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Mathe ist ein Arschloch! Oder etwa doch nicht?

Die Postkarte mit der simplen Aussage, Mathe sei ein Arschloch, gehört zu jenen, die über Jahrzehnte haufenweise über den Ladentisch gehen. Weil sie so vielen aus der Seele spricht. An Mathe scheiden sich die Geister, für die einen ist sie einfach nur logisch und nachvollziehbar. Für die anderen dagegen eine grausame Quälerei. Für Eltern stellt sich die Frage, wie sie ihre Kinder unterstützen können, besonders wenn der Matheunterricht sich zum roten Tuch entwickelt hat.

Was sich die Pädagogen des französischen Forschungsinstituts für Mathematikunterricht IREM im Jahr 1980 für die Grundschüler in Grenoble ausgedacht haben, stieß nicht nur auf Zustimmung. Im Gegenteil, für ihren Versuch mussten sie mächtig Prügel beziehen. Das mag man unterschiedlich bewerten, Fakt ist jedoch, dass sie durch ihre Aktion auf ein gravierendes Problem aufmerksam gemacht haben. Stein des Anstoßes war eine simple Rechenaufgabe. Die wurde 97 Kindern gestellt und lautete wie folgt:

  • Auf einem Schiff befinden sich 26 Schafe. Außerdem sind 10 Ziegen an Bord. Wie alt ist der Kapitän des Schiffes?

Immerhin 79 der 97 befragten Kinder waren der Meinung, der Kapitän müsse 36 Jahre alt sein. Die Antwort ist logisch und unsinnig gleichermaßen. Zwar konnten die Kinder korrekt addieren, die Aufgabenstellung hatte allerdings nicht mit dem zu tun, was sie letztlich als Ergebnis ablieferten. Ein Aufschrei ging damals durch die Medien. Und ganz besonders die Lehrerschaft ereiferte sich darüber, dass hier mit unfairen Mitteln gearbeitet wurde. Von „Machtmissbrauch“ war die Rede, es sei „eine Schande, so etwas Kindern anzutun“. Doch wie kommt es, dass Kinder eine solche Antwort geben? Diese Frage wird bis heute untersucht und sorgt nach wie vor für Kopfzerbrechen bei Forschern und Experten. Fast wie eine unlösbare Matheaufgabe. 

 

 

Auf die Spitze getrieben

 

Mitte der 90er Jahre gingen Wissenschaftler sogar noch einen Schritt weiter. Sie stellten eine ähnlich Aufgabe, allerdings mit einem kleinen, aber wichtigen Zusatz. Die Aufgabestellung der Wissenschaftler von der TU Dortmund lautete:

  • Ein 27 Jahre alter Hirte besitzt 25 Schafe und 10 Ziegen. Wie alt ist der Hirte?

Wieder wurde fleißig drauf los gerechnet, und das, obwohl die Lösung bereits in der Aufgabe stand. Auch die Rechenwege waren phantasievoll. Zu den angebotenen Lösungen zählten „27 + 25 + 10“ oder auch „27 + 25 – 10“. Hendrik Radatz hat bei einer Untersuchung von 300 Schülern und Kindergartenkindern herausgefunden, dass der falsche Ansatz häufiger vorkommt, je älter die Kinder werden. Was auf den ersten Blick wie ein Paradoxon wirkt, erklärt sich bei näherer Betrachtung. 

 

 

Textaufgaben vernebeln den Blick

 

Radatz fand heraus, dass Kita-Kinder auf eine Berechnungsquote von gerade einmal 10 Prozent kamen, wenn sie eine „Kapitänsaufgabe“ gestellt bekamen. Zweitklässler zeigten schon in 30 Prozent der Fälle, dass sie dem Rechnen zugeneigt waren. Dritt- und Viertklässler erzielten eine eindrucksvolle Quote von 54 bis 71 Prozent Rechenbereitschaft, wo es nichts zu rechnen gab. Radatz erklärt das Phänomen mit dem Schulunterricht, speziell mit Textaufgaben im Matheunterricht. Sie sind wesentlicher Bestandteil des Lehrplans und zeigen in den allermeisten Fällen wenig Sinnhaftigkeit. Die Belanglosigkeit der Texte für dazu, dass Kinder regelrecht darauf konditioniert werden, fast schon automatisiert die Textaufgaben nach bestimmten Mustern zu lösen. Das führt dazu, sich keine Gedanken zu machen, sondern einfach los zu rechnen. Es folgt: der „Kapitänseffekt“.

 

 

Es liegt an der Motivation

 

Völlig unabhängig vom Phänomen der grotesken Rechenaufgaben ist die Problematik in vielen Familien anders und grundlegender vorhanden. Es gibt nun einmal Kinder, die kommen mit Mathematik einfach nicht klar. Schon kleine Kinder scheitern an scheinbar simplen Rechenaufgaben und finden einfach keinen Zugang zu Zahlen und deren Bedeutung. Verzweifelte Eltern begründen dies dann mit einer gottgegebenen Rechenschwäche oder zweifeln an der Intelligenz des Nachwuchses. Doch eine aktuelle Studie hat ergeben, dass Intelligenz nicht das Problem ist. Vielmehr ist es die Motivation der Kinder. Kou Murayama von der Universität München (LMU) hat mit 3.500 Schülern eine Langzeitstudie durchgeführt und kam zum Schluss, dass Mathe Kindern leichter fällt, wenn sie sich hoch motiviert zeigen. Umfangreiche Tests und Versuche mit Kindern ergaben, dass Intelligenz den Erfolg bei Mathe nicht beeinflusse. Selbst Murayama war „beeindruckt“ von seinen Ergebnissen.

 

 

Was tun?

 

Wenn es also nicht etwa fehlende Intelligenz ist, die Kindern den Zugang zu Mathe verwehrt, stellt sich die Frage, was man tun kann, damit das Rechnen leichter fällt. Ein Ansatz ist die praktische Herangehensweise. Zahlenkolonnen auf dem Papier oder dem Bildschirm sind wenig ansprechend, spannender ist die Einbeziehung des Alltags, zum Beispiel:

 

  • Das Essen im Restaurant muss am Ende bezahlt werden. Die Rechnung könnte gemeinsam mit dem Nachwuchs geprüft werden. 
  • Wer spielt, lernt gern! Es gibt zahlreiche Spiele, bei denen auch gerechnet werden muss. Monopoly, Kegeln oder Darts sind nur drei von zahlreichen Beispielen. 
  • Wie alt bin ich? Die Frage, wie alt Vater und Mutter sind, wann sie dementsprechend geboren sein müssen oder wie viele Jahre zwischen Kindern und Eltern liegen, ist deutlich spannender als ein Kapitän, der nur eine abstrakte Figur ist. Es gibt viele solcher Beispiele im Alltag.

 

Für viele Kinder wird Mathe niemals der beste Freund, für den sie alles stehen und liegen lassen. Einfacher kann es aber dennoch werden, wenn man das Fach nicht als Klotz am Bein, sondern als Bestandteil des Lebens betrachtet. Im besten Fall verfehlen dann sogar die unsinnigen Textaufgaben ihre zerstörerische Wirkung.