Beim ersten Kind sind die Ansprüche der frisch gebackenen Eltern an sich selbst oft hoch. Sie möchten alles richtig machen und perfekt für das Kind sorgen. Viel ungeteilte Zuwendung und Aufmerksamkeit, aber auch viel Unsicherheit und Überforderung kennzeichnen die Atmosphäre der ersten Lebensjahre beim Einzelkind.
Das älteste Kind und seine speziellen Herausforderungen
Das erstgeborene Kind profitiert – solange es noch Einzelkind ist - in vielerlei Hinsicht von seiner Alleinstellung, vor allem von der vielen Zeit der Eltern, auf seine Bedürfnisse und Fragen einzugehen. Doch das Einzige zu sein und die ungeteilte Aufmerksamkeit kann auch Druck machen und das Kind zum Perfektionisten machen. Schwer wird es, wenn das Geschwisterkind nachrückt und der Erstling von seinem Thron gestürzt wird.
Du bist ja schon groß!
Mit der Ankunft eines Geschwisterchens ändert sich für das Erstgeborene alles. Vor allem, wenn der Abstand gering ist, wird das älteste Kind plötzlich damit konfrontiert, dass es eben noch klein sein durfte und jetzt das Große ist. Und die mit dem Neuankömmling beschäftigten Erwachsenen ziehen diese Karte in der Regel immer wieder mal: „Du kannst jetzt nicht auf den Arm und musst laufen, Du bist doch schon groß und vernünftig!“ Diesen und andere Sprüche bekommen die Kleinen ab jetzt öfter zu hören. Sind Sie darauf so gar nicht vorbereitet, führt das zu Frust und Widerstand und der einzigen Methode, mit der sich das Kind zu helfen weiß. Es wird auch wieder ganz klein, schläft nachts nicht mehr durch, braucht wieder einen Schnuller, ganz viel Nähe von Mama und Papa und auch die Windel wird in vielen Fällen wieder ausgepackt.
Gute Vorbereitung – rechtzeitig üben
Damit Sie Ihr Kind bei der Ankunft des Neugeborenen nicht ins kalte Wasser werfen, sollten Sie schon vor der Geburt das Groß sein mit Ihrem Ältesten üben. Schon jetzt sollte es sich an neuen Aufgaben und Herausforderungen üben dürfen. Dazu gehört die Treppe hinaufzulaufen, statt getragen zu werden, die Jacke selbst anzuziehen oder auch einmal zu warten, bis Mama Zeit hat. Bereiten Sie Ihr Kind so auf die bald anbrechenden neuen Verhältnisse vor, ist es in sich sicher und bereits gewohnt, dass einige Dinge anders laufen. Vermeiden sollten Sie, beim Üben ständig darauf hinzuweisen, dass Ihr Großes das jetzt alles lernen muss, weil ja bald das Geschwisterchen kommt. Das kann Trotz und Widerstand erzeugen.
Das Baby ist da – das wird fürs Älteste jetzt anders
Bei aller Übung wird Ihr ältestes Kind nun doch vor ganz neue Voraussetzungen gestellt und je jünger es ist, umso schwieriger wird es sein, diese zu meistern. Ihre Unterstützung ist in dieser Zeit extrem wichtig:
- Gerade in der Anfangszeit muss es die Aufmerksamkeit der Eltern teilen – Sie sollten darauf achten, dass bei all dem Stress und den zusätzlichen Aufgaben auch Ihr ältestes Kind nicht zu kurz kommt und Eins-zu-Eins-Zeit mit beiden Elternteilen hat. Vielleicht auch hin und wieder eine besondere Unternehmung – ein Ausflug oder Eis-Essen – nur für „Große“.
- Ihr Kind muss lernen, Rücksicht zu nehmen und zu warten – Auch hier sollten Sie es nicht überfordern. Neugeborene sind oft weniger empfindlich als gedacht, zum Beispiel was die Lautstärke angeht. Binden Sie Ihr Kind mit ein und versuchen Sie, es nicht zu überfordern.
- Häufig sind die Erstgeborenen von jüngeren Geschwistern genervt. Anfangs durch das Geschrei, später durch die „Unvernunft“ der Kleinen. Auch hier ist es wichtig, dass Sie nicht zu viel erwarten und Ihr älteres Kind klare Regeln und Räume für sich selbst behält.
Neue Aufgaben – mehr Verantwortung
Gerade wenn die Kinder schon älter sind, ist die Versuchung groß, sich selbst zu entlasten, indem man Aufgaben und Verantwortung an das ältere Geschwisterkind übergibt. Hier ist Vorsicht geboten! Klar können die Kinder auch mal zusammenspielen, dem älteren Kind sollte jedoch keinesfalls die Verantwortung für das Baby oder Kleinkind übertragen werden. Besprechen Sie, welche Aufgaben gerne übernommen werden und achten Sie dabei immer darauf, dass diese auch altersgerecht sind.
Die Geschwisterrangfolge
Es gibt mittlerweile viele Studien, die untersuchen wie sich die Geschwisterrangfolge auf die Kinder und ihre Entwicklung auswirkt. Eine Auswirkung soll die Neigung zu einem höheren Intelligenzquotienten sein – dieser Effekt ist allerdings minimal, die Angaben von 1,5 Punkten Vorsprung in der Realität meist kaum zu spüren. Begründet wird dieser Vorsprung dadurch, dass ältere Geschwister häufig eine Art Tutorfunktion übernehmen und den jüngeren Geschwistern Dinge erklären und vorleben, was wiederum die kognitiven Fähigkeiten trainiert. Da es im Leben jedes Kindes zahlreiche Entwicklungsfaktoren gibt, sind sich die Psychologen bis heute nicht einig, ob die Rangfolge nun wirklich eine Rolle in der Entwicklung spielt. Allerdings wird vermutet, dass erstgeborene Kinder häufiger leistungsorientiert sind und Führungspositionen übernehmen. Sie sind wettkampforientiert und verantwortungsbewusst.
Bitte nicht nur Nachteile für das ältere Kind
Sicher ist jedoch, dass Erstgeborene durch das neue Geschwisterchen natürlich eine Bereicherung, aber auch Einschränkungen in ihrer bisherigen Rolle in der Familie erfahren. Sie müssen Aufmerksamkeit, Spielzeug und meist auch das Zimmer teilen, dazu Rücksicht nehmen und bei dem, was sie tun, aufpassen, dass „das Kleine“ keinen Schaden nimmt (und wenn es nur ist, dass keine kleinen Teile herumliegen dürfen). Sie müssen das jüngere Geschwisterchen regelmäßig mitspielen lassen und dürfen oft nicht einmal sauer werden, wenn es alles kaputt macht. Hinzu kommt, dass es in der Regel die älteren Geschwister sind, die die Kämpfe mit den Eltern austragen müssen, um Freiheiten zu erstreiten, von denen das jüngere Kind später profitiert – und das nicht erst im Teenageralter. Dies sollten sich Eltern bewusst machen und ihrem ältesten Kind neben der Aufmerksamkeit und der Liebe, die es verdient und braucht, auch ein paar kleine Privilegien einräumen. Zum Beispiel etwas länger aufbleiben oder einen Film für ältere Kinder im Kino ansehen zu dürfen. Ihr Kind wird das zu schätzen wissen – und sich dabei freuen, schon so groß zu sein.