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Verfettung der Gesellschaft - helfen Ernährungsprogramme für Kinder?

Bis zu einem gewissen Punkt kann man noch sagen, dass es sich um Babyspeck handelt. Doch irgendwann funktioniert das nicht mehr, viele Eltern müssen dann erkennen, dass ihr Kind dick ist. Zu dick. Das Problem ist global von Bedeutung, denn so zynisch es in Anbetracht von Hunger und Elend auf der Welt auch klingen mag – weltweit sind 1,5 Milliarden Menschen zu dick. Als fettleibig müssen sich insgesamt 500 Millionen Menschen einstufen lassen. Auch Kinder sind häufig betroffen, das haben zahlreiche Studien ergeben. Es verwundert daher kaum, dass es viele Programme gibt, die dem Trend entgegenwirken sollen. Doch taugen die auch etwas?

Übergewicht ist nicht nur unangenehm, es schadet auch der Gesundheit, das ist nichts Neues. Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind unter anderem die Folge zu hohen Gewichts. Daher spielen gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung bei den meisten Projekten für Kinder eine maßgebliche Rolle. Wissenschaftler in Australien haben an der University of Melbourne eine große Zahl von Programmen ausgewertet. Insgesamt 28.000 Kinder haben an unterschiedlichen Programmen teilgenommen, das Ergebnis der Wissenschaftler wurde in einem Maßnahmenkatalog des Wissens zusammengestellt.

Die gute Nachricht

Der sogenannte Cochrane-Bericht wurde bereits im Jahr 2005 zum ersten Mal erstellt. Doch seitdem ist viel passiert, ein neuer Bericht musste her. Die Wissenschaftler bedienten sich dabei der Daten von Industrieländern wie den USA, aber auch Australien, Deutschland und Neuseeland. Aus Deutschland floss eine Studie des Uniklinikums Leipzig mit in die Untersuchungen ein. Diese hatte zum Ziel, Familien zu beraten, deren Kinder im Vorschulalter zwar noch nicht zu dick waren, aber spürbar zugenommen hatten. Mithilfe eines Ess-Tagebuches wurde zunächst das Essverhalten analysiert und später ein Ernährungsberater erstellt. Zur zusätzlichen Unterstützung gaben Kinderärzte Hilfestellungen für die Ernährung.

Die gute Nachricht: Präventive Programme gegen Übergewicht sind durchaus nützlich und wirkungsvoll. Immerhin sank der Body-Mass-Index (BMI) von Kindern, die an Programmen teilnahmen, um 0,15 gegenüber Kindern, die dies nicht taten. Die scheinbar nur geringe Abweichung ist nicht zu unterschätzen, denn der Effekt ist über einen längeren Zeitraum mit wichtigen Veränderungen verbunden. Der BMI wird errechnet, indem das Gewicht des Kindes in Verhältnis zur Körpergröße gesetzt wird.

Die weniger gute Nachricht

Kopfzerbrechen bereitete den Wissenschaftlern allerdings etwas anderes. Die Erfolgsunterschiede verschiedener Programme sind zum Teil gravierend. Das führt dazu, dass die positive Tendenz von vorbeugenden Programmen gegen Übergewicht womöglich mit ein wenig mehr Vorsicht betrachtet werden muss. Eine Erklärung für die unterschiedlichen Effekte haben die Forscher nicht, daher fällt es auch schwer, genau zu sagen, welche Programminhalte tatsächlich einen positiven Effekt haben und welche nicht. Es lässt sich lediglich feststellen, dass ein Präventiv-Programm keinesfalls zwingend zum Erfolg führt. Immerhin aber gibt es Empfehlungen, die dem Zweck dienen, rechtzeitig etwas gegen Übergewicht von Kindern zu unternehmen:

  • Gesunde Ernährung muss auch in die Lehrpläne integriert werden. Neben Ernährung und Bewegung gehört auch die Wahrnehmung des eigenen Körpers dazu.
  • Sportunterricht in der Schule findet zu selten statt. Der Stundenplan sollte mit mehr Sportstunden gefüllt werden.
  • Das Schulessen ist oft ungesund. Hochwertiges Essen in der Schule kann positiven Einfluss auf die Gewichtsentwicklung von Kindern nehmen.
  • Lehrer und Erzieher müssen nicht nur gefordert, sondern auch gefördert und unterstützt werden, damit Maßnahmen wirklich umgesetzt werden können.
  • Auch die Eltern brauchen natürlich Hilfe. Sie benötigen neben Informationen konkrete Hilfe, um ihre Kinder zu mehr Bewegung und gesünderem Essen zu animieren.
  • Die Zeit vor dem Fernseher oder Computer kann zur Gewichtsfalle werden, wenn sie in keinem angemessenen Verhältnis zu Bewegung steht.

Es wird deutlich, dass die Tipps nicht gerade gleichzusetzen sind mit der Erfindung des Rades, vieles ist verantwortungsbewussten Eltern natürlich längst bekannt. Doch die zunehmende Zahl übergewichtiger Kinder spricht eine andere Sprache, sie zeigt, dass das Offensichtliche oft eben doch nicht umgesetzt wird.

Programme tun den Kindern nicht weh

Die Angst der Eltern ist nachvollziehbar. Immer wieder war in der Vergangenheit von Kritikern zu lesen, dass Programme gegen Gewichtszunahme bei Kindern zu einem ungesunden Körpergefühl führen könnten - im schlimmsten Fall könnten sogar Essstörungen die Folge sein. In der Übersicht der Wissenschaftler wird diese Befürchtung jedoch ausgeräumt. Die Forscherin Elizabeth Walters, die die Untersuchungen in Melbourne leitete, sagte zu dieser Problematik: „Inzwischen gibt es überwältigende Beweise, dass gezielte Programme helfen können, die Verbreitung von Übergewicht bei Kindern aufzuhalten.“

Nichtstun ist Gift

Was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, ist es oft leider nicht. So gibt es beispielsweise Zahlen aus den USA, wonach weniger als ein Viertel der Eltern von übergewichtigen Kindern angaben, dass ihr Kinderarzt auf den Sachverhalt hingewiesen hätte. Was vom Kinderarzt nett gemeint sein mag, verschleiert jedoch die Problematik. Eliana Perrin von der University of North Carolina meint, dass Eltern eher bereit sind, sich auf Programme einzulassen, wenn ihnen auch tatsächlich klar ist, dass ihre Kinder ein Problem mit dem Gewicht haben. Ist das nicht der Fall, geschieht häufig etwas, das bei Menschen mit Essstörungen auch festzustellen ist: Die Eltern sehen ihr Kind mit einer gestörten Wahrnehmung und machen es schlanker, als es tatsächlich ist. Die Leidtragenden sind die Kinder.