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1,2 oder 3 – Geschwister sind nicht Einerlei! - Erstgeborenes, Sandwich-Kind und Nesthäkchen

Nicht wenige Eltern sind nach der Geburt ihres zweiten Kindes überrascht, wie stark sich die Charaktereigenschaften der Geschwister voneinander unterscheiden. Ruhig und gelassen das eine Kind – wild und aufbrausend der andere Sprössling. Wie kann das sein?

Die Wissenschaft ist sich heute weitestgehend darüber einig, dass sowohl das Erbgut als auch die Umwelt, speziell die Geschwisterrangfolge, die Kinder von Geburt an prägen und entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der jeweiligen Charaktereigenschaften nehmen. Das Zusammenspiel dieser beiden Faktoren ist dabei höchst unterschiedlich.

 

 

Die Gene

Alle Kinder erhalten vom Vater und der Mutter jeweils die Hälfte ihres Erbgutes. Allerdings ist der weitergegebene Teil bei jedem Kind anders und erklärt so schon zum Teil die Unterschiede bei Geschwistern. Theoretisch ist es sogar möglich, dass sich Geschwister in allen wesentlichen Erbanlagen unterscheiden. Dies kommt allerdings höchst selten vor. Der Mittelwert der genetischen Ähnlichkeit liegt in etwa bei 50 Prozent.

 

Die Geschwisterrangfolge

In verschiedenen Studien wurde untersucht, ob die Stellung in der Geschwisterreihe die persönliche Entwicklung der Kinder beeinflusst. Und es ist tatsächlich so:
Es spielt eine wesentliche Rolle, ob ein Kind als erstes, zweites oder drittes Kind einer Familie das Licht der Welt erblickt.
Natürlich ist das Familienleben nicht mehr dasselbe, wenn zu einem Einzelkind weitere Geschwister hinzukommen.
Dazu kommt aber noch, dass die Rangfolge der Geschwister, ebenso wie der jeweilige Entwicklungsstand,  ihre Handlungen bestimmt und so unterschiedliche Reaktionen der Eltern hervorruft.
Dadurch entwickelt jedes Kind andere Strategien, um sich durchzusetzen und eine eigene Identität aufzubauen.

 

Die Pole-Position

Das erstgeborene Kind befindet sich zunächst nicht nur wegen seiner Stellung in der Geschwisterrangfolge in der „Pole-Position“. Speziell am Anfang seines Lebens erhält es sehr viel Liebe und Zuwendung und wächst als Mittelpunkt der Familienaktivitäten heran. Oft bekommen Erstgeborene mehr Anleitung und Unterstützung durch die Eltern  und werden von Erwachsenen auch meist besser akzeptiert, da sie den sozialen Erwartungen stärker entsprechen als ihre (folgenden) Geschwister.
Laut einer norwegische Bildungsstudie sind erstgeborene Kinder später allgemein erfolgreicher als ihre jüngeren Geschwister. Das mag daran liegen, das das älteste Kind oft auch als „Lehrer“ für die jüngeren Geschwister auftritt und so (spielerisch) lernt, wie man Informationen an andere weitergibt  bzw. diese organisiert. Diese Begabung kann den Ältesten in der Schule und später auf dem Arbeitsmarkt zu einem Vorsprung verhelfen.
Auch die finanziellen Mittel spielen in diesem Zusammenhang eine gewichtige Rolle. Wenn die Eltern nur wenig Geld zur Verfügung haben, sind sie noch am ehesten bereit, dieses in das älteste Kind zu investieren.

Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Das trifft insbesondere dann zu, wenn die frischgebackenen Eltern noch zu unerfahren im Umgang mit einem Kind sind.
Übergroße Zuneigung, verbunden mit Ängsten und zu hohen Erwartungen können ein Kind bereits in jungen Jahren sehr belasten. Gerade durch ihre Unerfahrenheit neigen viele Eltern dazu, mehr in die Entwicklung ihres Stammhalters einzugreifen, als bei ihren später geborenen Kindern.
Viele der erstgeborenen Kinder reagieren auch verstört auf den weiteren Nachwuchs der Eltern. In diesem Zusammenhang wird auch oft von „Entthronung“ gesprochen.
Günstig ist es, wenn ein Kind zunächst 2-3 Jahre allein mit den Eltern hat, bevor ein neues Geschwisterchen den Familienalltag bereichert.

Was ist nun im Umgang mit dem Erstgeborenen zu beachten?

Das Wichtigste zuerst: Verbringen Sie, wann immer es Ihnen möglich ist, viel Zeit mit dem Ältesten. Gerade Erstgeborene reagieren auf das Zusammensein mit Erwachsenen außerordentlich positiv.
Achten Sie bitte darauf, Ihr ältestes Kind nicht mit Pflichten und Aufgaben zu überhäufen.

Auch die jüngeren Kinder sollten ihren Beitrag leisten und in den Familienalltag eingebunden werden.
Und noch eins: Gerade Ihrem ältesten Kind sind Privilegien sehr wichtig. Eine spätere Schlafenszeit, eine Fernsehsendung, welche nur für das Älteste bestimmt ist – für Sie mag das banal klingen, aber Ihrem Kind ist das besonders wichtig!

