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„Das gab es bei uns nicht!“ - Kinder früher und heute

Früher war alles besser? Die Sommer waren noch Sommer und im Winter lag Schnee? Die Kinder waren gut erzogen und wussten sich zu benehmen? Oh nein, bitte nicht! Dieser Satz hat schon zu viel Schlimmes angerichtet und zu überflüssigen Diskussionen geführt. Je älter man wird, desto mehr neigt man dazu, die Vergangenheit zu idealisieren. Es gab immer schon verregnete Sommer und milde Winter. Auch früher. Und die Kinder? Die waren anders. Weil die Zeit eine andere war.

Wahrscheinlich hat sich die Welt nie so schnell verändert wie in den letzten 20 Jahren. Maßgeblichen Anteil daran hat natürlich das Internet. Wenn man sich vorstellt, dass in den Anfangszeiten von PC und World Wide Web Kritiker darauf wetteten, dass diese Technologien wieder im Erdboden versinken würden („Wer braucht schon einen PC?“), ist die Entwicklung nahezu unvorstellbar. Ich merke das natürlich auch heute, wenn ich mit meinem Sohn zusammen bin.

 

Sendeschluss versus Youtube

Mein Sohn ist 15. Als er 11 war, habe ich mit ihm einmal über das Fernsehprogramm meiner Kindheit gesprochen. Ich berichtete darüber, dass es nur drei Fernsehprogramme gab. Eigentlich waren es sogar vier, denn ich durfte abends immer im DDR-Fernsehen das „Sandmännchen“ sehen. Das Bild war schlecht, aber ich habe das Sandmännchen geliebt. Ich erzählte meinem Sohn auch vom Sendeschluss und vom Testbild. Als er diese Worte zum ersten Mal hörte, sah er mich mit großen, fragenden Augen an. Ich hatte vorher nie großartig darüber nachgedacht, aber in diesem Moment wurde mir klar, dass Welten zwischen damals und heute liegen. Mein Sohn fand die Vorstellung von drei Fernsehprogrammen nicht nur unangenehm, er konnte sich auch nicht vorstellen, dass es zu bestimmten Zeiten nichts im Fernsehen zu sehen gibt. Wenn ich ihn heute sehe, hat er immer sein Handy und sein iPad dabei. Er hört damit Musik, sieht sich Filme an und surft auf Google oder Youtube. Die Bildschirmaktivitäten der Kinder und Jugendlichen heute sind im Vergleich zu meiner Kindheit um ein Vielfaches höher. Aber ich weiß auch, dass es sinnlos wäre, daran zu rütteln. Das ist der Lauf der Dinge. Und ich profitiere schließlich selbst auch davon. Und sehe mir auf Youtube gern gemeinsam mit meinem Sohn witzige Videos an. Unabhängig vom Sendeschluss.

 

Draußen zuhause?

Ich erinnere mich, dass wir Kinder aus der Nachbarschaft stundenlang draußen gespielt haben. Wir hatten einen großen, grünen Hinterhof, auf dem wir Fußball spielen konnten, mit unseren Go-Karts Geländefahrten veranstalteten oder Verstecken spielten. In der Wohnung spielten wir eigentlich nur, wenn das Wetter schlecht war. Ich bin mitten in der Stadt aufgewachsen, aber es gab bei uns viele Grünflächen und Spielplätze in der Nähe, auf denen wir uns austoben konnten. Das Betreten von Rasen war damals übrigens nicht verboten. Aber vielleicht werde ich auch gerade selbst Opfer im Idealisieren der Vergangenheit.

Mein Sohn ist in ländlicher Umgebung aufgewachsen. Ich bin mit meiner damaligen Frau ganz bewusst an den Stadtrand gezogen, als unser Sohn etwas größer wurde. Wir wollten, dass er nahe der Natur aufwächst, dass er nicht glaubt, Kühe seien lila, wie das bei Stadtkindern tatsächlich hin und wieder der Fall sein soll. Von unseren Eltern unterschieden sich meine Ex-Frau und ich in vielen Punkten, in einem jedoch nicht. Tagsüber lief bei uns nie der Fernseher. Wir gestalteten die Freizeit anders und beschränkten Fernsehaktivitäten auf ausgewählte Zeiten. Das Prinzip wirkt noch heute. Unser Sohn hat keinerlei Interesse daran, den Fernseher einzuschalten, wenn er von der Schule nach Hause kommt. Er muss sich dazu nicht einmal zwingen, denn er hat es nicht anders gelernt. Der Unterschied zu meiner Kindheit allerdings besteht in zwei Hosentaschen. In der rechten ist das Handy, in der linken das iPad.

 

Beste Freunde

Angeblich soll das Sozialverhalten in vergangenen Zeiten besser gewesen sein als heute. Angeblich verhindern Internet, Handy und Smartphone langjährige Freundschaften zwischen Jugendlichen. Angeblich sind es die Killerspiele, die dazu führen, dass an Schulen Jugendliche beginnen, Amok zu laufen und wild um sich zu schießen. Angeblich leiden die Jugendlichen von heute durch die vielen Bildschirmaktivitäten zunehmend unter Realitätsverlust.

An alledem mag vielleicht etwas dran sein. Ich denke, dass es tatsächlich so sein kann. Ein Jugendlicher, der einen Großteil seiner Freizeit vor dem PC oder Fernseher verbringt, wird kaum noch Zeit finden, Freundschaften zu pflegen. Und es gibt sicherlich auch diese Persönlichkeiten, die durch Killerspiele inspiriert zu grauenhaften Taten fähig sind. Allerdings denke ich auch, dass das Ausnahmen sind. Mein Sohn hat einen kleinen, aber sehr engen Freundeskreis. Und sein bester Kumpel gehört inzwischen zur Familie. Er ist also quasi in etwas vorgedrungen, das in vergangenen Zeiten ein regelrechtes Heiligtum war. Das ist heute einfacher. Mein Sohn hat seinen besten Freund bei Facebook unter der Rubrik „Familie“ und „ãBruder“ eingetragen. So einfach kann das also sein.