Circa 2,5 Millionen Deutsche leben mit einer Tic-Störung, darunter bis zu zwölf Prozent der Kinder im Grundschulalter. Wie Eltern erkennen können, ob ihr Kind von einem Tic betroffen ist und viele weitere Fragen zu diesem Thema beantworten wir Ihnen hier.
Mein Kind tic(k)t nicht richtig – Tic-Störungen bei Kindern
Tics (französisch tic „(nervöses) Zucken“) sind kurze Muskelzuckungen, die sich unrhythmisch wiederholen und von den Betroffenen nicht oder kaum gesteuert werden können. Sie treten mit großer Häufigkeit (etwa mehrmals in der Minute) oder auch nur wenige Male am Tag auf.
Dabei können die unterschiedlichsten Muskelgruppen betroffen sein. Sehr oft ist der Gesichts- und Kopfbereich daran beteiligt. Das Augenblinzeln oder ein rasches Zusammenkneifen der Augen gehören ebenso dazu wie zum Beispiel das Verziehen der Mundwinkel oder das plötzliche Öffnen des Mundes. Auch oftmaliges Schulterzucken, das wiederholte Nicken mit dem Kopf oder ein ständiges Rümpfen der Nase sind erste Anzeichen einer Krankheit. Diese Symptome werden den motorischen Tics zugerechnet.
Weitverbreitet sind auch die vokalen Tics, wie etwa das Räuspern, Husten, Grunzen oder Bellen. Auch das Ausstoßen von obszönen Wörtern oder ganz allgemeine Wortwiederholungen gehören dieser Gruppe an.
Die häufigste Tic-Störung ist die "vorübergehende Tic-Störung", die bis zu 10 Prozent der Kinder in den ersten Schuljahren betrifft. Dauern sie länger als ein Jahr, spricht man von "chronischen Tics", die weniger als ein Prozent der Kinder betreffen.
Eine seltene Sonderform ist das so genannte „Tourettesyndrom“, bei dem die Betroffenen gleichzeitig mindestens zwei motorische und einen vokalen Tic miteinander kombinieren.
Wie kann ich mir den Ablauf eines Tics vorstellen?
Wohl am ehesten kann man das Reaktionsmuster eines Tics mit einem Schluckauf vergleichen. Uns ist es zwar meist möglich, den Schluckauf für eine kurze Zeit zu unterdrücken, aber wir spüren auch, dass der Druck im Zwerchfell immer stärker wird, bis wir ihm schließlich doch nachgeben müssen. Ein Zucken geht durch unseren Körper, welches mit den Tics vergleichbar ist.
Möglicherweise haben Sie es ja auch schon einmal erlebt, dass, wenn Sie im Bett liegen und schlafen wollen, ein Zucken durch den ganzen Körper wandert. Danach sind Sie entspannt und können einschlafen. Auch eine derartige Zuckung zu verspüren ist dem Erleben eines Tics sehr ähnlich.
Warum hat mein Kind einen Tic?
Eine gute Frage, auf die die Wissenschaft noch keine Antwort weiß.
Tics entstehen meist im Kindesalter und derzeit wird davon ausgegangen, dass es sich vermutlich um Stoffwechselstörungen im Gehirn handelt. Sicher ist, dass es familiäre Häufungen gibt, was wiederum auf eine genetisch bedingte Störung hinweist. Allerdings ist die Forschung derzeit noch nicht in der Lage, diese Vorbelastung durch Gentests herauszufiltern.
Gibt es Behandlungsmöglichkeiten?
Die gibt es - allerdings nur, um die Symptome abzuschwächen. Nach dem derzeitigen Stand der Forschung kann man den Tics weder vorbeugen noch sie vollständig heilen.
Wenn Sie also Tics an Ihrem Kind bemerken, sollten Sie zunächst mit Ihrem Kinderarzt darüber sprechen. Er prüft, ob es sich tatsächlich um das Tic-Syndrom handelt oder ob vielleicht eine andere Bewegungsstörung vorliegt.
