Wenn Kleinkinder nur einen Elternteil bevorzugen, dann ist das eine schwierige Situation für alle Beteiligten. Unser Autor erzählt von seinen Erfahrungen.
Maximilian, das Mamakind – wenn Papa nur zweite Wahl ist
»Mama! Mamaaaaa!«
Darf ich vorstellen? Das ist das Lieblingswort meines Sohnes Maximilian. Mal freudig, mal weinerlich, aber immer ist es meine Frau, die für ihn Ansprechpartner Nummer eins ist. Gäbe es im Duden die Bezeichnung »Mamakind« und wäre sie bebildert, dann könnten Sie, liebe Leser, ihn jetzt vielleicht sogar sehen. Er ist ein Paradebeispiel für diesen Begriff.
Egal ob es das Anziehen, die Gutenacht-Geschichte oder irgendetwas anderes ist: Ich darf es nicht tun. So sehr ich mich bisher auch bemüht habe. Eine Zeit lang ging es sogar soweit, dass Maximilian sofort anfing zu weinen, wenn es meine Frau auch nur wagte, das Zimmer zu verlassen. Obwohl ich neben ihm stand.
Zwar weiß ich, dass in der Regel bei Kleinkindern die Mutter-Kind-Beziehung enger und wichtiger ist als die Vater-Kind-Beziehung. Völlig in Ordnung. Doch mit einer väterlichen Statistenrolle möchte sich auf Dauer wohl kein Papa zufrieden geben.
Natürlich käme ich nie auf den Gedanken, sein Verhalten persönlich zu nehmen. Aber es sind doch kleine Nadelstiche ins väterliche Herz. Klingt zwar kitschig, trifft den Punkt aber recht genau.
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich beneide meine Frau keineswegs um die Zuneigung meines Sohnes. Eifersucht spielt hier keine Rolle. Im Gegenteil, sie hatte in den letzten Jahren eindeutig den schwereren Part. Denn wenn man sich vorstellt, dass sie von Anfang an nur mit dem Kleinen beschäftigt war, ihn tagsüber wie einen kleinen, schreienden Rucksack mit Windeln mit sich herumtrug, der ihr selbst nachts lange Zeit nie von der Seite wich, dann bekommt man eine kleine Vorstellung, welchen Strapazen sie in gerade in der ersten Zeit ausgesetzt war.
Geteiltes Leid
Die Zeit verging und eine Besserung unseres Vater-Sohn-Verhältnisses war nicht in Sicht. So konnte es nicht weitergehen. Eine Lösung musste her. Nur welche?
Tante Google weiß fast alles, also fragte ich sie um Rat. Doch die Antwort fiel recht bescheiden aus. »Manchmal fühle ich mich wie das fünfte Rad am Wagen« klagt da ein Vater. Und eine Mutter meint: »In den Augen der Kinder bin ich immer die Böse und mein Mann der Gute. Eine grauenhafte Rolle.«
Anonym im Netz kommt die Wahrheit auf den Monitor. Mütter leiden und Väter fühlen sich ausgeschlossen. Ich bin also nicht allein mit meinem Problem.
Mit Durchhalteparolen à la »Das ist völlig normal. Alles nur eine Phase, das geht vorbei … « versuchen verzweifelte Eltern in diversen Internetforen sich gegenseitig Mut zu machen. Nicht wirklich hilfreich. Und an eine Phase will ich auch nicht mehr so recht glauben. Unsere »Phase« dauert jetzt zwei Jahre und zehn Monate, denn genau so alt ist mein Sohn.
Zwei Dimensionen
Also was sagen die Experten? Laut Bindungsforschung - ja, die gibt es tatsächlich - sind für die Zuneigung von Kindern zu ihren Eltern zwei Dimensionen entscheidend: das Spiel und das Vertrauen.
Erstere wird meist - so die Aussage einer amerikanisch/kanadischen Studie - von Vätern bedient. Sie spielen wilder mit ihren Kindern, gehen mehr überschaubare Risiken ein und betreiben häufiger Sport mit ihren Mädchen und Jungen.
Dieser Aussage kann ich durchaus beipflichten. Bei uns ist das nicht anders, wenngleich ein mehr oder weniger unbeschwertes Spielen mit meinem Sohn auch erst seit ungefähr einem Jahr möglich ist. Problem ist nur, wenn er dabei zum Beispiel stürzt. Dann läuft er schnurstracks zu meiner Frau, um sich von ihr trösten zu lassen. Dass es ihm gut geht, erkenne ich meist nur daran, dass er immerhin noch die Kraft findet, mit dem heilen Bein nach mir zu treten, wenn ich ihn in den Arm nehmen will. Aber warum?
