© Kaarsten - Fotolia.com

Die Kita - Ausbildungslager für Windelterroristen.

Regelmässig sehen wir in den Medien Bilder von prügelnden Jugendlichen, U-Bahn Schlägern, hören vom „Komasaufen“ auf „Flatrate-Parties“ oder beklagen uns, welche Inhalte sich Teenager über das Netz ansehen. Immer werden dann Psychologen und Pädagogen gefragt: „Was ist da schief gelaufen.“ Und genauso regelmäßig lautet die Antwort: „Das elterliche Umfeld hat versagt.“ „Ha!“, möchte ich all jenen entgegenrufen, die Ausbildung zum gewaltbereiten, skrupellosen Wesen findet an einem Ort statt, an dem es keiner vermutet: der KiTa. Ein Erlebnisbericht.

Quietschend hält mein Rad wenige Zentimeter vor dem Fahrradständer. Im Fahrradsitz sitz mein Sohn Noah und döst vor sich hin. Ich greife die Tasche aus dem Korb, schließe das Rad an und mache mich daran meinen Sohn aus dem Wirrwarr an Anschnallgurten zu befreien, die ein Herausfallen aus diesem TÜV-geprüften und von Stiftung Warentest mit 1,8 für gut befundenen Fahrradsitz unmöglich machen sollen. Leider machen sie auch das gewollte Herausnehmen des Kindes unmöglich. Eine gefühlte halbe Stunde und zahllose Flüche später halte ich meinen Sohn endlich im Arm. Er weiß noch nicht was ihn gleich erwartet - und ich auch nicht, sonst hätte ich die etlichen Sicherheitsgurte gleich wieder festgeschnallt. Es ist Noahs erster Tag in der Kita.

 

Das harmlose Reh an der Tür

 

Ich drücke den Summer der Tür und wenige Sekunden später stehen wir im Eingangsbereich. Der Geruch von Linoleum, alten Socken mischt sich hier geradezu kongenial mit dem von Kindertoiletten. Aus diversen Räumen hören wir Kindergeschrei - oder nein, ist das vielleicht das Schreien von Erzieherinnen, die an Kinderstühle gefesselt um Hilfe rufen? Ich beschließe diesen Gedanken kurz zur Seite zu schieben und mache mich daran Noah auszuziehen. Wenige Minuten später ist Noah aus seiner Jacke, seiner Matschhose, seinen Handschuhen, seinen Gummistiefeln und seiner Mütze geschält und steht erwartungsfroh vor der Tür zu seiner Gruppe, auf der ein großes Bambi prangt. Die großen braunen Augen, der niedliche Blick - sie alle sollen verschleiern, was sich wirklich hinter dieser Tür abspielt. Doch jetzt ist es zu spät. 

 

Im Reich des Grauens

 

Als die Tür sich öffnet, erwartet uns eine Szenerie, die lieblicher nicht sein könnte: Kinder sitzen friedlich am Boden, sind versunken in Bilderbücher, spielen mit Duplo oder Autos, lassen Murmeln die Murmelbahn herunterrollen oder laufen mit Puppen im Arm umher. Die Erzieherin begrüß uns freundlich und stellt die anderen Kinder vor. Eine Reihe von Jonas, Pauls, Finns Leons, Lucas, Hannahs, Amelies und Mias später setzen wir uns auch zum Spielen hin.  Kaum aber greift Noah sich den ersten Bagger, ist es als wären die kleinen Zombies zum Leben erwacht. Verstohlen werfen sie uns erst Blicke und dann Bauklötze zu. Halte ich dies zunächst für einen kleinkindlichen Willkommensgruß, so macht mir spätestens der dritte Bauklotz am Kopf klar - es herrscht Krieg!  Kinder gegen Erwachsene - und wenn diese nicht zugegen sind, dann Kinder gegeneinander.

 

Die erste Schlacht

 

Kaum wendet sich die Erzieherin für einen Moment ab, zieht Luca Lena an den Haaren, Hannah steht ihr bei in dem Sie Luca mit der Murmelbahn auf den Kopf schlägt. Das wiederum ruft Leon auf den Plan, der nun wiederum Hannah mit Plastikbällen bewirft, bis Anna mit dem Bobby-Car in Leons Beine fährt, was diesen dazu bringt, der Länge nach auf den am Boden spielenden Max zu stürzen. Dieser schreit auf, greift den Holzschraubenzieher und zieht ihn Finn über den Kopf, der gerade aus der Krabbelecke geschlichen kam. Finn schreit auf und wirft nach Spielhandy auf Amelie, trifft aber Mia, die weinend zu Boden geht. Die erste Runde geht klar an die Jungs. 

 

Das Mädchen-Imperium schlägt zurück

 

Doch die Mädchen geben nicht auf. Nutzen Männer eher brutale Waffen, neigt das schwache Geschlecht zu subtileren Mitteln, und diese entfalten beim Mittagessen ihre ganze Wirkung. Gerade hat Leon seine Brotdose aufgemacht, da hebt Mia ihre Schnabeltasse genüsslich über seinen Kopf und lässt den Hagebuttentee über ihn laufen. Noch während Leon sich das Nass aus den Augen reibt, hat Anna schon seinen Apfel gegessen. Max will ihm helfen, rutscht aber auf der Bananenschale aus, die Hannah scheinbar beiläufig einfach fallen gelassen hat. Rückwärts fällt er in die Nudelreste, die Amelie zufällig genau dort platzierte. Luca, der helfen will, greift mit dem Arm zu Annas Teller, schmeißt dabei aber Leons Becher um, der aufschreit, als ihm der warme Tee über die Hose läuft. Finn will sich dafür an Anna rächen, die ihm aber zuvorkommt, indem sie ihm eine Portion matschige Brotreste ins Gesicht niest. Klarer Sieg für die Mädchen. 

 

Mit Rüstung in den Kindergarten? 

 

Zwei Stunden später und eine Schlacht später, bei der Anna Leon gebissen und dieser Mia ins Auge gepiekst hat, ist der Tag für uns vorbei. Noah ist heute noch einmal davongekommen, doch beim Gehen werfen Leon, Luca, Anna und Mia ihm vielsagende Blicke zu. Morgen ist er dran, da schützt ihn auch sein windelgepolsterter Hintern nicht. Als wir auf dem Nachhauseweg an einem Speilzeugladen vorbeifahren, fällt mir die Ritterrüstung für Kinder auf, die man hier kaufen kann. Helm mit Visier, Brutschutz und Schwert - für einen Moment überlege ich, ob ich sie Noah kaufen soll.  Aber dann denke ich, eines Tages muss er auf die Härten des Lebens vorbereitet werden, warum nicht in der Kita?