 

Das mittlere Kind

Für das mittlere Kind – auch, wenig liebevoll, Sandwich-Kind genannt – ist es völlig normal, die Eltern mit den Geschwistern teilen zu müssen. Daraus resultiert oftmals Unbekümmertheit und weniger Angst, die Zuneigung der Eltern zu verlieren.

Gleichsam befindet sich das mittlere Kind aber auch in einer schwierigen Position, da es weder über die Rechte des Älteren verfügt, noch die Vorteile des Jüngeren genießen kann.
Prägend für das Sandwich-Kind ist die Erfahrung, sich gegen beide durchzusetzen, um sich zu behaupten. Dadurch entwickeln gerade diese Kinder gute diplomatische Fähigkeiten und Verhandlungsgeschick. Sie sind es gewohnt, ihr Potential voll auszuschöpfen und können meist besonders gut mit anderen Menschen umgehen.
Problematisch wird es allerdings, wenn gerade diese Kinder zu wenig Beachtung finden, weil die Eltern dem Erstgeborenen oder dem Nesthäkchen zu viel Aufmerksamkeit schenken.
Eine Überempfindlichkeit gegenüber schlechter Behandlung oder Ungerechtigkeit sind dabei oft die Folge. Auch ein starkes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit geht damit häufig einher.
Meist sind es die mittleren Kinder, denen die spätere Loslösung von zu Hause leichter fällt – auch eine Konsequenz fehlender Beachtung.

Für den Umgang mit Sandwich-Kindern ist folgendes ratsam:

Räumen Sie auch dem Mittelkind bestimmte Privilegien ein, so z.B. einen Ausflug nur mit Ihnen oder den alleinigen Besuch bei den Großeltern.
Sandwich-Kinder brauchen in besonderem Maße das Gefühl, etwas „Besonderes“ zu sein.
Deshalb sollten Sie seine Leistungen, ob in der Schule oder beim Sport, gebührend würdigen und es dafür loben.
Einige mittlere Kinder neigen dazu, vieles mit sich selbst auszumachen, um Konflikte zu vermeiden. Seien Sie wachsam und suchen Sie das Vier-Augen-Gespräch, wenn sich eine derartige Situation einstellt.

 

Das Nesthäkchen

Das Nesthäkchen steht in dem Ruf, von den Eltern besonders verwöhnt und bedient zu werden. Und jetzt kommt die Überraschung: Das stimmt sogar meistens.
Das jüngste Kind genießt oft mehr Freiheiten und profitiert von den Erfahrungen, die die Eltern mit den älteren Geschwistern gemacht haben. Das ist zwar schön für das Kind, birgt aber auch eine Menge Gefahren in sich. Der Neid der älteren Geschwister bleibt dabei nicht aus und führt so zwangsläufig zu Konflikten, die dem jüngsten Spross der Familie das Leben schwer machen können. Die Ältesten kommandieren die Kleinen gern herum oder ärgern sie auf andere Weise. Das wiederum kann dazu führen, das gerade die Jüngsten sich zu empfindlichen und reizbaren Kindern entwickeln. Diese Kinder schlagen dann oft eine von zwei typischen Richtungen ein. Entweder entwickeln sie einen besonderen Ehrgeiz, um die Älteren einzuholen oder sie verhalten sich passiv und lassen sich von jeder Aufgabe entmutigen.
Vielfach wurde in Studien beobachtet, dass sich die jüngsten Kinder zu einer Art Clown entwickeln, um die Älteren zum Lachen zu bringen, um sich so die nötige Anerkennung der älteren Geschwister zu verschaffen.

Für den Umgang mit Ihrem Nesthäkchen ist daher folgendes empfehlenswert:

Auch das jüngste Mitglied der Familie muss sich an die aufgestellten Familienregeln halten. Sorgen Sie dafür, dass es Verantwortung übernimmt und beispielsweise altersgemäße Aufgaben im Haushalt erledigt.
Wichtig ist auch, Nesthäkchen zu fordern, da diese meist nur wenig ehrgeizig sind und so hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben.
Natürlich braucht auch das jüngste Kind das Gefühl, etwas „Besonderes“ zu sein.
Stellen Sie daher auch seine Leistungen besonders heraus, speziell dann, wenn sie mit ein wenig Mühe und Aufwand verbunden waren.

 

Fazit

Egal, ob nun Erstgeborenes, Sandwich-Kind oder Nesthäkchen - von keiner Position innerhalb der Familie lässt sich sagen, dass sie die Bessere ist.
Jedes Kind erlebt durch seinen Rang in der Familie spezifische Vor- und Nachteile.
Für Sie, als Eltern, bedeutet dies, klare familiäre Spielregeln festzulegen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass diese auch eingehalten werden.
Vergleichen Sie Ihren Nachwuchs nicht miteinander, sondern sehen Sie in jedem Kind eine einzigartige Persönlichkeit.

Und das Wichtigste:

Schenken Sie jedem Kind ebenso viel Aufmerksamkeit - aber behandeln Sie nicht alle gleich, denn Kinder sind nun einmal verschieden.
Und das ist auch gut so.