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Die Vater-Kind-Beziehung während der Stillzeit

Die Beziehung zwischen Mutter und Kind während der Stillzeit ist unwidersprochen ein wichtiger Eckpfeiler während der ersten Lebensmonate eines Kindes. Etwas nebulöser dagegen ist die Beziehung von Vater und Kind während dieser Zeit. In jedem Fall ist sie wichtiger, als lange Zeit angenommen wurde.

UNICEF, die Europäische Stillkommission und die Weltgesundheitsorganisation sind sicher nicht in allen Fragen immer einer Meinung. Was die optimale Stillzeit für Babys angeht, aber herrscht Übereinstimmung darüber, dass Kleinkinder mindestens sechs Monate gestillt werden sollten. Diese Form der Ernährung ist nicht nur gesund, sie schafft auch eine enge Bindung zwischen Baby und Mutter.
Der Vater dagegen war lange Zeit in der allgemeinen Annahme zur Untätigkeit verdammt. Vielfach ging die Wissenschaft sogar davon aus, dass die ersten Monate keinen Platz für eine Dreierbeziehung zwischen Mutter, Vater und Kind böte. Doch das stimmt so nicht.

 

Mutter sagt, wo es langgeht …

Der amerikanische Forscher Ross Parker sowie Kai von Klitzing und Dieter Bürgin von der Universität Basel sind sich in einem Punkt einig: Väter haben vom ersten Moment an eine entscheidende Rolle beim Baby. Zumindest theoretisch. Denn auch heute noch stehen sie in den ersten Monaten, also während der Stillzeit, am Rande und müssen dem „Treiben“ zwischen Mutter und Baby zur Untätigkeit verbannt zusehen. Das liegt laut der Forscher nicht etwa daran, dass Väter mit der Stillzeit nichts zu tun haben oder nichts zu tun haben wollen. Ross Parker findet klare Worte und sagt: „Väter sind exakt soweit involviert, wie die Frau es zulässt.“ Zwar haben Andrea Bambey und Walter Gumbinger vom Frankfurter Institut für Sozialforschung herausgefunden, dass immerhin 30% aller Väter eine gleichberechtigte Rolle in der Beziehung spielen, also auch während der Stillzeit. Doch das bedeutet, dass 70% übrig bleiben, bei denen es sich anders verhält. Nicht in jeder Beziehung wird das Stillen durch die Frau als Machtinstrument verwendet. Doch es gibt diese Machtkämpfe. Im besten Fall treffen Vater und Mutter die wichtigen Entscheidungen das Kind betreffend, gemeinsam. Das gilt auch und im Besonderen für die Organisation der Stillzeit, in der der Vater keineswegs passiv und außen vor sein muss. Er kann – wie die Mutter auch – während der Stillzeit, also in den ersten Monaten des neuen Lebens, eine innige und stabile Beziehung zum Baby aufbauen.

Väter: Das unerforschte Wesen

Die Europäische Stillkommission gibt es bereits seit 1994. Das ist eine lange Zeit, die genutzt wurde, um die Bedeutung des Stillens, aber auch die von Stillhindernissen zu untersuchen. Die Rolle der Väter allerdings ist ein nahezu unerforschtes Gebiet. Das ist sehr schade, denn Väter können sowohl positiv als auch negativ in die Stimmung während des Stillens eingreifen. Je nachdem, wie partnerschaftlich die Beziehung ist, wie offen die Mutter sich gibt und wie tolerant und verständnisvoll der Vater, hat das wesentliche Einflüsse auf die Zeit des Stillens.

Fast reflexartig übernehmen die meisten Mütter während der Stillzeit viele Aufgaben, die auch der Vater übernehmen könnte. Das ist nachvollziehbar, wenn Vater und Mutter einmal – aus welchen Gründen auch immer – getrennt sind. In diesen Fällen liegt es nahe, das Kind bei der Mutter zu lassen, schon aus biologischen Gründen. Sind beide Partner zusammen, übernimmt die Mutter jedoch auch oft Aufgaben, die der Vater ebenfalls übernehmen könnte. Das Kind ins Bett zu bringen, muss nicht notwendigerweise immer die Aufgabe der Mutter sein. Ist es vorher bereits gestillt worden, kann das auch der Vater machen. Diese und vergleichbare Momente führen zu einer wichtigen Nähe zwischen Vater und Kind und somit zur Intensivierung der Beziehung der beiden.

Wunderkind durch Muttermilch?

Die Tatsache, dass Stillen die Beziehung zwischen Mutter und Kind stabilisiert, ist bei Forschern und Wissenschaftlern weitgehend unumstritten. Doch der Muttermilch wird zuweilen auch fast Übernatürliches zugetraut. So weisen zahlreiche Studien angeblich nach, dass Menschen, die gestillt wurden, seltener krank werden, seltener Diabetes bekommen und nicht so anfällig für Herzleiden sind wie ungestillte Kinder. Eine britische Studie ging sogar so weit, in ihren Ausführungen zum Schluss zu kommen, dass Kinder, die früher gestillt wurden, es häufiger in Führungspositionen schaffen. Ein kurzer Blick auf die Hintergründe dieser Studie zeigt jedoch, dass die Folgerungen mehr als gewagt sind. Denn im untersuchten Zeitraum war das Stillen in höheren Schichten beliebter als bei den unteren Bildungsschichten. In diesem Zusammenhang erscheint es doch vereinfachend, die Besetzung der Führungspositionen mit dem Stillen in Verbindung zu bringen.

Es besteht kein Zweifel daran, dass Stillen viele positive Eigenschaften hat und sich positiv sowohl auf die Mutter als auch auf das Kind auswirkt. Schließlich wurde diesem Themenkomplex viel wissenschaftliche Aufmerksamkeit gewidmet. Doch die weitgehend unerforschte Beziehung zwischen dem Vater und dem Kind während der Stillzeit ist ein trauriger Beleg dafür, dass im Allgemeinen noch immer angenommen wird, Väter hätten während der Stillzeit nichts zu sagen oder kein Interesse an dieser Zeit. Das ist ganz sicher nicht so, und wenn man sich in der Wissenschaft und im gesellschaftlichen Kontext mehr mit dem Thema beschäftigen würde, wäre die Stillzeit für viele Männer sicher eine ganz andere. Womöglich eine viel schönere.