Er war sehr tolerant – Alfred Biolek im Gespräch über seinen Vater

Tief hängen die grauen Regenwolken über der Stadt, als er mir im Kölner Stadtgarten entgegenkommt. Den Kragen des Kamelhaarmantels hochgeschlagen, die Schiebermütze tief in die Stirn gezogen, funkeln die Augen hinter den runden Brillengläsern so schelmisch und lebendig, wie Millionen Fernsehzuschauer sie seit den Anfangstagen von „Bio's Bahnhof“ kennen.

Alfred Biolek enttäuscht sein Gegenüber nicht. Er ist so, wie man sich den Showmaster, Talkshow-Moderator und Fernsehkoch vorstellt: Freundlich, bescheiden, zuvorkommend. Ein Gentleman alter Schule. Das Café seiner Wahl ist recht voll und man bietet uns kurzerhand den Nebenraum an. Biolek bestellt Tee aus frischer Pfefferminze, leert das Zuckertütchen und isst den beigelegten Keks. Bevor wir das Gespräch beginnen erörtert er mit seiner Managerin die Frage, wo man in Köln reife Avocados bekommt. Er hat für den Abend Freunde eingeladen und die Vorspeise droht an unreifen Avocados zu scheitern, obwohl er, der seit drei Jahrzehnten mit der Stadt am Rhein eng verbunden ist, weiß, wo Feinschmecker hier ihre Quellen haben. Köln ist für Alfred Biolek so etwas wie Heimat geworden. Eine adoptierte, eine Wahlheimat. Ich frage ihn, wie er als Kind seine Flucht aus dem tschechischen Ort Karviná, dem damaligen Freistadt, erlebt hat. „Vertreibung“, korrigiert er und ergänzt. „Wir sind vertrieben worden. Flucht und Vertreibung sind zwei sehr unterschiedliche Dinge.“

 

Vertreibung aus der Heimat

Er war gerade elf, als tschechische Kräfte ihn, seinen Bruder und seine Mutter ins Lager sperrten. Acht Monate verbrachten sie dort, ohne Nachrichten vom älteren Bruder oder dem Vater. „Dann brachten sie uns zum Bahnhof und verluden uns in Viehwaggons.“ Biolek sagt das ohne Vorwurf, ohne Verbitterung. Aber man spürt fast siebzig Jahre später noch die Verletzungen, die diese Erlebnisse hinterlassen haben. Niemand sagte ihnen, wo es hingehen würde. Irgendwann hielt der Zug, die Türen wurden geöffnet und man forderte sie auf auszusteigen. Althegnenberg stand auf dem Schild am Bahnhof, ein Ort irgendwo im Niemandsland zwischen Augsburg und München. Sie kamen bei Bauern unter und hofften auf ein Lebenszeichen von Bruder Herbert und dem Vater.

 

Neuanfang im Schwabenland

Der Vater wurde tatsächlich bald aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und fuhr nach Wien. Dort hatte er studiert und verfügte über Kontakte. Doch niemand hatte ihm gesagt, wie es um die Stadt unter Besetzung der Roten Armee stand. Hunger und Krankheiten grassierten, schlimmer als in Berlin. So meldete sich Joseph Biolek freiwillig zur Deportation nach Deutschland. Wie wenige Wochen zuvor seine Frau mit den beiden jüngeren Söhnen bestieg er einen Zug. Doch sein Zug fuhr weiter und kam östlich von Stuttgart in Waiblingen zum Halt. Der malerische Ort im Remstal bot dem Juristen mehr Möglichkeiten als das provinzielle Althegnenberg und so war schnell klar, dass Hedwig Biolek mit den beiden Söhnen nachkommen würde. Wenig später verstarb Alfred Bioleks älterer Bruder Herbert in München, kurz nachdem auch er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wurde. Ein Schock für die Familie. 

Alfred Bioleks Vater fand schnell Arbeit als Jurist und so kam die Familie in der neuen Heimat bald wieder auf die Beine. 

 

Das Verhältnis zum Vater

Bioleks Eltern fanden Anschluss an die alteingesessene Bevölkerung in Waiblingen und Bioleks Vater begeisterte sich für den Wein und die Kultur der Region. „Wir wanderten oft durch die Weinberge“, erinnert sich Alfred Biolek. „Von Waiblingen bis Korb oder auch nach Stetten oder Grunbach“, sagt Biolek. Dabei kehrte sein Vater gerne in eine der zahlreichen Besenwirtschaften ein und genoss dort Schupfnudeln mit Kraut oder Spätzle mit Saiten. Auch der eigene Weinkeller füllte sich mit den Erzeugnissen der umliegenden Weinberge. Alfred Biolek hat angenehme Erinnerungen an diese Zeit und an seinen Vater. „Er war sehr tolerant“, sagt Alfred Biolek über ihn. Obwohl Mitglied der CDU und ehemaliger Burschenschafter, war sein Vater kein autoritärer Patriarch, erinnert sich Biolek. „Sicherlich hat er sich gewünscht, dass einer seiner Söhne seine Kanzlei einmal übernehmen würde, aber Druck ausgeübt hat er keinen.“ Als Bruder Joseph sich für das Studium der Theologie entschied, war für Alfred Biolek klar, dass er Jura studieren würde. „Ich fühlte mich verpflichtet“, sagt Biolek. „Schließlich war ich der letzte Sohn, der nun noch als Nachfolger meines Vaters in Frage kam und ich hatte ohnehin keine anderen Interessen.“ So studierte Alfred Biolek nach dem Abitur Jura in Freiburg , München und Wien. Tübingen kam nicht in Frage. „Da wäre ich dann jedes Wochenende nach Hause gekommen“, sagt er. So viel Abnabelung von der Familie musste sein. Seine Kommilitonen, die ihn gelegentlich zu Hause besuchten, waren erstaunt ob der Atmosphäre im Hause Biolek. „Die fanden meinen Vater alle sehr liberal“, erinnert Alfred Biolek sich. Als er dann tatsächlich in die Fußstapfen seines Vaters trat, habe dieser sich gefreut, sagt Biolek, aber auch als er sich schließlich gegen die Übernahme der väterlichen Kanzlei und für den Gang zum ZDF in deren Rechtsabteilung entschieden habe, hätte der Vater dies mit Wohlwollen begleitet.

In der Rechtsabteilung hielt es den Juristen, der schon während seines Studiums mit Studentenkabarett und seiner Show Bühne aufgetreten war, nur wenige Monate. Dann folgte der Wechsel in die Redaktion. Der Rest ist Geschichte. Den eigenen Sohn vor der Kamera hat Joseph Biolek leider nicht mehr erlebt, aber Alfred Biolek ist sich sicher, dass es seinem Vater gefallen hätte.

Dann ist unser Gespräch auch schon vorbei und wir verabschieden uns unter dem immer noch grauen Kölner Himmel. Den Mantelkragen hochgeschlagen, die Hände in die Taschen vergraben überquert der Mann, den Millionen als „Bio“ kennen, die Straße und betritt den dortigen Bio-Laden auf der Suche nach reifen Avocados.      

    
 Das Interview führte Christian Mörken.