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Fleisch ist mein Gemüse – warum Männer sich anders ernähren als Frauen

„Fleisch ist mein Gemüse“ ist nicht nur der literarische Besteller von Heinz Strunk, sondern auch die wohl kürzeste Zusammenfassung der favorisierten Ernährungsweisen von Männern. Ist dem wirklich so? Ernähren sich Männer schlechter als Frauen? Wenn ja, warum diese Unterschiede? Warum spielt Fleisch in der Ernährung des Mannes eine derart wichtige Rolle?

Eine Bestandsaufnahme 

Zwei Fakten, ein Zusammenhang?
Männer sterben im Mittel 5,2 Jahre früher als Frauen. 
Über alle Altersgruppen hinweg isst der Mann mehr rotes Fleisch. 

Grundsätzlich lässt sich aber feststellen, dass die Menschen immer älter werden – über alle Geschlechtsunterschiede hinweg. Doch wie lässt sich die kürzere Lebenserwartung des Mannes erklären? Als biologisch-konstitutionell bedingt gelten davon aber nur ein bis zwei Jahre. Geschlechtsunterschiede beim Rauchen, der Ernährung und riskantes Verhalten können Gründe für diese kürzere Lebenserwartung sein. Also spielen mehrere Lebensstilfaktoren eine Rolle bei dieser Betrachtung. Hier soll es nicht darum gehen, dem Mann das Fleisch vom Teller zu nehmen.    

Das Ernährungsverhalten von Männern ist nun aber EIN Grund, dass die Lebenswertartung verkürzt sein kann. Auf Grundlage von repräsentativen Ernährungs – und Gesundheitsstudien konnte belegt werden, dass sich der männliche Teil unserer Bevölkerung einseitig und zu energiereich ernährt – d.h. weniger Gemüse und Obst, übermäßig Fleisch, mehr verarbeitete Lebensmittel, ein zu hoher Alkoholkonsum. Dazu kommen fehlende sportliche Betätigung und ein erhöhtes Risikoverhalten. Zur Folge hat dies, dass 66% der Männer übergewichtig sind und ein hohes Risiko haben, in späteren Jahren an ernährungs(mit)bedingten Erkrankungen zu leiden. Das können Erkrankungen wie Herz-Kreislauferkrankungen und Gefäßerkrankungen, sowie Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes und Metabolisches Syndrom oder auch Darmkrebs und sogar Alzheimer sein. 

Ein übermäßiger Fleischkonsum macht allein noch keine Erkrankung, sondern die Gesamtqualität der alltäglichen Ernährung. Ein deutlicher Zusammenhang zwischen einem übermäßigen Fleischkonsum und gesundheitliche Auswirkungen zeigt die Tatsache, dass Männer zehnmal häufiger von Gicht betroffen sind, als der weibliche Teil der Bevölkerung. Bereits ab dem 40. Lebensjahr sind Männer überproportional betroffen. 

Das Auftreten der Gicht ist mit einem hohen Fleischkonsum wie auch erhöhtem Alkoholkonsum assoziiert. Dies ist wissenschaftlich gesichert. 
Ein weiterer gesundheitlicher Effekt einer unausgewogenen Ernährung kann die Beeinflussung des Sexuallebens in Folge einer Stoffwechselerkrankung sein. Die erektile Dysfunktion betrifft v.a. Männer mit Übergewicht, aber auch Bewegungsmangel und Tabakkonsum spielen dabei eine Rolle. Ein funktionierendes und selbstbestimmtes Sexleben ist scheinbar ein Faktor der (männlichen) Lebensfreude. Verstehen die Männer vielleicht erst jetzt, was es bedeutet gesünder zu leben – gesünder zu essen?

