„Mensch, Markus, jetzt sag’ du doch auch mal was!“ Das ist so typisch für Claudia. Immer wenn’s unangenehm mit unserem 7-jährigen Sohn wird, zieht sie an meinem Hemdsärmel und erbittet flehentlich rhetorische Unterstützung. Meistens springe ich dann auch recht eloquent ein. Aber dieser Fall war anders. Dieses Mal ging es nicht um verschüttete Milch oder angekritzelte Wohnzimmerwände. Es ging darum, Linus zu erklären, dass er bald ein Geschwisterchen bekommen würde.
„Die Mama kriegt ein Baby“ – wie sag ichs meinem Erstgeborenen?
Bald zu viert
Als Claudia und ich uns dazu entschlossen, noch ein Kind zu bekommen, war das keine pragmatische Entscheidung, sondern ein Herzenswunsch. Der Schwangerschaftstest, der Besuch beim Frauenarzt, Gespräche am Abend – wir fühlten uns verbündet wie lange nicht mehr. Aber wir mussten es ja noch Linus sagen. Sobald wie möglich. Nur wie? Was, wenn er komische Fragen stellt? Man kann ihn mit sieben ja noch nicht aufklären. Was ist, wenn er gar nicht so „amused“ reagieren wird? Man hört ja so viel von Eifersüchteleien auf den Babybauch.
„Pfoooohhhl!“
Uns schwirrte der Kopf als wir uns an einem sonnigen Samstagnachmittag auf den Weg in den Park machten, um Linus bei einem Picknick von der Neuigkeit zu berichten. Wir hatten es uns furchtbar romantisch vorgestellt. Zwischen Himbeersaft und Heidelbeermuffins sollte er uns dann überglücklich um den Hals fallen und wir würden gemeinsam der Geburt freudig entgegenfiebern. So der Plan.
„Also,“ fing ich an und Linus stopfte sich gerade den zweiten Muffin in den Mund. „Linus, die Mama und der Papa, die müssen dir was sagen. Es ist so. Also. Der Papa, also, die Mama, nein ... Du bekommst ein Geschwisterchen.“ Für einen kurzen Moment hörte die Kaubewegung auf. „Pfoooohhhl!“ – „Wie bitte?“ – „Cool hab ich gesagt. Und wann?“ – „Na, das dauert noch ein bisschen. Im nächsten Frühjahr erst.“ – „Ok. Super. Mit meinen Playmobilsachen darf es aber nicht spielen.“ Und damit war das Thema für ihn erstmal erledigt.
Verständnis und Zeit
Und dabei hieß es doch, die Ankunft eines neuen Babys sei ein ziemlich großer Einschnitt in das Leben des bisherigen Einzelkindes. Aber eben nicht, solange es noch nicht unmittelbar davon betroffen ist. Im ersten Moment überwiegt meist ein Gefühl zwischen Vorfreude und Desinteresse, da Kinder diese kommenden Veränderungen schlecht einschätzen können. Doch spätestens wenn der Bauch wächst und die körperliche Belastbarkeit der Mutter sinkt, merken die Erstgeborenen: Da stimmt was nicht. Warum kann mich Mama nicht mehr die Treppen hoch tragen? Und wieso klettert sie nicht mehr mit mir die Bäume hoch? Diese Irritationen, die sich mitunter in größtmöglicher Anhänglichkeit oder dickköpfiger Bockigkeit äußern, können durch verständnisvolle Gespräche aufgefangen werden. Und grade die Väter haben in dieser Zeit die Chance, dem oder der Großen die Aufmerksamkeit zu schenken, die Mutti vielleicht gerade nicht so uneingeschränkt geben kann.
Veränderter Alltag
Sind die Kinder größer, können die Reaktionen anders ausfallen. Gerade bei Mädchen löst diese Nachricht eine Welle der Euphorie aus – die Eltern können sich vor Fragen und versprochenen Hilfestellungen nicht retten („Kann ich das Baby dann wickeln?“, „Ich darf es immer füttern, ja?“). Je größer die Kinder sind, um so mehr kann man mit ihnen auch über den bald veränderten Alltag sprechen. Dass ein Baby auch mal in der Nacht schreit und dass Mama anfangs viel Zeit für das Baby braucht. Aber auch, dass sie irgendwann mal mit dem Baby spielen können.
Tipp an die Papas: Nicht die eigene Freude auf das Kind projezieren. Sprich: Erwarten Sie nicht von Ihrem Kind die gleichen Luftsprünge, die Sie selbst vollbringen könnten. Das ist meist kontraproduktiv, da es die Gefühle des Kindes in eine Richtung lenkt und es einfach nur verwirrt. Darum ist ein ehrliches „Pfoooohhhl!“ von Linus eine vollkommen legitime Reaktion.
Kurz vor der Geburt
Umso wichtiger ist es im Laufe der Schwangerschaft für alle Fragen der Neu-Geschwister aufgeschlossen zu sein und ehrlich zu beantworten. Geben Sie Ihrem Kind die Zeit und die Möglichkeit einen Raum in seinem Mikrokosmos für den neuen Zuwachs zu schaffen. Dabei kann gerade Papa helfen, indem er das Kind in Entscheidungen mit einbezieht oder zum Beispiel mit ihm etwas Neues für das Baby bastelt.
Für die Geburt sollten sich die Eltern früh genug einen Plan zu recht legen. Dass Kinder bei der Geburt dabei sind, wird in vielen Kranken- oder Geburtshäusern nicht gern gesehen. Zu traumatisierend kann diese Erfahrung für ein Kind sein. Also am besten Verwandte oder liebe Freunde aktivieren, die in der kritischen Phase auf das Erstkind aufpassen.
Im Falle von Linus hielt sich das Interesse für das neue Geschwisterchen fast die gesamte Schwangerschaft in Grenzen. Bis auf ein „Boah Mama, bist du dick!“ oder ein gelegentliches „Fährt das Geschwisterchen dann auch mit uns in den Urlaub?“ war nicht viel zu hören. Als aber im Mai unser Jonas zur Welt kam, hat er sich dann doch gefreut wie ein Schneekönig. „Cool, Papa, vielleicht kriegen wir ja noch eine ganze Fußballmannschaft zusammen!“