Kinder und Süßigkeiten – ein ganz spezielles Thema. Von einem Kind Mäßigung zu erwarten, wenn eine Keksdose vor ihm steht, das ist wohl etwas optimistisch, wie ein Vater erfahren muss.
Mein Kind, das Krümelmonster
Es war Winter. Und kalt war's. Dunkel. Ungemütlich. Eben Winter, und zwar in einer Art und Weise, als wollte er mit Nachdruck unterstreichen, wie übellaunig er sein kann. Ich saß mit Andy und Alex im Wohnzimmer. Andy ist mein Sohn, Alex gehört gewissermaßen zur Familie, wir dachten schon einmal daran, ihn zu adoptieren, mieden aber die Diskussion mit seinen Eltern, die unter Umständen nicht einverstanden sein könnten.
Wir saßen also zu dritt im Wohnzimmer, draußen dämmerte es, obwohl die Dunkelheit eigentlich schon den ganzen Tag den Eindruck erweckte, dass es nie wieder richtig hell draußen werden würde. Vor zwei Stunden hatten wir uns eine DVD aus der Videothek geliehen, die wir gleich zusammen anschauen würden. Ich musste nur noch in die Küche, um uns etwas zu kochen. Wir hatten selbstgemachte Hamburger verabredet, alle Zutaten gekauft und nun war ich an der Reihe, die Pfanne zu schwingen. Als ich in die Küche gehen wollte, fragte Andy, ob sie ein paar Kekse essen könnten. Ich war natürlich dagegen, schließlich stand gleich gesunde Nahrung auf dem Programm, also sollten sich die Beiden nicht den Appetit mit Keksen verderben.
„Nein“, sagte ich, „lieber nach dem Essen, als Nachtisch, ok?“
„Och, Papa“, konterte Andy, „nur einen oder zwei, danach haben wir noch genug Hunger.“
Ich ließ mich nicht erweichen, denn Konsequenz ist das Wichtigste im Leben eines Vaters, das wusste ich sehr genau. Exakt 1 Minute und 27 Sekunden später überreichte ich meinem Sohn und meinem Fast-Sohn feierlich eine verschlossene neue Packung Kekse. Ich weiß nicht mehr genau, wie, aber die Jungs hatten mich irgendwie überzeugt, dass zwei Kekse schon nicht so schlimm sein konnten.
Momente später stand ich in der Küche. Noch einen Moment später bemerkte ich, dass ich meinen Kaffee im Wohnzimmer hatte stehen lassen. Ich ging also zurück, um ihn zu holen. Andy und Alex wirkten zufrieden. Sehr zufrieden. Und vor ihnen lag eine Kekspackung auf dem Tisch. Eine leere Kekspackung, wohlgemerkt. Ich konnte es kaum fassen, eben noch war alles akkurat mit Plastik und Papier verpackt. Nun war es … leer. Bis auf den letzten Keks und zwar in Rekordzeit. Meine Lust aufs Kochen reduzierte sich auf ein Minimum (obwohl ich vorher schon keine Lust gehabt hatte). Also setzte ich zur Moralpredigt an.
“Ich glaub es ja nicht““, schnaubte ich. „Ihr habt die komplette Packung weggefuttert und dafür gerade einmal fünf Minuten gebraucht. Fünf Minuten! Ich hatte gesagt, einen oder zwei Kekse könnt Ihr essen, aber doch nicht alle, doch nicht die ganze Packung, Ihr Wahnsinnigen!“
Alex entgegnete nichts, was wohl an seiner ausgesprochen guten Erziehung lag, er hatte den Mund noch voll und kaute genüsslich auf dem letzten Keks herum. Andy dagegen hatte ganz offensichtlich das Bedürfnis, sich zu der Angelegenheit zu äußern. Er sagte: „Papa, das waren höchstens zwei.“
Ich verstummte, dachte kurz über seine Taktik nach und kam zum Schluss, dass sie grauenhaft war. „Andy, ich weiß nicht, was Du vorhast, aber ich hab' Augen im Kopf. Als ich Euch die Packung gegeben habe, war sie voll, sie war original verpackt und verschlossen. Jetzt sehe ich einen leeren Karton auf dem Tisch. Also erzähl mir bitte nicht, ihr hättet höchstens zwei davon in Euch hinein geschaufelt. Wähle eine andere Strategie, mein Sohn.“
Punkt für mich, dachte ich, aber ich hatte Andy unterschätzt. Er war noch nicht fertig gewesen mit seiner Argumentation und schickte nun einen wichtigen Zusatz hinterher. Einen Zusatz, der mich endgültig zum Schweigen bringen sollte.
Er sagte: „Minuten, Papa, ich meinte Minuten.“