Doch was sind die wahren Gründe für diesen geschlechtsspezifischen Unterschied beim Essen? Ein einfache Frage, für deren Beantwortung drei wichtige Perspektiven herangezogen werden sollten:
1.    die naturwissenschaftlich-biologische
2.    die soziologische 
3.    die psychologische Perspektive

 

Die Biologie des Mannes – ein Ernährungsaspekt

Offensichtlich gibt es körperliche Unterschiede zwischen Mann und Frau, die aber auch Auswirkungen auf den Nährstoffbedarf eines Mannes haben können.   Physiologisch gesehen ist der Anteil der Muskulatur am Körpergewicht durchschnittlich 11 % höher als bei der Frau. Auch der Muskeldurchschnitt kann bis zu 20 % größer sein. Der Körperfettanteil ist dagegen beim Mann im Mittel um ca. 10% niedriger.  Daraus resultiert unter anderem, dass ein Mann ab dem 25 Lebensjahr ca. 25 % mehr Eiweiß, Fett und Kohlenhydrate benötigt als eine gleichaltrige Frau. Auch der Bedarf an Mineralien, wie Eisen, Zink und Fluorid sowie Vitamine, wie Vitamin A, E ,B1 und B2 ist ca.10 % höher. 

 

Das Soziale im Manne – ein Ernährungsaspekt

Neben der biologischen Konstitution beeinflussen die umgebende Kultur und Umwelt die Essbedürfnisse. Geschlechtliche Identität und soziale Distinktion kann durch die Ernährungsweise und Essen ausgedrückt werden. Experten sprechen vom Essen als Darstellungsquelle für die eigene Identität und die eigene Biographie. Sozusagen ist für den Mann Essen als ein biographisches Konstrukt zu verstehen und „berührt“ thematisch vor allem die Lebensbereiche Familie, Beruf und Freunde. 

Es lassen sich in der Gesellschaft kulturelle Symbole und kulinarische Handlungen vorfinden, die entweder dem Mann oder der Frau zugesprochen werden. Im Laufe  der Kulturgeschichte entstanden so genannte Nahrungstabus, die bereits im Kindesalter gelernt wurden. Die Benennungen von Speisen, wie „Strammer Max“ und „Jägerschnitzel“ stehen im Zusammenhang von Mann und Fleisch. Der Verzehr von Fleisch gilt für den männlichen Teil der Bevölkerung als Symbol von Stärke, Potenz und Macht, was auf frühgeschichtliche Entwicklungen zurückzuführen ist. Der Besitz von Fleisch fungiert ebenfalls als Differenzierung der eigenen sozialen Stellung zu anderen. Heute sehen wir diese Entwicklung vor allem in unteren sozialen Schichten und in Entwicklungsländern. 

 

Die Entwicklung der Psychologie des Mannes – ein Ernährungsaspekt 

Typisch Mann! Wer kennt diesen Ausspruch nicht. Gerade Männer sehen „Ernährung“ als Instrument, um die Selbstdarstellung zu perfektionieren. Somit wird Essen von vielen Jugendlichen und Männern auch oder eher als Prozess der Körpergestaltung gesehen. Fleisch schmeckt immer und gibt mehr Muskeln und mehr Kraft. Der funktionelle Ansatz überwiegt hier: Lebensmittel und Nährstoffe nehmen eher die Rollen von leistungssteigernden und körperdefinierenden Komponenten ein. Ein Aspekt der Emanzipation unserer Zeit ist, dass zunehmend auch junge Frauen diese Verhaltensweisen und Meinungen vertreten. Jedoch empfinden mehr Männer als Frauen einen muskulösen Körper als gesund und attraktiv. 

Ein weiterer Aspekt sollte hier nicht fehlen: die Bedeutung der Prävention für die Gesundheit. Für Frauen hat die Ernährung einen zentralen Stellenwert in Bezug zu ihrer Gesundheit. Sie sind besser über das Thema Ernährung informiert, und haben dementsprechend ein höheres Ernährungswissen. Männer hingegen messen Sport und Bewegung für die eigene Gesundheit eine höhere Relevanz bei. 

Besonders in Bezug auf die medizinische Vorsorge sind Männer nicht nur nachlässiger als Frauen, sondern auch schlechter informiert. Bewegung, Ernährung und Stressbewältigung sind regelmäßig Themen in Präventionskursen der Krankenkassen. Nur ein Fünftel der Teilnehmer solcher Kurse sind Männer.  