Meist verschwinden die vorübergehenden Tic-Störungen ganz von selbst, so dass eine Behandlung oft gar nicht notwendig ist. Und nach der Pubertät verschwinden auch chronische Tics oft ganz von selbst. „Abwarten und Tee trinken“ ist in den meisten Fällen also die wirkungsvollste Therapie.
Von Kindern selbst werden die Tics häufig gar nicht als auffällig wahrgenommen. Sollte Ihr Kind aber sehr unter dieser Störung leiden, stehen verschiedene Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, die auch miteinander kombiniert werden können.
Eine Möglichkeit ist das Erlernen von Entspannungstechniken unter therapeutischer Anleitung. Auch in komplexeren Verhaltenstherapien können die Kinder trainieren, ihren unwillkürlichen Handlungen entgegenzuwirken.
Sollte dies nicht den gewünschten Erfolg erzielen, gibt es auch noch die medikamentöse Behandlung, die zu einer deutlichen Minderung der Tic-Symptome führen kann.
Sind Kinder mit Tics etwa weniger intelligent?
Nein, das sind sie nicht. Menschen mit Tic-Störung sind ebenso intelligent und leistungsfähig wie Menschen ohne Tics. Vielfach haben sie sogar eine schnellere Auffassungsgabe, eine bessere Reaktionsfähigkeit und ein sehr gutes Langzeitgedächtnis. Auch verbale Schlagfertigkeit sowie ein besonderes mathematisches Verständnis konnte bei vielen Kindern mit dem Tic-Syndrom beobachtet werden.
Und wie kann ich meinem Kind sonst helfen?
Wichtig ist, zu verstehen, dass Ihr Kind kaum eine Kontrollmöglichkeit über seine Tics hat.
Es hilft also überhaupt nichts, wenn Sie es ständig ermahnen oder gar auffordern, seine Eigenarten zu unterlassen. Es bewirkt allenfalls, dass Ihr Kind sich eventuell noch unbehaglicher fühlt. Und auch das Lob für die „tic-freien Zeiten“ kann Tics genauso provozieren wie das Verbot. Vermeiden Sie unbedingt diese Stresssituationen, denn sowohl durch Ärger als auch durch Freude können die Symptome des Tics verstärkt werden.
Was Ihr Kind am dringendsten von Ihnen braucht, ist das Gefühl, auch mit seinen Tics geliebt und voll akzeptiert zu werden. Schenken Sie deshalb den Tics Ihres Kindes so wenig Beachtung wie nur möglich.
Kinder mit stark ausgeprägten Tics müssen unter Umständen im Laufe eines Tages viele leidvolle Erfahrungen machen. Nicht nur von anderen Kindern, sondern auch von Erwachsenen werden sie auf ihr Syndrom angesprochen und schlimmstenfalls sogar verspottet oder auch beschimpft.
Wenn dies der Fall ist, braucht Ihr Kind um so dringender Ihre Unterstützung. Sprechen Sie in aller Ruhe mit Ihrem Schützling über seine Erlebnisse und vor allem auch darüber, wie man am besten auf ein solches Verhalten reagieren kann. Auch ein Gespräch mit dem Klassenlehrer oder anderen Erwachsenen, mit denen Ihr Kind Umgang hat, sollte zu mehr Toleranz gegenüber Ihrem Nachwuchs führen.
Eines noch:
Weder Sie als Eltern noch Ihr Kind haben einen Grund, sich für diese Tics in irgendeiner Form zu schämen. Wie schon erwähnt, Sie sind mit diesem Problem nicht allein.
Und kleine Macken haben wir doch sowieso alle. Oder?
Zum Weiterlesen:
http://www.dr-mueck.de/Wissenschaftsinfos/Kinder-Jugendpsychiatrie/HM_Kinder_Ticstoerungen.htm