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Beschneidung bei Jungen - ein Glaubensfrage oder medizinisch sinnvoll?

Damit hatten die Richter aus Köln wohl nicht unbedingt gerechnet. Nachdem sie die religiös motivierte Beschneidung von Jungen als strafbar eingestuft hatten, begann eine Debatte, die in der ganzen Republik für Aufregung sorgte. Nun wird täglich über die Frage diskutiert, was Vorrang hat - die religiöse Freiheit und ihre lange Tradition oder der Schutz des Kindes. Auch die medizinische Notwendigkeit wird in die Waagschale geworfen.

Die Bundesregierung hängt mitten in einem Dilemma, das kaum lösbar scheint. Sie muss Stellung beziehen zu einem Thema, das zwei unterschiedlichere Standpunkte kaum haben könnte. Und natürlich hat jeder eine Meinung. Wie schwierig sich die Sache gestaltet, zeigt allein ein Blick auf die Thematik Kindesmisshandlung. In jedem anderen Zusammenhang würde allgemeine Einigkeit darüber herrschen, dass der Schutz von Kindern an erster Stelle stehen muss. Geht es jedoch um Religion, spielen andere Faktoren eine Rolle. Kämpfer für die Rechte von Kindern sträuben sich dabei die Nackenhaare. Religiös Überzeugte sehen sich ihrer Tradition beraubt. Ist die Diskussion überhaupt zu einem Ende zu bringen?

 

Worum es geht

Die Beschneidung bei Jungen an sich ist nichts Besonderes. Sie kann medizinisch notwendig sein oder aus hygienischen Gründen angeraten werden. Bei dem Gerichtsurteil jedoch ging es um die religiös motivierte Beschneidung. Und die setzen die Richter einer Körperverletzung gleich, und zwar auch dann, wenn die Eltern den Eingriff ausdrücklich wünschen. Genau genommen ging es bei dem Richterspruch um zwei Freiheiten. Die Freiheit des Kindes bzw. das Recht auf körperliche Unversehrtheit auf der einen Seite. Und die religiöse Freiheit auf der anderen Seite. Letztlich gewann vor Gericht das Recht des Kindes auf Selbstbestimmung gegen die Freiheit religiöser Erziehung. Doch damit begann der Ärger erst.

Tradition versus Menschenrecht?

Kanzlerin Merkel steckt in der Klemme. Sie sagt, sie wolle nicht, dass Deutschland das einzige Land sei, in dem die religiöse Beschneidung verboten sei. Das öffne schließlich darüber hinaus Tür und Tor für Praktiken, die in dunklen Gassen und hinter verschlossenen Türen durchgeführt würden. Damit hat sie viele Fürsprecher, die meinen, wenn die Beschneidung verboten wird, werden andere Mittel und Wege gefunden, um alten Traditionen nachzukommen. Und die sind immerhin über 4.000 Jahre alt, so die Befürworter der Beschneidung. Ein starkes Argument, ohne Zweifel. Aber eines, das beispielsweise Irmingard Schewe-Gerigk, Vorsitzende der Organisation „Terre de Femmes“ nicht durchgehen lässt. Sie sagt, dass weder im Koran noch in der Bibel geschrieben steht, dass die Beschneidung durchgeführt werden müsse. Schewe-Gerigk räumt zwar ein, dass Eingriffe bei Jungen oder Mädchen eine sehr alte Tradition haben. Das hätten aber Witwenverbrennungen oder Steinigung von Ehebrechern auch - und die würden nicht mehr durchgeführt. Schewe-Gerigk sieht das Kindeswohl im Vordergrund und stützt sich auf die UN-Kinderrechtskonvention, nach der alle den Menschen schädlichen Bräuche abzuschaffen sind.

Angstattacken durch Beschneidung

Noch einen Schritt weiter geht der Psychotherapeut Matthias Franz. Für ihn ist die Beschneidung von Jungen etwas, das Traumata und Angstattacken hervorruft. Besonders wenn der Eingriff an Säuglingen oder kleinen Kindern vorgenommen werde, sind die Folgen laut Franz katastrophal. Die politischen Probleme findet er aber dennoch nachvollziehbar. Für Juden und Muslime sei die Beschneidung nun einmal eine tief verwurzelte Überzeugung. Ihnen diese nehmen zu wollen, sei höchst problematisch. Der Psychotherapeut setzt sich für einen Dialog ein und Lösungen wie die spätere Beschneidung. Auch hier sieht Franz zwar Schwierigkeiten, aber nicht so traumatisch wie beim Eingriff an kleinen Jungen.

Keine Hektik, bitte!

Zahlreiche Mediziner, Wissenschaftler und Juristen mahnen zur Vorsicht beim Thema Beschneidung. In einem offenen Brief schreiben sie, dass das Thema zu sensibel „für politische Schnellschüsse“ sei. Vielmehr sei Geduld angeraten. Indirekt Stellung beziehen sie dennoch, denn auch sie stellen das Kindeswohl in den Mittelpunkt. Doch niemand will sich so richtig festlegen. Auch die Experten nicht, die betonen, dass die Anliegen religiöser Gruppen berücksichtigt werden müssten. Nur in einem Punkt waren sich die Unterzeichner des offenen Briefes einig: Es gehe keinesfalls darum, jüdisches Leben in Deutschland unmöglich zu machen. Auch dieser Vorwurf stand in den letzten Wochen im Raum. Vielmehr sei es das Ziel, auch jüdisches und muslimisches Leben durch die deutsche Rechtsordnung zu schützen.

Des Volkes Stimme

Politiker, Pädagogen, Journalisten, Wissenschaftler, Juristen, Psychologen, Juden, Muslime, Menschenrechtsorganisationen – wirklich jeder hat derzeit etwas zu sagen, wenn es um die Beschneidung von Jungen geht. Dass die Meinungen auseinandergehen und politischer Zündstoff bei der Debatte eine entscheidende Rolle spielt, liegt in der Natur der Sache. Fehlt nur noch die Meinung der Bevölkerung, die teilweise staunend verfolgt, was in der Öffentlichkeit diskutiert wird und teilweise kräftig mitmischt. Wie geteilt die Meinungen sind, spürt man hier ebenso wie in allen anderen Diskussionen.

Emnid hat daher eine Umfrage gemacht, um die Meinung der Deutschen zu erkunden. Das Ergebnis ist eindeutig zweideutig. 40 Prozent der Befragten sind dafür, die Beschneidung in der Form, wie sie diskutiert wird, zu legalisieren. Und 48 Prozent sprechen sich klar dagegen aus. Zwischen all diese Stimmen mischen sich zudem noch weitere, die von Ärzten. Die konnten Beschneidungen bisher in einer gesetzlichen Grauzone vornehmen. Das ist allerdings durch das Kölner Urteil nun vorbei. Und so wird sich jeder Arzt zwei-, drei- oder viermal überlegen, ob er bereit ist, den Eingriff vorzunehmen. Das Risiko für Ärzte ist um ein Vielfaches gestiegen. Auch das ist die Konsequenz der Problematik. Säuglinge und Kleinkinder konnten sich jedoch nicht äußern. Also die, um die es letztlich geht.