Hier kommt die zweite Dimension, das Vertrauen, ins Spiel. Entwicklungspsychologen meinen, dass der Sohn oder die Tochter dem Elternteil näher steht, welche seine ganz persönlichen emotionalen Bedürfnisse richtiger erkennt und angemessener darauf reagiert. Der bessere Draht entwickle sich zu der Person, die feinfühliger und sozial kompetenter ist. Also zu jenem Part, der erkennt, wann trösten richtig ist und wann Ablenkung gut tut, wann aufmuntern und wann in den Arm nehmen.
Ich will ja gar nicht abstreiten, dass an dieser Theorie etwas dran ist. Ganz bestimmt sogar. Meine Frau ist eine fantastische Mutter. Doch ich denke nicht, dass ich in puncto sozialer Kompetenz und Feinfühligkeit hinter ihr zurückstehe. Allerdings bekam ich nie die Chance, diese kühne Behauptung bei meinem Sohn unter Beweis zu stellen. Zudem muss ich noch erwähnen, dass unsere nunmehr achtjährige Tochter in diesem Alter und auch jetzt noch nie nur einen Elternteil bevorzugt hat.
Defensive Annäherung
Irgendwann las ich auf einer kleinen Ratgeberseite den Tipp, betroffene Elternteile mögen sich doch ein wenig zurückziehen und ihr »Problemkind« gewissermaßen ignorieren. Was für ein Vorschlag! Ich soll also meinen Sohn ignorieren, um dessen Zuneigung zu gewinnen? Ich zweifelte ernsthaft am Geisteszustand dieses Schreiberlings. Doch ich las weiter und erfuhr, dass mit dem Ignorieren nicht das »links liegen lassen« gemeint war, sondern vielmehr ein defensives Annähern. Das heißt, ich solle einfach warten, bis mein Sohn zu mir kommt und nicht umgekehrt auf ihn zugehen.
Da kann ich lange warten, dachte ich mir. Doch mangels brauchbarer Alternativen probierte ich diesen Rat tatsächlich aus. Was soll ich sagen? Es funktioniert. Es funktioniert tatsächlich. Zwar in kleinen Schritten, aber immerhin. Und jetzt kommt es immer häufiger vor, dass mein Sohn dem Sandmann auch von meinem Schoß aus zujubelt oder mir gestattet, ihm beim An-und Ausziehen zu helfen. Weil er es so will. Eltern mit »normalen« Kindern mögen darüber lächeln. Aber für uns war das ein Riesenschritt.
Das Ganze gelingt natürlich nur, wenn beide Elternteile an einem Strang ziehen. Und vor allem darüber reden. Das ist der zweite gute Rat, den ich betroffenen Eltern geben möchte. Meine Frau und ich haben viel geredet. Und tun es noch. Über meine bescheiden-hilflose und ihre überlastete Position. Trost und Verständnis für beide Seiten ist gerade in einer solchen Situation enorm wichtig.
Wir werden auch künftig verstärkt als »eine« Person auftreten. Das soll heißen, wenn einer von uns etwas sagt oder tut, dann hat das auch Gültigkeit für den jeweils anderen. Bisher haben wir das zwar auch so gehalten, allerdings setzt ein solches Handeln eben ein gewisses, altersabhängiges Grundverständnis seitens des Kindes voraus.
Übrigens, kleine Jungen sollen sich zwischen drei und sechs Jahren viel stärker mit ihrem Vater identifizieren und den Kontakt suchen, um herauszufinden, wer sie selbst sind. »Vaterhunger« wird diese Phase auch genannt. Ich bin gespannt, ob mein Sohn in den nächsten Jahren tatsächlich Appetit bekommt.
Zuneigung ist keine Gleichung
»Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man bekommt.«
Recht hat er, der Forrest Gump. Bei Kindern ist das nicht anders. Was bei dem einen problemlos war, kann sich beim anderen als äußerst schwierig erweisen. Denn sowohl die Gene als auch die Umwelt beeinflussen die Persönlichkeitsentwicklung unserer Kinder gleichermaßen. Wichtig ist einfach nur, wie wir als Eltern damit umgehen.
Zuneigung ist keine Gleichung. Sie lässt sich nicht erzwingen. Weder bei Kindern noch sonst irgendwo. Bezogen auf meinen Fall kann ich nur abwarten und mich auch weiterhin gleichmäßig um meinen Sohn bemühen. Mit der für ihn zurzeit nötigen Distanz. Und ich werde ihm nicht zeigen, dass ich doch noch so manches Mal traurig über die eine oder andere Reaktion von ihm bin. Er ist erst drei Jahre alt und versteht noch nicht, dass er es mit mir als Vater ganz gut getroffen hat. Aber mittlerweile sind wir ja auf einem guten Weg.
»Du bist der beste Papa, den es gibt.« Dieser Satz stammt von meiner Tochter und ich bin mehr als stolz darauf. Mein Sohn wird das auch sagen. Da bin ich mir sicher. Irgendwann.
Der Autor:
Daniel Polzer arbeitet als freiberuflicher Texter und Werbetexter.
Mit seiner Frau und seinen beiden Kindern lebt er in Leipzig.