Dies hat auch mit der Psychologie des Risikoverhaltens des Mannes zu tun. Psychologen sprechen von einer „Ersatzteilmentalität“ in Bezug auf Erkrankungen, was auf die Außensicht zu ihrem Körper zurückzuführen ist. Dadurch würden Überlastungssignale erst verspätet wahrgenommen, da übergeordnete Ziele eine größere Rolle spielen. Das Ergebnis einer Studie mit 450 Studierenden versinnbildlicht das Ganze: Der Teil der Männer, der sich mit dem „Marlboro“-Mann verglich, gab weniger Beschwerden an. Der Teil, der das nicht tat, gab genau so viel Beschwerden an, wie der Frauenanteil dieser Studie.

Das Bildnis des Mannes aber gerät mit der Auflockerung der gesellschaftlichen Werte ins Wanken. Die Kraft des Mannes hat heute keine kulturelle Realität mehr. Das erhöhte Risikoverhalten und die ungesündere Lebensweise sehen Psychologen als Bewältigungsverhalten und zum Schutz einer neuen Identität. Tiefenpsychologisch erklären sie dieses Verhalten mit einer Kränkung über die Zerstörung der ersten Identität, des Mannseins. Oha – hätten sie gedacht, dass Tiefenpsychologie und Ernährung soviel gemeinsam haben? 

 

Die Chance des Mannes – ein Grund zur Hoffnung

Die Männer fordern selbst mehr und mehr gesundheitliche Aufklärung und Informationen. Die Hintergründe dieser Entwicklung sind die Etablierung der geschlechtlichen Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft, das Schwinden des klassischen Männerbildes und die zunehmende Individualisierung.  
Es entsteht ein neues Körper- und Gesundheitsbewusstsein des Mannes, ein neues Männer-Selbst-Bild, das als große Chance gesehen werden kann.  

 

 

Jetzt soll ich mich auch noch gesund ernähren – was denn noch alles? 

Eine ausgewogene Ernährung ist das unmittelbarste Instrument, um Verantwortung für seine eigene Gesundheit, sich selbst, zu übernehmen. Schaffe ich das, fällt es mir gar nicht schwer, dass z.B. meine Kinder mich als Beispiel nehmen und ich ihnen irgendwann mal diese Selbst-Verantwortung übertragen kann.  

Eine ausgewogene und vielseitige Ernährung macht Spaß, bereichert das Leben, verbindet Menschen und steigert das Glücklich sein. Denn ein gesunder Körper und ein gesunder Geist sind die Voraussetzung für ein glückliches Leben. 

Vielleicht braucht es noch mehr mutige männliche Vorbilder, die es vorleben – und nicht ganz so viel Fleisch essen müssen. 

 

 

Nicolas Ting ist Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaftler und lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Köln. Er ist freiberuflich tätig als Unternehmensberater und Coach in der Ernährungskommunikation. 

 

Hauptquelle:
Ting, N. 2011. Männerernährung im Fokus der Männergesundheit. Analyse des Ernährungsverhaltens von männlichen Studierenden an der Universität Hohenheim. 
Online unter: https://www.researchgate.net/publication/267863529_Mannerernahrung_im_Fokus_der_Mannergesundheit_Analyse_des_Ernahrungsverhaltens_von_mannlichen_Studierenden_an_der_Universitat_Hohenheim

 

Weitere Quellen:

BfR. Studie zu Fleischverzehr und Sterblichkeit. . Bundesinstitut für Risikobewertung.
Berlin : s.n., 2009. Stellungnahme Nr. 023/2009 des BfR vom 29. Mai 2009.

Brombach, C. Soziale Dimensionen des Ernährungsverhalten. Ernährungsumschau.
2011, 6/2011, S. 318-324.

Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Österreichische Gesellschaft für Ernährung, Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (Hrsg.): Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. Bonn, 2. Auflage, 2. aktualisierte Ausgabe (2016)

Pudel, V. und Westenhöfer, J. Ernährungspsychologie. Eine Einführung. 2. Aufl.
Göttingen : Hogrefe Verlag, 1998.

Setzwein, M.. www.food-and-culture.de. Ernährungs & Gender: Ernährung - Körper -
Geschlecht. [Online] [Zitat vom: 15. 9 2011.] http://www.food-andculture.
de/000000924b0393510/018b4794bb0d2bf04.html.

Sommer, F und Matthes, M.J. Lifestyle, erektile Dysfunktion, Hormone und
metabolisches Syndrom. Der Urologe. 2007, 46, S. 628-635.