Punkt der Kitas, die Largo enorm wichtig findet.
Kitas: Mehr als nur Verwahrung
Selbst die beste Mutter, so Largo, kann nicht alles abdecken, was ein Kind braucht. Schon gar nicht den Umgang mit anderen Kindern. Daher plädiert der Kinderarzt dafür, dass Kinder ab dem 2. Lebensjahr eine Kita besuchen. Das Spielen mit anderen Kindern sei zu wichtig, um es zu vernachlässigen. Zudem hat die Kita heute eine andere Funktion als früher. Es geht um weit mehr als nur die Verwahrung von Kindern, weil ihre Eltern arbeiten müssen. Laut Largo findet in Kitas eine wichtige Förderung von Kindern statt, ohne die sich Kinder schlechter entwickeln. Doch für Förderung auf hohem Niveau braucht es ausgebildetes Personal und technisch und pädagogisch gute Ausstattungen. Einerseits ist Largo sicher, dass wir alle das im Grunde wollen. Es geht um unsere Kinder, die das Beste verdienen. Andererseits stellt er die provozierende Frage, was der Politik und der Gesellschaft die Sache wert ist. Im Zweifel, so fürchtet Largo, werden dann doch lieber Kampf-Jets gekauft, als in Kitas zu investieren.
Eltern, Kita, Schule: Ein wichtiger Kreislauf
Das Zusammenspiel zwischen Eltern, der Kita und der Schule empfindet Largo als besonders wichtig. Gerade, wenn Mütter und Väter arbeiten, sei es entscheidend, dass die Beziehung zwischen den Bezugspersonen gut funktioniert. Je besser Kita, Schule und Eltern miteinander interagieren, desto höher ist die allgemeine Betreuungsqualität. Largo führt an, dass im gesellschaftlichen Kontext Arbeit noch immer über die Familie gestellt wird. Wenn dabei nicht gleichermaßen das Betreuungsangebot verbessert wird, kann sich keine positive Gesamtentwicklung einstellen.
Verständnis für die Väter – und für Mütter
Auf die neue Rolle der Väter angesprochen, hat Largo klare Worte parat. Gleichstellung für die Väter, so wie es viele Männer fordern, sieht er durchweg positiv. Die Politik kommt dabei jedoch weniger gut davon. Wenn man bedenkt, dass Väter heutzutage oft nur 20 Minuten pro Tag mit ihren Kindern verbringen, ist das in den Augen Largos eindeutig zu wenig. Doch die Politik ignoriert diese Tatsache weitgehend. Largo führt an, dass ein Großteil der Scheidungen auf fehlende Zeit der Väter innerhalb der Familie zurückzuführen ist. Die Mütter wünschen sich einfach mehr Gemeinsamkeiten. Gleichzeitig sind auch Mütter immer mehr überfordert. Largo argumentiert, dass inzwischen 40 Prozent der Akademikerinnen keine Kinder mehr haben, weil sie den Spagat zwischen Familie und Beruf nicht mehr schaffen. Er plädiert für eine Frauen- oder Familienpartei.
Frommer Wunsch eines Kinderarztes
Remo H. Largo bringt es auf den Punkt, wenn er sagt, dass es zu einer massiven Aufwertung der Familie innerhalb der Gesellschaft kommen muss. Solange Familien im Wesentlichen unter Druck stehen, wenig Hilfe erhalten und gesellschaftlich nicht in dem Maße respektiert werden, wie es wünschenswert wäre, wird, so Largo, die Zahl der geborenen Kinder weiterhin zurück gehen. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Familienbild in Politik und Gesellschaft entwickelt.