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Die Kindertagesstätte - Kinderverwahrung oder Ort sozialen Lernens?

Die einen fordern Kindergartenplätze für alle, und das auch noch möglichst früh. Für die anderen ist der einzig richtige Ort für Kinder das Zuhause. Die Debatte über das Betreuungsgeld macht abermals deutlich, dass sich zwei Fronten um keinen Preis einigen wollen. Genauso konträr wie die Meinung darüber, wo Kinder am besten betreut werden, ist die Frage nach der Rolle der Kindertagesstätte an sich. Vom sozialen Ort des Lernens bis zur Stätte des Schreckens findet sich eine Vielzahl von Meinungen. Ist die Kita nun ein guter Ort oder nicht?

Im Gegensatz zu anderen Institutionen kann sich die Kita nicht gerade auf eine lange und positive Tradition berufen. Allein weil es sie zunächst gar nicht gab. In der Antike wurden Kinder dem Feind schon mal als Pfand überlassen, der christlichen Sicht zufolge waren Kinder lange nur der Beweis der Erbsünde. Bauern fesselten den Nachwuchs gern schon einmal oder gaben ihm zur „Beruhigung“ Schnaps zu trinken – bei der Dosierung übertrieben sie dabei gern hin und wieder. Erst im Jahr 1850 wurden die ersten „Bewahranstalten“ eröffnet. Der Name war Programm und so ging es weniger um Förderung oder Erziehung als vielmehr um das schlichte Aufbewahren von Kindern. So etwas wie einen Erziehungsauftrag brachte erst die Weimarer Republik hervor. Die späteren Krippen während der Nazi-Zeit waren für die Machthaber dagegen ein „kriegswirtschaftliches Erfordernis“. Bis vor 20 Jahren war eine Betreuung der unter 3-Jährigen außerhalb der Familie auch in der modernen Zeit nicht vorgesehen. All das hat sich verändert. Doch ist es auch besser geworden? Nach wie vor spalten sich die Lager. 

 

 

Krippenkinder unter 3 Jahren: Das gestörte Kind

Der Bielefelder Kinderarzt Rainer Böhm hat eine sehr deutliche Meinung zum Aufenthalt von kleinen Kindern in Kindertagesstätten. Öffentlich, unter anderem in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, propagiert Böhm, dass es für die seelische Entwicklung von Kindern schädlich sei, wenn sie zu früh in die Krippe oder den Kindergarten kämen. Er beruft sich auf eine US-amerikanische Studie aus den 90er Jahren, die zum Ergebnis kommt, dass Kleinkinder, die eine Kita besucht haben, später unter sozioemotionalen Störungen leiden würden. Das klingt wie Werbung für das Betreuungsgeld, ist jedoch umstritten. Andere Experten kommen zu gänzlich anderen Erkenntnissen. 

 

Nicht haltbar wegen geringer Fallzahlen

Hans-Michael Straßburg vom Universitätsklinikum in Würzburg hält gar nichts von Böhms Folgerungen. Er hält die Fallzahlen für viel zu gering. In den 90er Jahren wurden gerade einmal 1.300 Kinder über einen Zeitraum von 15 Jahren beobachtet. Laut Straßburg deutlich zu wenig für eine wirklich aussagekräftige Aussage. Zudem gibt es eine Reihe anderer Faktoren, die sich auf die Entwicklung von Kleinkindern auswirken. Straßburg geht sogar einen Schritt weiter und behauptet, dass oftmals der Krippenaufenthalt für Kinder unter 3 Jahren nicht nur unproblematisch, sondern gar wünschenswert wäre. Der Grund: oft lägen die Ursachen für seelische Störungen nicht bei Kitas oder Krippen, sondern im Elternhaus und den schwierigen Bedingungen dort. 

 

Unvereinbare Extreme und die Frage nach der perfekten Betreuung

Die beiden geschilderten konträren Meinungen stellen Extreme dar, die unvereinbar erscheinen. Helfen können sie kaum, denn für beide lassen sich Beispiele finden, die als Belege dienen können und solche, die sie aushebeln. Für Eltern ist die individuelle Situation wichtig und daraus folgernd die Frage, wie es grundsätzlich um die außer-häusliche Kindererziehung bestellt ist. Ein Blick auf andere Länder macht deutlich, dass es die perfekte Betreuung auch anderswo nicht gibt. In den USA oder Israel beispielsweise ist das Ganze eine Frage der Kosten. Die Franzosen sind sicherlich weiter als andere Länder, zeigen im Detail aber auch Schwächen. Und die Italiener haben eine Betreuungsform entdeckt, die kostengünstig und äußerst effektiv ist: Dort spielt die Großmutter eine tragende Rolle. 

 

Angebot und Erwartungshaltung

Die deutsche Politik arbeitet ständig daran, die Kinderbetreuung zu verbessern. Das gelingt mal besser und mal weniger gut. Je nachdem, wer gerade an der Regierungsspitze sitzt, werden Eltern, die berufstätig sind, stärker oder weniger stark unterstützt. Das Betreuungsgeld ist das jüngste Beispiel dafür, dass längst keine Einigkeit darüber besteht, welche Angebote am besten sind. Faktisch hat sich seit Inkrafttreten der UN-Kinderrechtskonvention aus dem Jahr 1989 eine Menge getan. Kinder werden nicht verwahrt, sondern möglichst erzogen und gefördert. Doch für Eltern bringen die gesellschaftlichen Wandlungen insgesamt auch große Herausforderungen mit sich, oft steht die Frage gar nicht im Raum, ob das Kind in der Kita betreut werden soll oder nicht. Die staatlichen Betreuungsstrukturen und die erhöhten Bildungsanforderungen an Familien mit Kindern setzen die Eltern häufig unter Druck. Selbst von Vier- und Fünfjährigen werden zwischen den Zeilen hohe Bildungsanforderungen gestellt, die dazu führen, dass viele Eltern sich überfordert fühlen und schon deswegen die Kinder in die Kita schicken. Schließlich arbeiten dort Profis, die sich hauptberuflich mit der Entwicklung von Kindern beschäftigen. 

 

Der betreute Vater

Die angesprochene amerikanische Studie aus den 90er Jahren kam zum Ergebnis, dass Kita-Kinder stärker unter Stress leiden. Das Beispiel eines Vaters, der seinen Nachwuchs zuhause betreut und vom heimischen Arbeitsplatz seinen Job erledigt, zeigt jedoch, dass auch diese Konstellation Nachteile haben kann. Während der Nachwuchs völlig entspannt durch die Wohnung tanzt, spürt der Vater Stress und Überforderung. Zudem ist das Spielen mit anderen Gleichaltrigen, das gemeinsame Lernen, Essen und Basteln für Kinder wichtig, um Sozialverhalten zu erlernen. Aber auch Kinder, die zuhause bleiben, gehen oft in Krabbel- oder Spielgruppen, sodass sie nicht isoliert sind von anderen Kindern. Am besten funktioniert es sicherlich, wenn sich alle in der Familie gut aufgehoben und „betreut“ fühlen und genügend Zeit füreinander bleibt. Die Kita ist dabei weder ein Störfaktor noch unverzichtbar. Sie ist im besten Fall ein konstruktives und hilfreiches Zusatzangebot für den Alltag, das Eltern ein Berufsleben ermöglichen kann und Kindern soziale Kontakte zu Gleichaltrigen in einem guten Umfeld bietet.